Kärnten 1998, ein dreijähriges Mädchen fällt in einen Teich, ist fast 30 Minuten unter Wasser, bevor die Eltern helfen können. Ein hoffnungsloser Fall. Doch der Herzchirurg Dr. Markus Thalmann gibt nicht auf – und rettet das Mädchen. Dieser Vorfall ist als „Wunder von Kärnten“ in die Medizin- und Mediengeschichte eingegangen. ZDF und ORF haben aus dem Stoff einen Fernsehfilm gemacht, die Namen verändert, etwas dramaturgisch zugespitzt und ein bisschen dazu erfunden. Ästhetisch und vom Genre her ist diese filmische Bearbeitung vom „Wunder von Kärnten“ angesiedelt zwischen klassischer Helden-Saga und der Kultserie „Emergency Room“. Da steht die Größe neben dem vermeintlich Kleinen, die Vision neben dem Handwerk, der Wunsch zu helfen neben den oft banal wirkenden Handgriffen, die über Leben und Tod entscheiden können. Dieser Film schaut dem Mythos bei der Arbeit zu.
Der Befund und die Hoffnung der Ärzte klingen im Film so:
„Ihre Tochter ist ertrunken. Ihr Herz schlägt nicht mehr. Aber es gibt möglicherweise noch eine Chance. Normalerweise kann ein Gehirn ohne Sauerstoff drei, höchstens vier Minuten überleben. Wenn aber die Körpertemperatur unter einen gewissen Wert absinkt, bevor das Ertrinken einsetzt, schaltet der Körper in einen Konservierungsmodus, eine Art Winterschlaf, in dem das Gehirn dann bis zu 30 Minuten überleben kann.“
Foto: ZDF / Toni Muhr
So wundersam diese Geschichte auch sein mag – sie in einem Fernsehfilm zu erzählen, ist nicht einfach. „Wie kann man diesen Stoff – eine mehrstündige OP – filmisch umsetzen?“, die Frage stellte sich auch der echte Herzchirurg, unter dessen Anleitung Ken Duken lernte, das Skalpell zu schwingen. Die Autoren und der Regisseur Andreas Prochaska wählten einen klaren Aufbau. Da ist die Vorgeschichte am Tag der großen Herausforderung: der überraschende Diensteinsatz von Dr. Markus Höchstmann und die Wege zum Unfall. Dann im einstündigen Mittelteil wird um das Leben des Kindes gerungen. Hauptschauplatz ist die Klinik, Brennpunkt der Operationssaal. Schließlich bekommt „Das Wunder von Kärnten“ noch 15 Minuten Entwicklungszeit, in denen gezeigt wird, wie die Anspannung der Ärzte langsam von ihnen abfällt und wie sich bei ihnen eine gewisse Leere einstellt. Gezeigt wird auch die enge Verknüpfung von Berufsethos und Erfolg. Wäre das Mädchen gestorben, wäre der österreichische Herzchirurg sicher alles andere als jener „Held des Alltags“ geworden.
Ein Mann schwimmt in einem See, läuft Marathon und die Sonne geht auf über Kärnten. Ein Kind schaukelt, ein Bauer versorgt die Tiere, seine Frau macht das Frühstück. Das ist wunderbar erzählt. Andreas Prochaska ist nicht nur ein Genre-Kenner, er und sein Sohn, der Cutter Daniel Prochaska, wissen auch wie man Zeit erzählt, wie man Alltag strukturiert, wie sich die etwas antiquierte Parallelmontage zu neuem Leben erwecken lässt. Und Kameramann Thomas Kiennast („Tatort: Ausgelöscht“) zaubert Bilder und Kompositionen, die für sich genommen das Zeug für einen Fotografie-Kalender hätten, die aber erst im Fluss der Bilder etwas magisch Realistisches bekommen. Auch im weiteren Verlauf beweisen Prochaska & Co Fingerspitzengefühl bei der ästhetischen Dramatisierung des Geschehens. Leise, aber nachhaltig meldet sich das Sounddesign während und nach der Bergung des Kindes. Die Unruhe geht zunächst von den Menschen aus. Erst dann hilft die Filmsprache nach.
Foto: ZDF / Toni Muhr
Ken Duken über seine Rolle:
„Ein großer Reiz lag bei dieser Rolle im Zusammenspiel von Realität und Fiktion: zu versuchen, einer realen Person so nahe wie möglich zu kommen, dabei aber trotzdem eine fiktive Figur zu formen. Wir wollten dabei nicht die Emotionalität in den Vordergrund rücken, sondern das Verhalten eines Arztes in einer solchen Situation glaubhaft darstellen. Wesentlich ist, dass meine Figur Triathlet ist. Die Idee zu zeigen, dass der Arzt die extreme sportliche Belastung braucht, um dem Druck und der Belastung im OP entgegenzuwirken, hat mir besonders gefallen.“
„Das Wunder von Kärnten“ bleibt eine dramaturgische Gratwanderung. Erzählökonomisch macht der Film alles richtig. So müssen sich nicht die Ärzte die medizinische Situation gegenseitig erklären, sondern können sich auf den medizinischen Konflikt konzentrieren. Dem Zuschauer, der davon ausgeht, ertrunken ist ertrunken, wird die gesundheitliche Lage des Mädchens nachgereicht – mittels eines Gesprächs des Kinderarztes mit den Eltern des Mädchens. Diese beiden, sehr authentisch besetzten Figuren werden stimmungsvoll in den Klinik-Teil eingearbeitet. Auch die langen OP-Szenen sind klug gebaut, stecken voller kleiner Interaktionen, die nur angedeutet bleiben hinter Rettungsaktionen und Mundschutz. Auch Themen wie Verantwortung (der Ärzte), Maschinen-Medizin oder die Frage, wie ein Arzt „runterkommt“ und einen Weg für ein glückliches Privatleben finden kann, werden beiläufig angeschnitten – zwischen Eingriffen am offnen Herzen und Lungensimulierung, zwischen Blut- und Hochdruckabsaugorgien, die freilich nichts für Krankenhaus-Phobiker sind. Und Ken Duken ist die Idealbesetzung dieses „Helden der Arbeit“. Makellos auch Julia Koschitz. Handwerklich also schon ein kleines Wunderwerk. Eine Stunde Klinik-Alltag aber ist lang. Das ganz große filmische Wunder bleibt also erwartungsgemäß aus. (Text-Stand: 6.2.2012)