Ein Großbäckereibetreiber wurde tot im Leipziger Elsterbecken aufgefunden. Der Mann wurde erdrosselt. Die Spuren deuten nicht auf einen von langer Hand geplanten Mord hin. Und der Täter war mit der Entsorgung der Leiche überfordert. Kein leichter Fall für die Mordkommission K14 – weil Maike Riem (Anja Kling) und ihr Team mit schweren menschlichen Schicksalen konfrontiert werden und weil das Todesszenario bei den Kommissaren Christoph Hofherr (Shenja Lacher) und Pia Walther (Annika Blendl) alte Wunden aufreißt. Allein Kriminaltechniker Linus Roth (Anton Spieker), dem Empathie nicht gegeben ist, macht unbeeindruckt seinen Job: Und bald gibt es etliche Verdächtige. Da sind zwei Nachbarn, ein gewalttätiger Choleriker (Robert Gallinowski) und ein aasiger Anwalt (Jan Henrik Stahlberg), die Stress mit dem erfolgreichen Bäckermeister hatten und ihm pädophile Neigungen nachsagen. Ein Elternpaar könnte diesen Marco Bleich besonders verabscheut haben. Vor fünf Jahren nämlich hat der Getötete das Kind von Jana Grimm (Nadja Bobyleva) und Bastian Koch (Golo Euler) mit dem Auto überfahren. Juristisch traf ihn keine Schuld, und so wurde er freigesprochen. Das Paar scheint den Verlust noch immer nicht verkraftet zu haben. Aber auch Eifersucht und verletzte Gefühle könnten Mordmotive sein. Möglicherweise hat Bleich, die zwei Frauen, die ihn liebten, seine Ex, aber immer noch Ehefrau (Kirsten Block) und dessen jüngere Nachfolgerin (Anneke Kim Sarnau) gegeneinander ausgespielt.
Foto: ZDF / Oliver Vaccaro
Das ZDF schickt einen weiteren Samstagskrimi ins Quotenrennen. Auch wenn der Deutschen liebstes TV-Genre ein Selbstläufer ist, steht die Suche nach einer neuartigen, reizvollen Ermittler-Variante, die es so noch nicht gibt, stets am Anfang jeder neuen Reihe. Nach dem schrägen Außenseiter-Trio von „München Mord“ und den komödiantisch angehauchten „Friesland“-Provinzkrimis, nach den Kommissarinnen mit kleinerem und größerem Psycho-Knacks, Lisa Wagners Winnie Heller und Anna Loos‘ Helen Dorn, nach einer ganzen Familie, die das Kriminalisieren nicht lassen kann („Schwarzach 23“), nach einem Ehepaar („Herr und Frau Bulle“) und zwei ungleichen Brüdern („Schwartz & Schwartz“), die als Privatdetektive ihr Glück versuchen, steht nun in „Das Quartett“ mal wieder eine Mordkommission im Mittelpunkt. Aber anders als beispielsweise in den meisten „Tatort“-Ablegern gibt es in der neuen Reihe, die von dem renommierten Autorenduo Friedrich Ani und Ina Jung („Das unsichtbare Mädchen“) mitentwickelt wurde, weder Starkommissare noch Wasserträger. Auch wenn Maike Riem die Chefin ist und Anja Kling das prominenteste Gesicht im Cast, so sind die Ermittler eine verschworene Viererbande, die in ihrer Arbeit und Präsenz ähnlich funktioniert wie das Quartett im Dortmunder „Tatort“, wo ja das Team der Star ist. Doch anders als die Vier aus NRW ist das Leipziger K14 nicht auf Konflikt und Krawall gebürstet. Gesetzt wird auf Gemeinschaft und Vertrautheit, auf ein Ermitteln ohne Kompetenzgerangel und ohne Ego-Spielchen. „Ich wollte wiedererkennbare, warme Charaktere“, sagt Regisseurin Vivian Naefe. „Ich wollte sie bei ihrer Arbeit wie in einer WG zusammenleben lassen, einander akzeptierend, respektierend, aber nicht befreundet im konventionellen Sinn.“
„Quartett“-Chefin Maike Riem (Anja Kling) zeichnet sich durch ihre Haltung aus: „Wir sind nun mal sowas wie Chronisten. Uns darf nichts entgehen. Wir müssen hinschauen, wie schrecklich der Anblick auch sein mag. Das müssen wir aushalten. Weil wir die Verbündeten der Opfer sind. Wir sind ihre allerletzte Hoffnung.“
Foto: ZDF / Oliver Vaccaro
Ein solches Team einzuführen und dabei noch einen spannenden Krimi zu erzählen, ist eine Herkulesaufgabe, an der vor Jahren Autoren noch regelmäßig gescheitert sind. Heute klappt das meist besser, bei „Der lange Schatten des Todes“ sogar richtig gut. Ani und Jung machen nicht den Fehler, in der Auftaktepisode gleich alle Eigenarten der Kommissare ins Spiel zu bringen. Stattdessen bekommt jeder ein, zwei Szenen, in denen der Charakterkern seiner Figur zum Vorschein kommt oder ein aktuelles Lebensthema lautstark ins Krimigeschehen platzt. Wirken die Kommissarinnen etwas souveräner & aufgeräumter als ihre männlichen Kollegen, können sie allerdings urplötzlich zu Furien werden. „Was war das für eine Raubtieraktion?“, fragt Shenja Lachers Menschenversteher seine Chefin, nachdem Kollegin Pia bei einer Festnahme unangemessen aggressiv wurde. Ausrasten kann aber die Dienstellenleiterin, wenn es um ihren Ex-Mann und ihren Sohn geht, der offensichtlich die meiste Zeit bei seinem Vater lebt. Hinter Wut und Vorwürfen scheint Maike Riem ihre Schuldgefühle zu verstecken; denn ihre mütterliche Seite lebt sie vor allem im Dienst aus. In nur wenigen Sekunden wird hier eine wesentliche Facette dieses vermeintlich so ausgeglichenen Charakters in den Ring geworfen. Die Männer dagegen haben grundlegendere Probleme. Hofherr ist angewidert von den menschlichen Abgründen und kann die physische Nähe des Todes kaum ertragen. Er ist der Mann für die psychologischen Zwischentöne. Bei Vernehmungen oder Verhören nimmt er das Gegenüber ins Visier. Linus Roth indes ist der Experte fürs Technische, fürs Logische, fürs Funktionale. Seine Tics erschweren ihm den Umgang mit anderen, während das Team ihn zu nehmen weiß. Anton Spieker zeigt etwas von Roths autistischer Neigung, er macht ihn zwar nicht zum Soziopathen, aber seine Unfähigkeit, Gefühlen nachzuspüren und Schmerz zu empfinden, ist besonders evident, weil seinen Kollegen große Sensibilität gegeben ist.
Foto: ZDF / Oliver Vaccaro
Der Krimifall beginnt unspektakulär. Der Mord und die anfangs etwas zähen Ermittlungen entsprechen dem spätherbstlichen Leipziger Alltagsgrau. Die in den Fall Verwickelten sind allesamt Menschen, denen es nicht vergönnt ist, glücklich zu sein. Zwei Männer sind Ekel; dabei erfüllt der eine etwas zu deutlich das (Klischee-)Bild vom Nörgel-Ossi und asozialen Wutbürger (bei solchen Anspielungen wünscht man sich künftig mehr Genauigkeit in Leipzig). Die zwei Frauen des Opfers sind dagegen schwerer einzuschätzen – und immer ein bisschen durch den Wind. Das liegt auch an der Darstellung: Anneke Kim Sarnau und Kirsten Block verkörpern sie aufregend eigensinnig – und im Schmerz hilft eben oft nur ein Schoppen Wein. Für ein paar nachhaltige Momente in Moll sorgen auch die Szenen mit Nadja Bobyleva als Mutter des vor Jahren zu Tode gekommenen Kindes, die offenbar noch immer in der Welt vor dem Unfall lebt – und die ihr Haus zu einem grusligen Ort der Erinnerung gemacht hat: Ihr schweres Trauma wird quasi Bild. Immer eine sichere Bank ist auch Golo Euler, dessen Figur von ähnlichen Stimmungen und Gefühlen angetrieben wird wie Kommissar Hofherr. Überhaupt hat man – mit Ausnahme von Oberprolet Torberg – den Eindruck, es sowohl auf der Seite der Ermittler als auch der Seite der Verdächtigen mit Menschen zu tun zu haben. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb bei „Der lange Schatten des Todes“ irgendwann der Funke überspringt. Nachdem man als Zuschauer in der ersten Hälfte des Films vor allem den Setzungen der Reihe (die Eigenheiten & psychische Dispositionen, die Technik-Affinität, das zwischenmenschliche Klima, der Team-Raum, der aussieht wie eine WG-Küche etc.) folgen muss, was ja in erster Linie Arbeit ist, ergibt sich zur Halbzeit ein Stimmungsumschwung. Das Team beginnt zu leben und das Interesse am Fall wächst beträchtlich. Und als es auf der Zielgeraden zu zwei (überzeugend gespielten) Doppelvernehmungen kommt, steigt die psychologische Spannung weiter. Und auch ein (Grund-)Satz wie „Opfer und Angehörige haben immer lebenslänglich“ am Ende des Films, verstärken den Eindruck, dass es in dieser neuen ZDF-Krimi-Reihe angenehm menschlich zugehen wird. (Text-Stand: 19.9.2019)