Falls irgendwo auf dieser Welt gerade jemand über den Dauerlauf als Mittel zur Schauplatz-Etablierung im fiktionalen Film promoviert, gibt es ein schönes neues Beispiel. Die frisch zugezogene Helen Dahms (Böhrnsen) rennt leichtsinnigerweise durchs Moor, bleibt mal stecken, zieht sich gerade noch an einem jungen Bäumchen aus dem Sumpf. Ein Menetekel, wie sich zeigen wird. 15 Jahre zuvor ist die damals 18jährige Friederike Lohse, genannt Fee, aus der kleinen Stadt verschwunden. Sie hatte ihre Mutter bei einem Unfall verloren und machte ungerechterweise ihren Vater Günther Lohse (Garbers), der die örtliche Arztpraxis führt, für das Unglück verantwortlich. Allen Anzeichen nach hatte sie sich abgesetzt. Lorenz Keller (Atzorn) sieht das anders. Der Leiter der örtlichen Polizeistation hatte sich den Zorn seiner Mitbürger zugezogen, weil er von einem Mord ausging – den er nie klären konnte.
Wenngleich der Unmut noch schwelt, haben sich die Gemüter leidlich wieder beruhigt. Doch dann wird bei Arbeiten im Torf ein Schädel gefunden. Der eines jungen Mädchens. Das Moor gibt weitere Knochen frei. Lorenz Keller ist überzeugt, die Leiche Fee Lohses vor sich zu haben. Der Kreis der möglichen Täter ist überschaubar. Damalige Lehrer, ehemalige Mitschüler. Kellers Tochter Jutta (Neldel) zählt dazu, ebenso ihr Jugendschwarm, der Torfbauer Hannes Gerhards (Pufendorf). Wieder bringt Keller Unruhe in den Ort. Nicht nur sein vermeintliches Versagen plagt ihn, es bleiben ihm obendrein nur noch wenige Tage bis zur Pensionierung. Deshalb ignoriert er seine Herzprobleme und arbeitet unermüdlich an der Aufklärung.
„Das Mädchen aus dem Totenmoor“ beginnt wie ein Krimi, bei dem die Tätersuche im Mittelpunkt steht. Doch vor dem letzten Drittel kippt die Erzählung. Der Zuschauer erfährt die Lösung, die sich für aufmerksame Betrachter bereits abzeichnete. Die Handlung setzt sich fort als Mischung aus Psychokrimi und Tragödie. Keine reine Mache, denn diese Entwicklung wird unterfüttert durch das Leitmotiv gescheiterter respektive durch äußere Umstände verunmöglichter Lebensentwürfe. Zunächst klingt die Trauer leise an, wird dann immer deutlicher vernehmbar, liefert die Erklärung für das alte und für ein neues Verbrechen. Anfangs scheinbar nur eine Nebenfigur, rückt Jutta Keller, die Tochter des ermittelnden Beamten und alleinerziehende Mutter, langsam vor ins Zentrum der Tragödie. Alexandra Neldel, als Schauspielerin oft unterschätzt, spielt den Part mit der gebotenen Zurückhaltung und lässt doch auf zarte Weise, mithin gekonnt die tiefen Verletzungen ihrer Figur anklingen. Regisseur Axel Barth und der Kameramann Roman Nowocien kreierten für diesen dichten und in sich schlüssigen Kriminalfilm eine besondere Farbdramaturgie, in der aus einer ansonsten eher blass gehaltenen Palette Blautöne aller Schattierungen leitmotivisch hervortreten. Gelungen auch, wie über die Gestaltung der Bildausschnitte und speziell über den präzisen Einsatz von Schärfe und Unschärfe Stimmungen und Aussagen vermittelt werden. Ein filmischer Blues, eine Elegie in Blau. (Text-Stand: 16.12.2015)