Auf den ersten Blick klingt die Figurenbeschreibung wie ein Pendant zu „Toni, männlich, Hebamme“. Hier wie dort arbeitet ein Mann in einem Beruf, mit dem in der Regel Frauen assoziiert werden: Hauptfigur von „Das Leben ist kein Kindergarten“ ist ein Erzieher. Auf dem Sendeplatz freitags im „Ersten“ tummeln sich bereits diverse Heldinnen, die als Ärztin („Praxis mit Meerblick“, „Die Inselärztin“) oder Versorgungsassistentin eines Landarztes („Die Eifelpraxis“) rund um die Uhr für die Sorgen und Probleme ihrer Patienten da sind. Schon „Toni“ (2019) wirkte zunächst, als sollten ganz ähnliche Geschichten nun mit einem Mann erzählt werden. Die Filme über den Geburtshelfer emanzipierten sich jedoch nicht zuletzt dank ihrer vorzüglichen Verknüpfung von Drama und Komödie von dieser Prämisse. Gleiches gilt für das „Kindergarten“-Konzept. Die Idee stammt von Hauptdarsteller Oliver Wnuk, der auch das Drehbuch geschrieben und außerdem angeregt hat, dass der Film in seiner Heimatstadt gedreht wurde; die Bildgestaltung des erfahrenen und mehrfach ausgezeichneten Kameramanns Tomas Erhart sind eine Hommage an Konstanz und den Bodensee.
Foto: Degeto / Reiner Bajo
Gerade zu Beginn vermitteln die herbstlich bunten Bilder viel Wohlbehagen, zumal im Leben von Freddy alles in bester Ordnung zu sein scheint: Er führt eine glückliche Ehe und hat zwei wohlgeratene Kinder. Gattin Juliana (Meike Droste) ist Ärztin in der Kinderonkologie eines Krankenhauses und pendelt täglich nach Zürich. Er ist ebenfalls Mediziner, hat aber nach dem Studium gemerkt, dass er Kinder nicht heilen, sondern ins Leben begleiten will. Gemeinsam mit Kollegin Lara (Franziska Wulf) hat er ein reformpädagogisches Konzept entwickelt; die beiden arbeiten in einem städtischen Kindergarten und hoffen, zusammen die Leitung übernehmen zu können. Freddys Leben ist fast zu schön, um wahr zu sein: Er ist ein toller Vater, ein verständnisvoller Ehemann, ein wunderbarer Kollege; und die Kinder lieben ihn. Aber dann bekommt die heile Welt mit ihren fröhlichen Farben feine Risse, die immer größer werden, bis er schließlich fürchten muss, dass sein Lebensentwurf wie ein Kartenhaus zusammenbricht. Juliana winkt ein Karrieresprung, aber dafür müsste sie in Zürich wohnen, weshalb sie eine Karte spielt, die in der Regel den Männern vorbehalten ist: Der Beruf des Haupternährers hat Vorrang; und Lara, die in Freddy mehr als bloß einen Freund und Kollegen sieht, fühlt sich verraten, weil die Stadt nur ihn zum Leiter machen will.
Diese beiden Komponenten sind schon kompliziert genug, aber Wnuk lässt noch weitere Aspekte einfließen, die teils beruflicher, teils familiärer Natur sind: Nicht alle Eltern sind mit Freddys Konzept einverstanden, andere kommen mit seinem selbstbewussten Auftreten nicht klar, und einige wollen nicht, dass er mit ihren Kindern aufs Klo geht; von den Dramen zwischen einem geschiedenen Paar, das seine Konflikte auf dem Rücken der kleinen Tochter austrägt, ganz zu schweigen. Aber auch in Freddys Privatleben häufen sich die Turbulenzen: Die 13jährige Tochter Zoe (Sophie Reiling) fühlt sich vernachlässigt und wird beim Klauen erwischt, und dann steht nach 18 Jahren Funkstille sein Vater (Peter Prager) vor der Tür. All’ das entwickelt sich jedoch nach und nach. Im Grunde geht es Freddy wie dem Frosch, der geduldig im immer heißer werdenden Wasser ausharrt: Der Film kippt keineswegs plötzlich von der Komödie zum Drama, sondern wechselt sein Vorzeichen schleichend.
Foto: Degeto / Reiner Bajo
Die Qualität des handlungsreichen Drehbuchs, der Dialoge und der vielen mal witzigen, mal nachdenklichen Szenen mit den Kindern mag überraschen, aber Wnuk hat bereits zwei Romane veröffentlicht sowie diverse Hörspiele und Bühnenstücke geschrieben; außerdem weiß er dank seiner umfangreichen filmischen Erfahrung natürlich, wie eine gute Geschichte konzipiert sein muss. Dramaturgie ist jedoch nur das eine. Am Ende zählt nicht zuletzt die Umsetzung, und auch in dieser Hinsicht ist die Tragikomödie rundum gelungen, obwohl die Filmografie von Regisseurin Katja Benrath noch sehr übersichtlich ist. Beeindruckend umfangreich ist allerdings die Liste der Auszeichnungen, mit denen sie für ihre Kurzfilme geehrt worden ist (darunter auch der „Oscar“ für Filmstudenten). Ihr Langfilmdebüt war der Kinderfilm „Rocca verändert die Welt“ (2019) über eine moderne Pippi Langstrumpf.
Die Regisseurin hat offenbar ohnehin ein Händchen für junge Darsteller: Die Szenen im Kindergarten sind ein großes Vergnügen und waren angesichts der Vielzahl junger Mitwirkender vermutlich eine echte Herausforderung, zumal irgendwann auch noch ein Schwung Tiere auftaucht. Da nicht jedes Kind ein schauspielerisches Naturtalent ist, klingen kindliche Dialoge oft aufgesagt, aber dafür hat das Drehbuch eine verblüffende Lösung gefunden: Freddy probt mit den Kindern ein Theaterstück; die Dialoge dürfen nicht nur, sie müssen geradezu auswendig gelernt klingen. Das gilt auch für einen Vortrag, den sich der Erzieher anhören muss, als ihm ein Mädchen erklärt, warum ein Leben ohne industriellen Zucker viel gesünder ist. Sehr glaubwürdig sind auch die Vater-Tochter-Szenen, die für Sophie Reiling sicher nicht einfach waren, weil Zoe allem Trotz zum Trotz sympathisch bleiben muss, um Mitgefühl für ihre Situation zu wecken.
Foto: Degeto / Reiner Bajo
Die erwachsenen Schauspieler sind ebenfalls ausnahmslos sehenswert. Wnuk, der in der ZDF-Krimireihe „Nord Nord Mord“ regelmäßig mit kleinen Ursachen große komödiantische Wirkung erzielt, verzichtet hier weitgehend auf solche Heiterkeiten, weil Freddy immer weniger zum Lachen zumute ist. Abgerundet wird „Das Leben ist kein Kindergarten“ durch eine passende Musik (Florian Hirschmann, Elisabeth Kaplan) und schöne optische Einfälle wie jenen, als die Kamera zu Beginn einem durch die Luft segelnden Blatt vom See bis zum Haus von Freddy und Juliana folgt. Die Geschichte der beiden ist noch längst nicht zu Ende erzählt, aber die ARD-Tochter Degeto will erst mal abwarten, wie gut der Film ankommt, bevor sie Wnuk grünes Licht für eine Fortsetzung gibt. (Text-Stand: 11.8.2020)