Joachim Vernau hat sich aus kleinen Verhältnissen hochgearbeitet: Rechtsanwalt in einer angesehenen Berliner Kanzlei, bald Schwiegersohn des Chefs und der Mann an der Seite einer aufstrebenden Politikerin. Der Name „von Zernikow“ hat Tradition. Und was für eine! „Wir waren eine nationalsozialistische Familie“, kräht die Großmama und Freifrau im Rollstuhl voller Stolz – dass sich der Anwalt fragen muss, an was für eine Sippschaft er da geraten ist. Die Skepsis steigt, als eine alte Frau aus Kiew nach dem vergeblichen Versuch, dem Kanzleichef Utz von Zernikow einen Brief zu übergeben, tot aus einem Kanal gezogen wird. Wenig später taucht eine junge Russin auf und fuchtelt mit einer Pistole herum. Dabei gehe es doch „nur“ um eine Unterschrift auf einem Entschädigungsvertrag für Olga, die von 1941 bis 1944 vier Jahre für die von Zernikows Zwangsarbeit als Kindermädchen verrichtete – das findet zumindest Joachim Vernau, der sich umso mehr darüber wundert, dass sein Chef den Vertrag nicht unterzeichnet. Jetzt will er es genauer wissen. Gemeinsam mit seiner Ex, einer linksalternativen Anwältin, wühlt er in der Vergangenheit der Familie mit dem guten Namen.
Foto: ZDF / Walter Wehner
Auch als Zuschauer fragt man sich, wann dieser für einen Staranwalt so sympathische Mann endlich diese blöde Politiker-Ziege in den Wind schießt und sich seiner pfiffigen Ex zuwendet. Diesen Gefallen tut er dem Zuschauer nicht (ganz). Zumindest ein Klischee, das der Fernsehfilm „Das Kindermädchen“ auslässt. Die Adaption des gleichnamigen Bestsellers von Elisabeth Herrmann setzt auf moralische Wertung, fragt nach politischer Haltung. Da ist es hilfreich, die Figuren deutlich Position beziehen zu lassen und sie markant zu charakterisieren: und so findet man die öffentlichkeitsgeile Politikerin, die juristische Kämpferin für das Recht der kleinen Leute, die ewiggestrige Freifrau, den dekadenten, von Standesdünkel zerfressenen Adelsspross, einen Melancholiker, der sich der Familienräson unterworfen hat – und da ist der etwas blauäugige Held zum Gernhaben. So richtig passt das alles nicht zusammen, die Tonlage, die Figurenkonstellationen, vielleicht sogar die Besetzung. Jan Josef Liefers und Stefanie Stappenbeck bringen bei aller Schwere des Themas einen leichteren Ton in den Film. So bleibt man dran an der Geschichte, die die „Schatten der Vergangenheit“ gesellschaftlich relevanter auf die Gegenwart fallen lässt, als es gängige Familien(thriller-)Melodramen tun.
„Das Kindermädchen“ nähert sich dem Thema Zwangsarbeit im Gewand eines Wohlfühlfilms, den das ZDF seltsamerweise als Thriller „verkauft“. Ein ehrenwerter Versuch, der einige hübsche Szenen und Charakterbilder (eindringlich: Inge Keller als hexenhafte Freifrau) zeigt. Kritische Geister können so richtig schön baden in ihren Vorurteilen gegen Politiker, Alt-Nazis und die so genannte bessere (braune) Gesellschaft. Das darf auch mal sein. Dass dieser wüste Mix aus Themenfilm, Räuberpistole und Gutmenschdramolett, der im wilden Durcheinander der Tonarten gipfelt und über die gesamte Länge keinen stimmigen Erzählrhythmus besitzt, vom Film-Stilisten Carlo Rola („Rosa Roth“) sein soll – das mag man gar nicht glauben.