Aufstieg des Mannes, Aufstand der Frau
1825 im Königreich Hannover. Gisela und Walther arbeiten auf dem Gut der Grafenfamilie von Rennitz als Magd und Knecht. Während sie wegen ihres losen Mundwerks von der Gräfin in die Dienstboten- und Gesindeetage im Keller, verbannt wird, hat der Graf mit ihm, dem Burschen seines Sohnes Diebold, Großes vor. Walther könnte der neue Verwalter werden, sollte ihm auf der Holzmesse in Göttingen ein Vertragsabschluss gelingen, der die Existenz der mächtig verschuldeten Adelsfamilie von Rennitz’ sichern würde. Schon für die Freundschaft der beiden, die vor zehn Jahren als Waisenkinder auf das Gut kamen, sind das keine guten Voraussetzungen, für die Gefühle, die die beiden füreinander empfinden, ist die Lage geradezu aussichtslos. Gesellschaftlicher Aufstieg & sozialer Aufstand, die Anpassung an die herrschenden Verhältnisse & der Glaube an Selbstbestimmung schließen sich aus.
Foto: ZDF / Martin Spelda
Oben und Unten, Gehen oder Bleiben
„Das goldene Ufer“ erzählt eine historische Liebesgeschichte vor dem politischen Hintergrund des deutschen Vormärzes. Der privilegierte Adel ist in seinen Grundfesten schwer erschüttert und muss sich etwas einfallen lassen, um auch ökonomisch zu überleben. Im Falle der Familie von Rennitz soll die Hochzeit des jungen Grafen Diebold den Fortbestand des Hauses sichern. Auf der anderen Seite stehen die Studenten als Wortführer der Aufklärung, die eine andere Gesellschaft erzwingen wollen. Auch die Heldin will das Oben und Unten nicht länger als gottgegeben hinnehmen – und sie ergreift Partei für einen Mann, der gehenkt werden soll, weil er einen Laib Brot gestohlen hat. Sie träumt von Amerika, dem Land der vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten, in dem der Lebensweg nicht allein durch den Geburtsstand festgelegt sein soll. Gehen oder Bleiben? Diese Frage der beiden Protagonisten steht rund 90 (der 105) Filmminuten lang im Raum. Wer den dickleibigen Roman von Iny Lorentz („Die Wanderhure“) kennt, der kennt auch die Antwort: „Das goldene Ufer“ ist eine ausladende Auswanderersaga. Der Film indes konzentriert sich klug auf den Flucht-Impuls der Heldin.
„Gisela kämpft für etwas, merkt aber, dass es ohne Walther keinen Sinn macht. Er will keine Revolution, aber wenn sie nicht da ist, macht es auch für ihn keinen Sinn.“ (Hauptdarstellerin Miriam Stein)
„Die Herauforderung bestand darin, die ausschweifende Handlung so zu verdichten, dass wir mit den Figuren auf engstem Raum leben, sie verstehen und uns angezogen fühlen.“ (Produzent Andreas Barreis)
„Der Film sollte aussehen wie aus einer anderen Zeit, wie von einem Maler gemalt. Also haben wir, der Kameramann und die Ausstatterin, uns bei den Bildern um Patina bemüht.“ (Regisseur Christoph Schrewe)
Foto: ZDF / Martin Spelda
Melodram: Freiheitsdrang = Bewegungsdrang
Ein gesellschaftspolitisches Drama über die Jahre vor der Märzrevolution von 1948 sollte man als Zuschauer am Sonntag im ZDF wohl weniger erwarten. Der ZDF-Fernsehfilm von Christoph Schrewe („Borgia“) ist denn auch als ein klassisches Melodram konzipiert. Neben der gesellschaftlichen Ungleichheit und dem daraus resultierenden Freiheitsdrang wird mehr und mehr die Liebe das treibende Moment der Geschichte. Genretypisch ist es die Frau, die die Handlung vorantreibt. Geradezu symbolhaft wird der (auch idealistische) Bewegungsdrang der Heldin versinnbildlicht, die ständig – aufgescheucht von der sozialen Ungerechtigkeit – die engen Flure des Gesinde-Areals durcheilt. Generell bringen Schrewe und Kameramann Mathias Neumann reichlich Bewegung ins Spiel und beleben somit die Innenraumszenen, in denen es allenfalls, wenn die hohen Herrschaften zu Tische oder hoch zu Rosse parlieren, die Szenerie ein wenig nach Verkleidung müffelt. Aber auch die Ausstattung, die sich nicht übertrieben in den Vordergrund schiebt, dämpft den Eindruck von ausgestellter Geschichte. Entscheidend dafür ist unter anderem die Reduzierung des Lichts, die inspiriert wurde von den realen Beleuchtungsverhältnissen – dem Kerzenschein – jener Jahre und spätestens seit dem Grimme-Preis für „Die Hebamme – Auf Leben und Tod“ im historischen Fernsehen angekommen ist. Besonders sinnlich wird es, wenn die Kamera hinabsteigt ins „Unten“ oder sich aufmacht ins wilde „Draußen“: dann wird der Aufbruch der Heldin spürbar.
Wenn Gesichter sprechen können…
Miriam Stein und Volker Bruch, seit „Unsere Mütter, unsere Väter“ auch privat ein Paar, spielen Gisela und Walther. Er verkörpert die Vernunft, sie ist der Inbegriff weiblicher Impulsivität. Beiden glaubt man ihre Geschichte gern – und mit beiden fiebert man mit in Richtung auf „das goldene Ufer“ hin, das sie zu erreichen hoffen. Das hat nicht nur etwas mit der Sympathie zu tun, die die zwei Jungstars in Verbindung mit ihren Rollen (Bruch kann wie in „Die Pilgerin“ durchaus auch den Antagonisten) im Betrachter auslösen – es hat auch etwas mit der Klarheit und der sinnlichen Sinnhaftigkeit ihrer Darstellung zu tun. Zweifel und Nachdenklichkeit in Bruchs Mimik werden konterkariert von der handlungstreibenden Physiognomie Miriam Steins: In diesem Gesicht passiert ständig etwas – da sind Begeisterung, Enthusiasmus, Aufbruch spürbar, da steckt Bewegung in jeder Geste. Wer solche Schauspieler hat, die einen einzigen Grundkonflikt und ein einziges Handlungsmotiv (endlich raus aus der Willkürherrschaft!) zu tragen imstande sind, der braucht keine Vielzahl an verwässernden Nebenplots und der verkraftet sogar eine wohlfeile Intrige (die allerdings vielschichtiger aufgelöst wird als zunächst erwartet) und einen Showdown, der mit so ziemlich allen Effekten zwischen theatraler Melodramatik und Western-Codes daherkommt. Und ein leichtes Augenzwinkern gibt’s sogar noch obendrauf. (Text-Stand: 9.3.2015)