Rollen wie den zu Unrecht als Mädchenmörder verurteilten Gymnasiallehrer Kortmann wird Christoph Waltz vermutlich so bald nicht mehr spielen, jedenfalls nicht im Rahmen eines ganz normalen Fernsehfilms. Waltz ist durch Quentin Tarantino kein anderer Schauspieler geworden; der Hollywood-Regisseur hat bloß entdeckt, dass sich sein Potenzial auf der Kinoleinwand noch besser entfalten kann als im „TV-Movie“. Wer genau hingesehen hat, wusste das schon vor zwanzig Jahren; damals hat Waltz seine ersten Fernsehpreise für seine Verkörperung Roy Blacks in „Du bist nicht allein“ bekommen. In „Das Geheimnis im Wald“ spielt er eine Figur, bei deren Konzeption ihn die Autoren Hanno Hackfort und Michael Helfrich womöglich schon vor Augen hatten: Als im Harz eine halbwüchsige Schülerin verschwindet, steht für den örtlichen Polizeichef Breitner (Horst Günther Marx) außer Frage, dass Kortmann auch diesmal seine Finger im Spiel hat. Noch jedoch hat Breitner nichts gegen ihn die Hand. Der frühere Lehrer ist dennoch zur Kooperation bereit, aber unter einer Bedingung: Er wird nur dann eine Aussage machen, wenn Steffen Gellhagen (Pierre Besson) das Gespräch führt. Der Polizist hat ihn damals überführt, die vermeintliche Lösung des Falls war sein Karrieresprungbrett. Kortmann nutzt die Gelegenheit für eine späte Genugtuung und beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel, das allerdings für einige kein gutes Ende nehmen wird…
Waltz spielt diesen Kortmann mit sichtlichem Vergnügen; allein die Süffisanz, mit der er die Figur versieht, lässt ihn darstellerisch aus dem Ensemble herausragen, auch wenn Pierre Besson recht gut mithält. Wie gut Waltz ist, zeigen zwei einfache, aber beredte Details: Die Soko hat ihre Zentrale in einer verlassenen Grundschule eingerichtet. Obwohl Kortmann bei den Vernehmungen auf einem Kinderstuhl Platz nehmen muss, ist er dem auf dem Lehrerstuhl sitzenden Kommissar deutlich überlegen. Später wacht er in einer provisorischen Zelle auf und ist kurz desorientiert; dann huscht ein Lächeln über sein Gesicht. „Das Geheimnis im Wald“ war der neunte Film von Waltz mit Regisseur Peter Keglevic, deren Zusammenarbeit äußerst fruchtbar war; neben der „Roy Black Story“ zählen auch „Tag der Abrechnung“ (1994) und vor allem „Tanz mit dem Teufel“ (2001) zu den gemeinsamen Arbeiten.
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Die meisten anderen Rollen fallen im Vergleich zu Kortmann eher eindimensional aus und bieten ihren Darstellern kaum Möglichkeiten, sich zu entfalten. Das gilt vor allem für Wolf Roth. Viel wirkungsvoller als sein stechender Blick sind die Szenen, in denen Keglevic den Patriarchen im Kapuzenumhang durch den Wald streifen lässt. Auch wenn der alte Tomrad niemanden umgebracht hat: Die Bilder lassen keinen Zweifel daran, wer in dieser Geschichte der wahre Unhold ist. Die Waldszenen wären noch eindrucksvoller, hätte Keglevic nicht so viel künstlich aussehenden Nebel wallen lassen. Die weiteren Mitglieder der Familie werden bereits im Prolog charakterisiert: Während Susanne Tomrad (Sophie von Kessel), die Mutter des verschwundenen Mädchens, die Schale ihres Frühstücksei Stück für Stück entfernt, macht Vater Markus (Thomas Sarbacher) kurzen Prozess und köpft sein Ei schwungvoll. Er und Gellhagen waren einst Rivalen um die Gunst Susannes; das macht die Arbeit für den Kommissar nicht gerade einfacher, zumal die alten Gefühle noch da sind.
Viele Bilder sind ausgesprochen gelungen (Kamera: Alexander Fischerkoesen). Andererseits gibt es Momente, in denen ausgerechnet der routinierte Keglevic allzu plump inszeniert. Als Markus Tomrad einen Brief liest, muss Sarbacher anschießend ins Leere blicken, damit auch der Letzte versteht, wie wichtig dieses Schreiben ist; ähnlich bedeutungsschwanger schaut später Roth drein. An anderen Stellen hat Keglevic viel größeres Vertrauen in seine Arbeit und setzt die Geschichte schlicht per Schnitt fort. Trotzdem ist „Das Geheimnis im Wald“ als stiller Thriller sehenswert, wenn auch vor allem wegen des darstellerischen Kräftemessens zwischen Besson und dem späteren zweifachen „Oscar“-Preisträger Waltz.