Das Ende einer Nacht

Auer, Weisse, Vattrodt, Geschonneck. Der Zweifel vor Gericht und beim Zuschauer

Foto: ZDF / Martin V. Menke
Foto Rainer Tittelbach

„Das Ende einer Nacht“ ist ein vielschichtiges, beziehungsreiches, hochspannendes Justizdrama. Ein doppeltes Duell. Gewalt in einer Ehe? Aussage steht gegen Aussage. Ein Prozess voller Widersprüche. „Die Zerrissenheit zwischen juristischem Pragmatismus und moralischer Befangenheit versucht der Film zu zeigen“, sagt Regisseur Matti Geschonneck. Versucht? Nein, in diesem Film stimmt alles: das Thema, die Konstruktion, die Dramaturgie, die Dialoge, die Figurenzeichnung, die Besetzung, die Kamera. Eine emotionale Geschichte, klug, mit kühlem Kopf serviert. Ein perfektes Wechselspiel zwischen öffentlichem und privatem Raum. Ein großes Duell zweier Schauspielerinnen: Barbara Auer & Ina Weisse!

Vor Gericht: ein Ehemann, der seine Frau vergewaltigt haben soll
Hat der Großindustrielle Werner Lamberg seine Frau misshandelt und vergewaltigt? Diese Frage muss in einem von großer Medienöffentlichkeit begleiteten Prozess geklärt werden. Es gibt keine Zeugen. Aussage steht gegen Aussage. Kläger und Beklagter legen dem Gericht zwei grundverschiedene Versionen jenes Abends des 7. April vor. Auch Zeugen und Gutachter sind nur selten einer Meinung. Ein schwieriger Fall für Richterin Katarina Weiss. Ihr missfällt die hartnäckige, rücksichtslose Gangart der Verteidigerin. Dieser Eva Hartmann gelingt es sogar, die wichtigsten Anklagepunkte zu entkräften. Mit diesem Erfolg wachsen allerdings ihre Zweifel an der Unschuld ihres Mandanten. Dabei hatte sie noch vor dem Prozess gesagt: „Was ich glaube, ist völlig irrelevant; relevant ist allein die Frage, was das Gericht glaubt.“

Das Ende einer NachtFoto: ZDF / Martin V. Menke
Nur ein Zufall? Ina Weisse heißt im Film Eva Hartmann. Der Mann, den sie verteidigt, wird gespielt von Jörg Hartmann. Barbara Auers Richterin heißt Weiss. Der Film ist ein Duell, im Zentrum der Beziehungs-Konstruktion aber steht Weisses Hartmann.

Ein Duell zwischen Richterin und Verteidigerin
„Das Ende einer Nacht“ ist ein vielschichtiges Justizdrama, das mit durchgängigem Thrill und starken Beziehungs(film)momenten punktet. Der Film von Matti Geschonneck ist als ein Duell zweier Frauen angelegt. Bringt die Richterin der Verteidigerin anfangs „eine gewisse Verachtung entgegen, weil sie ihrer Meinung nach auf der falschen Seite steht, imponiert ihr schon recht bald deren kaltblütiger Verstand und ihre Streitbarkeit“, betont Barbara Auer. Ihre Richterin dagegen ist ganz Mensch. Sie wird ihre Gefühle nicht los. Sie empfindet Wut, Zweifel, Mitgefühl und Empörung. Was bleibt für das Gegenüber ist Respekt. Was bleibt als Perspektive für das eigene Tun, ist ein Stück weit Ohnmacht. Auf beiden Seiten. Der Strafverteidigerin geht es anfangs nur um das Machbare im Rahmen des Strafprozessrechts, nicht um die Wahrheit oder um die Schuldfrage. „Es geht ihr allein darum, ob die Beweise vor Gericht ausreichen, um ihren Mandanten zu verurteilen“, so Ina Weisse. Doch auch bei der Anwältin verabschiedet sich irgendwann ihre professionelle Distanz: Sie beginnt zu zweifeln. Ist das nicht ein frauenverachtender „Schmierlappen“, den sie da verteidigen muss?! Ist das Strafrecht vielleicht doch nicht das richtige Parkett für die langjährige Wirtschaftsanwältin?

Eine Achterbahnfahrt auch für den Zuschauer
„Diese Zerrissenheit zwischen juristischem Pragmatismus und moralischer Befangenheit versucht der Film zu zeigen“, sagt Regisseur Matti Geschonneck. „Das Ende einer Nacht“ verweist auf die häufig zitierte Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit. Das ist ein Dilemma. Besonders bei Fällen von häuslicher Gewalt stößt Justitia an ihre Grenzen. „Vergewaltigungen in der Ehe spielen sich in einem verborgenen Raum ab, in einer Dunkelzone“, so Geschonneck. Entsprechend spielt der Zweifel bei der Wahrnehmung des Films eine entscheidende Rolle. Als Zuschauer stehen einem mehrere Perspektiven zur Verfügung, ein Informationsvorsprung ist daraus in der ersten Stunde aber nicht abzuleiten. Vielleicht ertappt man sich dabei, wie sich das eigene Wertesystem bei der Beurteilung der Handlung in den Vordergrund schiebt, wie sich Anti- und Sympathie-Muster bilden und wie das bisher Vermutete wieder mit Zweifeln belegt wird. Wem können wir glauben? Was können wir glauben? Vom moralischen Standpunkt aus gesehen, mag das Dilemma des Nicht-Wissen-Könnens, das über einen Prozess, das vor allem aber auch über diesen Film hinausgeht, unbefriedigend sein, ästhetisch aber ist das der Nährboden für ein ganz großes Fernseh-Spiel.

Das Ende einer NachtFoto: ZDF / Martin V. Menke
Besonders gelungen: der geschmeidige Wechsel zwischen öffentlichem Raum und den privaten Stunden außerhalb des Gerichtssaals. Weisse, Brandt und Auer.

Dichtes Buch, kluge Regie, überragend die Arbeit aller Gewerke
Zwei Frauen führen das Wort in diesem Film. Beide begegnen sich auf Augenhöhe. Die eine regiert souverän im Gerichtssaal, die andere attackiert sachlich, emotionslos und „in vollendeter Höflichkeit“. Der Tag vor Gericht wirkt in den Feierabend hinein. Ein Mal laufen sich die Kontrahentinnen am Abend sogar über den Weg. „Die Erotik totaler Skrupellosig-keit“, stichelt anschließend der Ehemann der Richterin (Matthias Brandt glänzt in dieser wunderbaren Nebenrolle). Und in der entscheidenden Nacht besucht die Richterin die Verteidigerin im Hotel. Und wieder einmal schwenkt sie das Rotweinglas. Das sind Szenen, die aufgeladen sind mit der ganzen inneren Spannung dieses Films. In ihnen kristallisieren sich Haltungen, Gefühle, Wertvorstellungen, Berufsbilder, Frauenbilder. Die Dialoge von Magnus Vattrodt sind knapp, präzise und vielschichtig. Für den nötigen Hauch Mehrdeutigkeit sorgen Barbara Auer und Ina Weisse, die diese Szenen zu einem faszinierenden Vexierspiel aus Klugheit und Sinnlichkeit machen. Matti Geschonneck zeigt sich einmal mehr auf der Höhe seiner Kunst. In „Das Ende einer Nacht“ ergeht sich sein Inszenierungswille nicht wie zuletzt des Öfteren in Genre-Eleganz, seine große Stilsicherheit bekommt durch die Geschichte, das Verhandelte, die Tiefe der Figuren, die in der „Charakterfärbung“ durch Kamerafrau Judith Kaufmann ihre Entsprechung findet, eine Nachhaltigkeit, die in letzter Zeit allenfalls sein Film „Liebesjahre“ besaß. Dass auch in diesem Kammerspiel Magnus Vattrodt das Buch schrieb, ist kein Zufall. Der Beginn einer wunderbar kreativen Freundschaft?

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Barbara Auer, Ina Weisse, Jörg Hartmann, Katharina Lorenz, Matthias Brandt, Christoph M. Ohrt, Alexander Hörbe, Johann Adam Oest, Bernhard Schütz, Christina Hecke, Tobias Oertel, Melika Foroutan

Kamera: Judith Kaufmann

Szenenbild: Thomas Freudenthal

Kostüm: Anneke Troost

Schnitt: Ursula Höf

Musik: Florian Tessloff

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Wolfgang Cimera

Drehbuch: Magnus Vattrodt

Regie: Matti Geschonneck

Quote: 6,07 Mio. Zuschauer (18,3% MA)

EA: 26.03.2012 20:15 Uhr | ZDF

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