In der hiesigen Film- und Fernsehbranche ist „Das Boot“ so etwas wie ein Mythos. Der Kriegsfilm (1981) über die Erlebnisse einer im südwestfranzösischen La Rochelle stationierten U-Boot-Besatzung war für sechs „Oscars“ nominiert (u.a. Regie, Kamera) und zählt nach wie vor zu den teuersten und erfolgreichsten deutschen Kino-Produktionen. Der bis heute als lebende Legende verehrte Bavaria-Produzent Günther Rohrbach prägte damals den Begriff des „amphibischen Films“, weil Wolfgang Petersen (Buch & Regie) die Vorlage von Lothar Günther Buchheim auch als doppelt so lange Version für einen TV-Mehrteiler adaptiert hatte, den die ARD 1985 erstmals in Form von drei Teilen à ca. 100 Minuten gezeigt hat. „Das Boot“ bedeutete den Durchbruch für eine Reihe von bis dahin kaum bekannten Schauspielern, darunter Herbert Grönemeyer, Heinz Hoenig, Uwe Ochsenknecht oder Jan Fedder; bereits bekannt war zum damaligen Zeitpunkt allein Jürgen Prochnow. Neben den darstellerischen Leistungen zeichnen sich Film und Serie vor allem durch die fast dokumentarisch wirkenden klaustrophobischen Szenen an Bord des U-Boots aus. Gerade die beklemmenden Momente, wenn die Mannschaft in atemloser Stille hofft, dass die feindlichen Wasserbomben am Boot vorbeitrudeln, haben hohe Maßstäbe gesetzt. Für Petersen öffnete das in der großen Zeit der Friedensbewegung zudem als Antikriegsfilm konzipierte Werk die Tür nach Hollywood.
Nun ist Buchheims gleichnamiger Roman ein weiteres Mal adaptiert worden. Wie jede Neuverfilmung muss sich die Sky-Serie nicht nur am Original messen lassen, sondern auch der Frage nach ihrem Status stellen: Ist sie ein bloßes Remake oder gelingt es ihr, den Stoff neu zu erfinden? Tatsächlich stimmt beides. Das beengte Leben an Bord („vierzig Mann, keine Dusche, ein Scheißhaus“), die Stimmung in der Mannschaft und die Eintönigkeit des Alltags entsprechen dem Klassiker, zumal Filmmusikkomponist Matthias Weber auch Klaus Doldingers berühmte Erkennungsmelodie leitmotivisch verarbeitet hat. Das Drehbuch (Chefautoren: Tony Saint, Johannes W. Betz) enthält aber auch Motive aus weiteren Buchheim-Romanen („Die Festung”, „Der Abschied“) und erzählt eine andere Geschichte. Das wird schon im Vorspann deutlich: Der erste Name, der erscheint, ist Vicky Krieps („Der seidene Faden”). In Petersens Film tauchen mit Ausnahme einer Sängerin überhaupt keine Frauen auf; das wäre heute bei einem Projekt, das nicht zuletzt im Hinblick auf den Weltmarkt produziert worden ist, undenkbar. Die Luxemburgerin spielt eine linientreue elsässische Dolmetscherin: Simone Strasser wird zu Beginn der ein Jahr nach den Ereignissen von Petersens Film angesiedelten Handlung nach La Rochelle versetzt und dort unfreiwillig in die Résistance hineingezogen. Ihr Bruder Frank (Leonard Scheicher) ist Funker, hat sich in eine jüdische Barfrau verliebt, will mit ihr nach Amerika fliehen und zu diesem Zweck beim französischen Widerstand Informationen gegen gefälschte Pässe tauschen. Weil er aber überraschend auf das Boot U 612 abkommandiert wird, kann er den Übergabetermin nicht wahrnehmen; das soll nun Simone übernehmen, die zu diesem Zeitpunkt nicht die geringste Ahnung hat, worauf sie sich einlässt, und schließlich sogar zur Mörderin wird.
Parallel zu den Abenteuern der Übersetzerin erzählt die achtstündige Serie von den Ereignissen auf See, oder richtiger: von der Ereignislosigkeit. Die erste Folge beginnt mit einer spektakulären Sequenz, die in Echtzeit die Folgen eines Bombardements zeigt: Gespräche im Flüsterton, Schraubengeräusche eines feindlichen Schiffs, das typische „Ping“ des Sonars, der erschreckte Ausruf „Wasserbomben – Dutzende!“, Explosionen, Stoßgebete, Schmerzensschreie, Feuer, eindringendes Wasser: das U-Boot wird zum schwimmenden Sarg. Doch dieser neun Minuten lange Auftakt noch vor dem Vorspann ist ein typischer Cliffhanger-Einstieg und fast ein falsches Versprechen; oder eins, das die Serie erst viel später einlöst, denn auf dem Schiff geht es in erster Linie um die Animositäten zwischen dem jungen Kommandanten Hoffmann (Rick Okon) und seinem ersten Wachoffizier (August Wittgenstein). Der amphetaminsüchtige 1. WO hat die größere Erfahrung, ist überzeugt, dass der kürzlich beförderte Kapitänleutnant das Kommando nur seinem berühmten Vater verdankt und macht bei den anderen Offizieren Stimmung gegen den Vorgesetzten, erst recht, als sie mitten im Angriff auf ein feindliches Schiff abdrehen sollen, um einen von Goebbels persönlich stammenden Geheimauftrag zu erfüllen. In der Mannschaft, die sich wie bei Buchheim und auch bei Petersen aus allerlei vierschrötigen Gestalten mit entsprechend rauem Umgangston zusammensetzt, kursieren zudem Gerüchte, der „Kaleu“ habe eigenhändig einen Matrosen wegen Feigheit vor dem Feind erschossen. Mit dieser Szene wird Hoffmann auch eingeführt: Seine Aussage führt zur Verurteilung des jungen Mannes (Matti Schmidt-Schaller). Später bittet er Fregattenkapitän (Bock) vergeblich um Gnade für den Jungen, der am nächsten Morgen hingerichtet wird. Weil er nicht sofort tot ist, gibt Hoffmann ihm den Gnadenschuss.
„Das Boot” (2018) – ein Kriegsfilm ohne politischen Hintergrund?
Als Wolfgang Petersen sein Drehbuch zu „Das Boot” schrieb, waren anspruchsvolle Kriegsfilme im Kino durchweg Antikriegsfilme. Die frühen Achtziger waren die große Zeit der Friedensbewegung. Im Oktober 1981, gut drei Wochen nach dem Kinostart des Films, demonstrierten im Bonner Hofgarten 300.000 Menschen gegen Atomwaffen. Der Protest gegen den sogenannten Nato-Doppelbeschluss mobilisierte im Sommer 1982 am gleichen Ort sogar eine halbe Million Demonstranten. Aber die Zeiten haben sich geändert. Angesichts von Politikern, die die Zeit des Nationalsozialismus als „Vogelschiss der Geschichte“ verharmlosen, genügt die Darstellung von Kriegsgräueln nicht mehr, um sich das Prädikat „Antikriegsfilm“ zu verdienen. Tatsächlich bewegt sich Prochaskas Serie sogar auf schmalem Grat, weil sie die historischen Ereignisse zumindest in den ersten vier vorab zur Verfügung gestellten Folgen nicht weiter reflektiert. Der politische Hintergrund wird ohnehin nur beiläufig erwähnt, als ein Résistance-Mitglied auf das Schicksal der Juden in Osteuropa hinweist. Politische Aussagen stammen ansonsten ausnahmslos von den Tätern. Das mag Kalkül und mit der Hoffnung verbunden sein, sie entlarvten sich auf diese Weise selbst, ist aber riskant, erst recht, wenn diese Personen – etwa der Gestapo-Chef – auch noch sympathische Züge tragen. Andererseits ist die Serie sicher nicht kriegsverherrlichend, und auf allzu plump vorgetragene Botschaften reagieren Zuschauer und Kritiker aus gutem Grund allergisch; außerdem durchläuft die Identifikationsfigur der Geschichte, die zunächst linientreue Dolmetscherin, einen Sinneswandel. Angesichts von Desinteresse, was historische Zusammenhänge angeht, und schlichtem Unwissen gerade bei jungen Menschen ist allerdings fraglich, ob das genügt. tpg.
In dieser angedeuteten Zwiespältigkeit liegt auch der Reiz der Figur: Einerseits stellt der Kapitänleutnant Befehle nicht infrage, andererseits ist er sich seiner Jugend und Unerfahrenheit bewusst und hat entsprechende Zweifel, ob er überhaupt in der Lage ist, ein Schiff zu führen; außerdem steht er selbstverständlich im Schatten seines Vaters, eines allseits verehrten Kriegshelden, dessen Handbuch für das Führen eines U-Boots als Bibel gilt. Eine ähnlich ambivalente Rolle ist die männliche Hauptfigur der Landszenen: Hagen Forster, der von Tom Wlaschiha durchaus als Sympathieträger verkörperte Gestapo-Chef von La Rochelle, ist ein Mann mit Kultur und Manieren, was bei Simone prompt einen gewissen Eindruck hinterlässt; Forster ist ebenfalls angetan. Der Kriminalrat hat keine moralischen Skrupel, eine Widerstandskämpferin zu Tode foltern zu lassen, aber es widerstrebt ihm, als Vergeltung für einen Anschlag auf den Stützpunkt unschuldige Franzosen zu ermorden.
Im Grunde laufen die beiden Handlungsstränge – hier das Boot, dort La Rochelle – über weite Strecken nebeneinander her; wäre Simones Bruder nicht an Bord von U 612, gäbe es gar keine Verbindung. Trotzdem wird die Serie gerade durch den regelmäßigen Wechsel interessant. Die Ebene mit der Dolmetscherin entpuppt sich als willkommene Ergänzung zu den auf Dauer eintönigen Szenen im U-Boot. Da die Besatzung größtenteils den erwartbaren proletarischen Klischees entspricht, haben die Offiziersdarsteller (neben Okon & Wittgenstein noch Franz Dinda als „Bootsflüsterer“) vergleichsweise leichtes Spiel, sich zu profilieren. Anders als die Hollywood-Nazis sprechen sie übrigens vorzüglich englisch. Regie führte der Wiener Andreas Prochaska, nicht nur wegen seiner deutsch-österreichischen Krimireihe „Spuren des Bösen“ einer der besten Regisseure im deutschsprachigen Raum. Die enorme Dichte des Prologs erreicht seine Inszenierung allerdings nur selten, selbst wenn Szenen wie die Amputation eines Arms oder einer Gruppenvergewaltigung ziemlich unter die Haut gehen.
Das Budget der Serie lag bei 26,5 Millionen Euro; Prochaska konnte also umgerechnet ähnlich viel Geld ausgeben wie damals Petersen (32 Millionen Mark). Sein „Boot“ ist damit eine der teuersten deutschen TV-Produktionen und im Vergleich sogar kostspieliger als „Babylon Berlin“. Trotzdem hat Sky die Serie ohne Beteiligung anderer Sender produziert; Partner ist neben der Bavaria, die einst für Petersen an ihre Grenzen gehen musste, die amerikanische Sonar Entertainment. Für die Vertriebsfirma hat sich das Engagement schon jetzt ausgezahlt: Die Serie konnte bereits in über hundert Länder verkauft werden. (Text-Stand: 11.11.2018)