Adam Danowski ist schon ein ziemlich ungewöhnlicher TV-Ermittler. Reihenkommissare sind in der Regel notorische Einzelgänger, die ausschließlich für den Beruf leben; ihre sozialen Kontakte reduzieren sich auf den beruflichen Partner. Wenn sie Eltern sind, dann allenfalls in Teilzeit. Kommissar Danowski ist zwar etwas zerknittert, aber glücklich verheiratet und hat zwei sympathische Töchter. Außerdem wird er von Milan Peschel verkörpert; schon allein das macht den Hamburger Polizisten zu einer besonderen Figur. Zusätzlich zum Oberlippenbart zeichnet ihn ein weiteres Merkmal aus: Er leidet unter gesteigerter Wahrnehmungsfähigkeit. Diese Hypersensibilität hat zur Folge, dass er lernen muss, die Umwelteindrücke zu filtern, weil sonst sein System kollabiert. Rosinen sollen seine Achtsamkeit erhöhen, was Peschel neben gelegentlichen kleinen Missgeschicken zu weiteren witzigen Momenten nutzt.
Ausgedacht hat sich den ungewöhnlichen Ermittler nicht etwa Anna Tebbe (das Drehbuch-Pseudonym von Produzentin Annette Reeker), sondern Till Raether. Der Krimischriftsteller hat fünf Romane über Adam Danowski geschrieben. Angesichts des vermeintlichen Reihentitels ist es umso erstaunlicher, dass beim ZDF derzeit keine weiteren Adaptionen geplant sind; dabei macht „Blutapfel“ große Lust auf mehr. Bei ihren Taunus-Krimis nach Nele Neuhaus hat Reeker stets mit Marcus O. Rosenmüller zusammengearbeitet. Diesmal führt der Schweizer Markus Imboden Regie. Der zweifache Grimme-Preisträger („Mörder auf Amrum“ /„Ausgerechnet Zoé“) hat eine ganze Reihe großartiger Krimis nach Drehbüchern von Holger Karsten Schmidt gedreht, allen voran die mitunter recht makabren Finn-Zehender-Filme mit Hinnerk Schönemann. „Blutapfel“ überrascht ebenfalls immer wieder mit einem etwas bizarren Humor, für den auf unnachahmliche Weise vor allem Peschel sorgt.
Foto: ZDF / Georges Pauly
Ansonsten deutet jedoch schon die satte Farbgebung an, dass der Film eine andere Richtung einschlägt als die stellenweise knallharten Schmidt-Geschichten, selbst wenn der Prolog erst mal Action verspricht: Hamburg, Hafen, triste Szenerie, ein Schuss zerreißt die Stille; selbst der Titel zuckt zusammen. Später wird die mutmaßliche Schützin im Präsidium auftauchen: Die Firma der in Deutschland aufgewachsenen Amerikanerin Tracy Harris (Isabella Parkinson) versorgt die Hamburger Polizei mit kleinen Körperkameras, deren Aufnahmen helfen sollen, die Einsätze zu analysieren. Was sie und ihr junger Kollege, der zu Beginn die Leiche entsorgt, mit dem Fall zu tun haben, erschließt sich zumindest nicht auf Anhieb. Beide Rollen sind jedoch ausgesprochen interessant; dem charismatischen Marc Benjamin genügen ohnehin zwei kurze Szenen, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Der rätselhafte Auftakt wird sich allerdings wie ein Fragezeichen durch die Geschichte ziehen.
Der Film erweckt ohnehin den Eindruck, die Figuren hätten es Reeker mehr angetan als der Fall, zumal sich die Auflösung eines Mordes im Elbtunnel am Ende als vergleichsweise simpel entpuppt. Danowskis Kollegen fallen ebenfalls aus dem Rahmen, allen voran sein Freund und Ex-Partner „Finzi“, ein Alkoholiker, der sich nach überstandener Entziehungskur mit kleinen Schritten in den Dienst zurückarbeitet; Andreas Döhler genügen Nuancen, um den seltsamen Vogel zum Sympathieträger zu machen. Antagonist des Duos ist Kommissar Behling (Felix Goeser), der in jedem Delikt den Auftakt zu einem Bandenkrieg sieht; später wird ihm der Film eine süffisante Quittung für seine Großkotzigkeit verpassen. Die einzige normale Ermittlerin ist Danowskis neue Partnerin. Dass Meta (Emily Cox) ein bisschen redselig ist, macht überhaupt nichts, denn die Dialoge machen gleichfalls großen Spaß.
Neben dem Sammelsurium interessanter Rollen und der besonderen Musik verdeutlicht auch die bilderreiche und entsprechend aufwändig wirkende Verpackung, dass den Verantwortlichen ein spezieller Film vorschwebte. Imboden und Kameramann Martin Farkas verzichten auf das fernsehübliche Hamburg und zeigen die Hansestadt ähnlich wie die Craig-Russel-Verfilmungen der ARD-Tochter Degeto (allen voran „Blutadler“) von einer ganz anderen Seite: Der Reiz der Handlung resultiert nicht zuletzt aus dem „Urban Exploration“-Phänomen. Urban Explorer sind moderne Abenteurer, die sich einen Wettbewerb darin liefern, Industrie-Ruinen und Unterwelt zu erkunden. Wer als erster einen spannenden Ort entdeckt, hinterlässt seine Signatur. Auf diese Weise gibt es eine Reihe pittoresker Schauplätze, zumal die Röhren des Elbtunnels und die Überwachungszentrale nicht minder faszinierende Drehorte sind. Der Mord hingegen bleibt lange Zeit ein Rätsel, zumal das Opfer, Oliver Wiebusch (eine Minirolle für Peter Schneider), von seinen Nachbarn als stets hilfsbereite „Seele der Siedlung“ bezeichnet wird. Zu diesem Zeitpunkt hat Danowski jedoch weder das High-Tech-Versteck in Wiebuschs Keller gefunden noch weiß er, was es mit der Operation „Blutapfel“ auf sich hat; ganz zu schweigen von der Erkenntnis, dass im Hintergrund BND und CIA mitmischen. (Text-Stand: 14.11.2019)
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