Chaos-Queens – Lügen, die von Herzen kommen

Anna König, Tim Bergmann, Gier, Kuhlmann, Kimmel. Selbstfindung in Mainhattan

Foto: ZDF / Christian Lüdeke
Foto Rainer Tittelbach

Nach der Kleinstadt-Komödie „Ehebrecher und andere Unschuldslämmer“ nimmt sich der zweite Beitrag zur „Chaos-Queens“-Reihe in diesem Jahr, „Lügen, die von Herzen kommen“ (ZDF / U5 Filmproduktion), das urbane Leben vor. Weil von der Einsamkeit in der Großstadt erzählt wird, darf Frankfurt ein bisschen aussehen wie New York, sogar die Mädels aus „Sex and the City“ finden Eingang in den Dialog. Im Plot nach dem Roman von Kerstin Gier vermisst man allerdings weitgehend Pepp & Pointen. So sympathisch die moppelige Heldin & einiges andere ist, so aufgesetzt wirkt der Redaktionsalltag, so bieder sind die vermittelten Werte, so abgedroschen ist die Darstellung der Romantik, so diskussionswürdig manch ein Frauenbild. Dagegen lebt die Inszenierung von der Dualität der Schauplätze, der zwei Welten, wodurch die Bildästhetik weder zu postmodern kühl noch zu verspielt naturbelassen wirkt. Fazit: geeignet für Gier-Fans & Liebhaberinnen eines etwas anderen „Herzkino“.

So eine richtig erlebte Story über das Flirten und die Liebe im Web wünscht sich Adam Birnbaum (Tim Bergmann), der neue Chefredakteur des Frauenmagazins „Cosma“, und das ausgerechnet von Hanna (Anna König), die im Moment mal wieder nicht weiß, wo ihr der Kopf steht. Ihr antriebsloser Bruder Philipp (Tom Gronau) steckt mitten im Abi, hat sich zu allem Überfluss auch noch die schräge Helena (Nina Fautz) ins Bett geholt, und ihre mit ihren drei Kindern völlig überforderte Schwester Toni (Mira Bartuschek) drückt ihr ständig ihre Quälgeister in die Hand, derweil Mutter Keilash (Katharina Schubert) sie mit ganz anderen Geistern nervt und dabei ihrem Namen alle Ehre macht. Fürs Praktische fehlt ihr der Sinn, dafür gibt es ja die liebe Hanna. Doch wenn alle an ihr zerren, wie soll sie sich dann die Zeit zum Daten freischaufeln? Muss aber sein, schließlich will sie ihren Chef nicht enttäuschen. Außerdem befürchtet ihre Kollegin und beste Freundin Carla (Katharina Schlothauer), dass es Kündigungen geben könnte. Und den Job zu verlieren – das wäre für Hanna und ihre Liebsten der Untergang: Denn sie ist auch diejenige, die für die Familie die Brötchen verdient.

Chaos-Queens – Lügen, die von Herzen kommenFoto: ZDF / Christian Lüdeke
Moppel-Ich & Schüchtern-Du. Tim Bergmann & Anna König geben ein erfrischend anderes Liebespaar im ZDF-„Herzkino“. Wenn nur nicht vieles hinter der vermeintlich cool-urbanen Oberfläche so furchtbar altbacken wäre.

Nach dem kleinstädtischen Mikrokosmos in der amüsanten Komödie „Ehebrecher und andere Unschuldslämmer“ nimmt sich der zweite Beitrag 2018 zur ZDF-„Chaos-Queens“-Reihe, „Lügen, die von Herzen kommen“, das urbane Leben vor. Die an sich gut strukturierte Heldin ist von den wichtigeren weiblichen Figuren des Films eigentlich am wenigsten eine Chaos-Queen. Chaos macht die Familie, Chaos machen die Freundinnen und so gerät auch sie, die Frau, die nicht nein sagen kann, laufend in Stress und in peinliche Situationen. Wer sich morgens im Verlagsfahrstuhl noch auf die Schnelle umziehen muss (wobei Hanna natürlich Bekanntschaft mit dem neuen Chef macht), der hat sich das Etikett „Chaos-Queen“ dann doch redlich verdient. Als ihr Minuten später, nachdem ihr einer der besseren Dialogsätze herausgerutscht ist, „Ich fürchte, die Bluse und ich haben sich irgendwie auseinandergelebt“, vor den Augen ihres Chefs & der versammelten Redakteursmeute der oberste Knopf von eben jener Bluse springt, ist die Richtung der Geschichte vorgegeben: Hanna kämpft nicht nur mit ihren Zeitressourcen, sondern auch mit ihren Fettpölsterchen; doch am Ende wird sie beide Kämpfe gewinnen. Und Adam Birnbaum sucht eine Eva, und er sehnt sich bald danach, der Knopf an Hannas Bluse zu sein. Erst aber müssen beide noch einen Umweg über eine Sport-App gehen, sich die Finger wund chatten und einige Joggingrunden am Main drehen.

Weil unter anderem von der Einsamkeit in der Großstadt erzählt wird, darf die Main-Metropole gelegentlich ein bisschen aussehen wie New York. Sogar die Mädels aus „Sex and the City“ finden Eingang in den Dialog des aufgesetzt kessen Freundinnentrios. Plot & Pointen aber besitzen leider so gar nichts von dieser coolen US-Frauen-Comedy mit ihren gefestigten, lebensklugen Narzisstinnen. Allerdings sind auch zwei davon keine Hauptfiguren, sondern sind wie das gesamte Personal neben dem potenziellen Paar nur Funktionsträger der Handlung. Anders als in den kreisförmigen Interaktionen um die Chaos-Queens, die Broich und Ehrich in dem „Ehebrecher“-Film verkörpern, sind die Nebenfiguren allenfalls schmückendes Beiwerk. Selbst wenn nach 70 Filmminuten das Drama über die Komödie hereinzubrechen droht, die Heldin endlich aus der Haut fährt, ihre kindlichen Verletzungen offen zutage treten und sie ihre Klischee-Mutter auf schamanischem Selbstfindungstrip zur Rede stellt, ist dieser schmerzvolle Ausbruch allenfalls der Startschuss zu Hannas Veränderung. Das Mutter-Tochter-Thema indes vertieft dieser durchaus überzeugend gespielte „Schockmoment“ im ansonsten harmlosen Geplänkel nicht. „Ich muss niemandem mehr gegenüber Rechenschaft ablegen und ich bin niemandem gegenüber zu irgendetwas verpflichtet“, lautet Hannas neues Credo. Endlich setzt sie ihre Kräfte für sich ein, für ihr Wohlbefinden. Dass sie es schaffen kann, ja, dass sie es aus eigener Kraft schaffen wird, um den gängigsten Mythos der Ratgeberliteratur zu zitieren, das ist für diese Frau keine Frage. Sie muss nur ihre Rolle als Mädchen für alles ablegen. Zunehmend souverän geht sie auch mit ihrer Moppeligkeit um. Und der ihr zugeneigte Chef scheint gar keinen Gedanken an ihre Figur zu verschwenden. Anna König spielt jene Hanna entsprechend als unverstellte, grundehrliche Mittdreißigerin, als eine Frau fürs Praktische, die sich um andere sorgt und deren Ängste sich deshalb aus Zeitmangel in Grenzen halten. Dass man die Rolle nicht mit einer bekannteren Schauspielerin (beispielsweise Diana Amft) besetzt hat, unterstützt die Bezüge zu den Alltagserfahrungen der Zielgruppe.

Chaos-Queens – Lügen, die von Herzen kommenFoto: ZDF / Christian Lüdeke
Etwas mehr Understatement (Anna König & Tim Bergmann machen’s am besten) hätte dem Film gutgetan. So wirkt das Ganze wie eine Mixtur aus Sat-1-RomCom und den „Lauter tollen Frauen“ aus den Neunzigern.

In die schnuckelig verwunschene Villa Kunterbunt der Rübenstrunks mit dem verwilderten Gärtchen – und das alles offenbar fußläufig zum Main (was wohl eine „Cosmo“-Redakteurin so verdient?!) – würde man schon gerne einziehen. So sympathisch also auch einiges in dieser Geschichte ist, so aufgesetzt jungdynamisch wirkt der Redaktionsalltag, so bieder sind die vermittelten Werte („ich möchte ankommen“), so abgedroschen die Darstellung der Romantik (nachdenkliche Blicke in die Weite) und so diskussionswürdig manch ein Frauenbild. Dagegen lebt die Inszenierung von der Dualität der Schauplätze, der zwei Welten, wodurch die Bildästhetik weder zu postmodern steril noch zu verspielt naturbelassen wirkt. Die Heldin allerdings passt so richtig in keine der beiden Milieus. Das ist offensichtlich, wird aber nur bedingt Gegenstand der Erzählung. Leider hat sich Autor Stefan Kuhlmann für diese etwas tiefere (Psycho-)Logik der Geschichte nicht interessiert. Anstatt den Widerspruch zwischen jener Coolness und Post-Hippie-Ära, den jene Hanna Rübenstrunk tagtäglich gezwungen ist zu leben, zum springenden Punkt des Plots zu machen, kommt Kuhlmann mit einer altbackenen Liebesgeschichte um die Ecke. Dramaturgisch hangelt er sich an der dadurch psychologisch ziemlich dünnen Geschichte entlang, lässt die Heldin urplötzlich explodieren und unvermittelt ihr Leben ändern. Ohne dass der Kritiker Giers Buch kennt, hat es für ihn den Eindruck, als ob sich der Autor zu sehr an der äußeren „Handlung“ des Romans orientiert hat, statt sich stärker auf die Hauptfigur einzulassen. Mehr Streichungen und Straffungen hätten der Selbstfindungsstory auch gut getan. Die wenig wahrheitsgemäße Selbstdarstellung im Netz mag ein Zeitphänomen sein, Psychologie und Dramaturgie ersetzt es nicht und abendfüllend ist es erst recht nicht. So bleibt „Lügen, die von Herzen kommen“ ein Film vor allem für Kerstin-Gier-Fans und Liebhaberinnen eines etwas anderen „Herzkinos“. Für (Ehe-)Männer und Freunde intelligenter Komödien ist der Film weniger zu empfehlen.

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Reihe

ZDF

Mit Anna König, Tim Bergmann, Katharina Schubert, Katharina Schlothauer, Tom Gronau, Mira Bartuschek, Leonie Rainer, Janina Fautz, Alexandra von Schwerin, Anna Böger

Kamera: Markus Hausen

Szenenbild: Holger Müller

Schnitt: Guido Krajewski

Musik: Eike Hosenfedl, Moritz Denis

Redaktion: Beate Bramstedt

Produktionsfirma: U5 Filmproduktion

Produktion: Karl-Eberhard Schäfer, Norbert Walter, Katrin Haase

Drehbuch: Stefan Kuhlmann – nach dem Roman von Kerstin Gier

Regie: Imogen Kimmel

Quote: 3,16 Mio. Zuschauer (8,6% MA)

EA: 25.02.2018 20:15 Uhr | ZDF

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