Brief an mein Leben

Marie Bäumer, Laila Stieler, Urs Egger. Großes Burnout-Drama – sensibel, assoziativ, heilsam

Foto: ZDF / Conny Klein
Foto Rainer Tittelbach

Lange überhört eine erfolgreiche Wissenschaftlerin die Signale ihres Körpers. Dann geht nichts mehr: Burnout. Die lösungsorientierte Frau weist sich selbst in eine Klinik ein. Anfangs kann sie mit den „empfindsamen“ Methoden dort nichts anfangen, doch dann bricht der Schmerz aus ihr heraus – und der Heilungsprozess kann beginnen. „Brief an mein Leben“ ist entstanden nach dem autobiographischen Buch von Miriam Meckel. Laila Stieler (Buch) & Urs Egger (Regie) haben daraus einen herausragenden Film gemacht: psychologisch stimmig, nah am Therapiealltag, dramaturgisch klug & filmästhetisch brilliant. So ist das ZDF-Drama bei aller Themenrelevanz auch ein faszinierender Spielfilm. Grandios: Marie Bäumer!

Burnout: Zusammenbruch und Heilung mit Widerständen
Der Körper gehorcht nur noch widerwillig, die Augen können die Schlafstörungen nicht länger verbergen, der Organismus reagiert mit ersten Aussetzern, die Erschöpfung legt sich aufs Gemüt. Toni Lehmstedt überhört die Signale. Die globale Nomadin, eine gefragte Wissenschaftlerin, hat bisher noch alles geschafft. Doch jetzt schafft diese Krankheit sie: Kreislaufversagen, Zusammenbruch, nichts geht mehr. Die Diagnose: Burnout. Toni weist sich selber in eine „sanft“ therapierende Klinik für psychische Erkrankungen ein. Doch die Methoden entsprechen nicht ihrer lösungsorientierten Art. Und nur schwer erträgt sie einige der – ihrer Meinung nach – äußerst distanzlosen Mit-Patienten. Keiner ist auf ihrem intellektuellen Level. „Ich glaub, ich bin hier falsch“, sagt sie, diese „nach innen gerichtete Empfindsamkeit“ ist ihr fremd. Aber ihr fehlt es an Alternativen – und es fehlt ihr an Energie und Lebensmut. Also bleibt sie und lernt langsam, sich mit ihrem bisherigen Leben auseinanderzusetzen: mit ihren Eltern, ihrer neuen Partnerin, ihrem geliebten Beruf und der übermächtigen Rolle, die er für Toni spielt. Eine Schlafentzugstherapie öffnet bei ihr alle Schleusen: Toni weint sich die Augen aus, nachdem sie jahrelang Gefühle wie Trauer nicht zugelassen hat. Eine mehrtägige Klausur ohne Medien, ohne Aktivitäten mit anderen Patienten und ohne Kontakt zur Außenwelt macht schließlich den Weg zu ihrer Heilung frei.

Brief an mein LebenFoto: ZDF / Conny Klein
Ein erster entscheidender Dämpfer: die unheilbar kranke Mutter (Jutta Wachowiak), die sterben wird. Diese Ohnmachtserfahrung erschüttert das vom Verstand geleitete Leben der Ozeanografin (Bäumer). Die Macherin ist ratlos und kann nicht trauern.

„’Burnout’ ist ein modischer Begriff, der das Nicht-Mehr-Können gemäß den Maßstäben der Leistungsgesellschaft sozial legitimiert und gleichsam beschönigt: Man hat eben zu viel gearbeitet. Die Selbst-Überforderung in der digitalisierten modernen Arbeitswelt ist aber nur Symptom und Teil einer Krankheit, deren Wurzeln tiefer reichen. Sie bildet das Scheitern und vorläufige Ende einer ‚Lebensstrategie’, die das nie lebendig werden lässt, was ein erfülltes Leben ausmacht.“ (ZDF-Redakteur Günther van Endert)

Trauer: Bausteine einer Persönlichkeit, Phasen einer Erkrankung
„Brief an mein Leben“ ist entstanden nach dem autobiographischen Sachbuch von Miriam Meckel. Aus der Kommunikationswissenschaftlerin und Publizistin, die seit 2014 Chefredakteurin der „Wirtschaftswoche“ ist, hat die Drehbuchautorin Laila Stieler für den Film eine Ozeanographie-Professorin gemacht, eine umtriebige und stresserprobte Frau, die ständig pendelt zwischen Uni, weltweiten Konferenzen, ihrer Lebensgefährtin und ihrem Heimatort, in dem ihre Mutter im Sterben liegt. Sie ist eine Frau, die immer nur gelernt hat zu funktionieren, die sich ihre strebsame Art von ihrem Vater abgeschaut hat und von ihrer Mutter, die sich offenbar im Vater-Mutter-Kind-Dreieck zurückgesetzt fühlte, sehr streng und ohne viel Gefühl erzogen wurde. Bei den Lehmstedts behelligt man auch nicht die anderen mit den eigenen Problemen, sondern man macht die Dinge mit sich selbst aus, gibt sich stark, und man verbietet sich sogar das Trauern über schmerzliche Verluste. Jener Toni wurde so manches in die Wiege gelegt, wovon sie lange nichts wissen wollte. Als sie von der Leukämieerkrankung ihrer Mutter hört, gerät das Leben der erfolgreichen Frau erstmals in eine Schieflage (typisch, dass sie ihrer Lebensgefährtin nicht gleich davon erzählt). Der Tod der Mutter ist dann der Anfang vom Ende: Wohin mit dem Schmerz, wenn man nicht weinen kann und nie gelernt hat zu trauern? Diese Verlust-Erfahrung und die Macht des Schicksals, gegen das die bisher scheinbar vom Leben Verwöhnte mit ihren bewährten Lösungsstrategien plötzlich nichts mehr ausrichten kann, beschleunigen ihren Weg in die Krise.

Brief an mein LebenFoto: ZDF / Conny Klein
Eine Schlüsselszene. Toni (Marie Bäumer) soll sich der Gruppe vorstellen und kriegt einen Lachkrampf. Sie, die führende Ozeanographin, soll ein albernes Redekissen fangen?! Paulmann, Hopp, Monot jr., Hornung, Straub, Große und Stieblich

„Mittlerweile ist das Thema in der Gesellschaft angekommen. Trotzdem trauen sich viele Betroffene erst, sich anderen anzuvertrauen, wenn es eigentlich schon zu spät ist … Anzuerkennen und sich zuzugestehen, dass man nicht mehr kann, ist für die Betroffenen meist die größte Herausforderung. Zu erfahren, dass dieser Zustand einen Namen hat, hilft dann eher: Was man beim Namen nennen kann, damit kann man besser umgehen.“ (Miriam Meckel)

Kluge Collage: Krankheitsbild mit Zuschauerbeteiligung
Der ZDF-Fernsehfilm verzichtet klugerweise darauf, die Therapie und die Ursachensuche für das Burnout-Syndrom in eine chronologische dramaturgische Passform zu zwingen. Mögliche kausale Zusammenhänge zwischen Krankheitsbefund und Biographie muss der Zuschauer selbst herstellen. Die Narration konzentriert sich auf einige für die Erkrankung entscheidenden Phasen der Heldin: das emotional starre Elternhaus mit der an Leukämie erkrankten Mutter, die erfolgreichen und glücklichen Zeiten, in denen sie auch ihre neue Liebe kennenlernt, der psychophysische Niedergang bis hin zum Zusammenbruch, schließlich die sechs Wochen in der Klinik, die teilweise tragikomischen Erfahrungen mit den anderen seelisch gebeutelten Patienten. Das Ergebnis ist überaus gelungen, da die Montage weder beliebig ist, noch mit dem Zeigestock hantiert. So folgt beispielsweise einem Gespräch mit der Klinikpsychologin über die Probleme mit der Therapie, bei dem die Heldin am Ende von ihrer Karriere spricht und sich ihre Gesichtszüge dabei ein wenig aufhellen, ein launiges Abendessen mit ihrer Lebenspartnerin in spe, der private Höhepunkt einer beruflichen Success-Story. Etwas direkter ist der Schnitt zwischen einer Szene, in der sich die gehemmte Professorin von ihrer überglücklichen Freundin nicht zu einem Tänzchen hinreißen lassen kann, und einer Körpertherapieübung, der sie sich verschließt. Besonders gelungen ist eine Situation zu Beginn der Therapie, in der jene Toni in einer Vorstellungsrunde sitzt und lauthals zu lachen anfängt und das Lachen übergeht in Bilder der strahlenden Karrierefrau. Die Rückblende ist mehr als nur die Bild gewordene Vorstellung ihrer Person. Man hört es förmlich im nimmer müde werdenden Kopf der Heldin rattern: „Ich, die führende Ozeanographin, jüngste Professorin Deutschlands, Leibniz-Preis-Gewinnerin, soll ein albernes Redekissen fangen!“ Überhaupt kommt die sinnliche Darstellung in diesem Film an keiner Stelle zu kurz. So schleicht sich beispielsweise nicht einfach nur der Tinnitus ins Leben der Heldin, sondern die Klirrgeräusche lassen auch die Ohren des Zuschauers geradezu erzittern. Für einen Diskurs-trächtigen Film mit psychotherapeutischem Hintergrund und einer Hauptfigur mit hohem Reflexionsvermögen und professionellem Redebedürfnis (in gesundem Zustand) ist das eine enorme Leistung.

Brief an mein LebenFoto: ZDF / Conny Klein
Ein ziemliches Nervenbündel. Nicht ohne Grund hat sich die Professorin (Bäumer), die mit Nähe und Lebenslust so ihre liebe Not hat (und sich deshalb in ihre Arbeit stürzt), die lebendige Maria (Christina Hecke) als Lebenspartnerin ausgeguckt.

Assoziative Narration: „sanfte“ Methode nicht nur in der Klinik
Die Montagetechnik, wie sie Laila Stieler, Urs Egger und Schnittmeister Benjamin Hembus in diesem Film anwenden, besitzt etwas angenehm Assoziatives, was auch gut zu den „sanften“ Methoden in der Klinik passt, welche zwar durch die müden Augen der Heldin kritisch hinterfragt, aber dem Zuschauer nur wenig Anlass dazu geben, von ihm belächelt zu werden. Der Film bewegt sich in diesem Punkt – und das muss er bei diesem Thema auch – auf sehr sicherem Grund. Miriam Meckel hat eine solche „Heilanstalt“ erlebt und klug darüber geschrieben. Und auch Stieler hat sich in einen solchen spezifischen Mikrokosmos begeben. „Ich habe selbst in einer Klinik recherchiert und erlebt, wie es ist, in die Welt der Kranken und Erschöpften einzutauchen, wie fremd ich mich fühle, wie distanziert, wie ich ausweichen will, mich dann aber doch annähere.“ Diese Erfahrung hat die Drehbuchautorin zum Gerüst der Geschichte gemacht. Und sie hat wahre Metaphern für die Heilung gefunden. „Erst nach dem dritten oder vierten Lesen des ‚Briefes’ habe ich begriffen, dass es im Kern um Trauer geht, ums Abschiednehmen und darum, Neues zu wagen.“ (Text-Stand: 31.3.2016)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Marie Bäumer, Christina Hecke, Annette Paulmann, Hanns Zischler, Petra Morzé, Christina Große, Antoine Monot Jr., Tina Engel, Joachim Bißmeier, Jutta Wachowiak, Melanie Straub, Max Hopp, Anna Stieblich, Leopold Hornung

Kamera: Wojciech Szepel, David Slama

Szenenbild: Knut Loewe

Kostüm: Heike Hütt

Schnitt: Benjamin Hembus

Musik: Ina Siefert, Nellis du Biel

Produktionsfirma: Bavaria Fernsehproduktion

Produktion: Anna Oeller

Drehbuch: Laila Stieler – frei nach Motiven des Buchs von Miriam Meckel

Regie: Urs Egger

Quote: 3,24 Mio. Zuschauer (10,1% MA)

EA: 25.04.2016 20:15 Uhr | ZDF

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