Der Serienkiller mit der Sprühdose
Eine brutale Mordserie hält Hamburg in Atem. Das erste Opfer: ein bekannter Liedermacher. Das zweite Opfer: ein renommierter Wissenschaftler. Es ist beunruhigend, dass der Täter einen heißen Draht zu Kommissar Fabel hat, bei dem ausgerechnet jetzt seine 16jährige Tochter eingezogen ist, und dass er „eine Aufgabe“ zu erfüllen habe, was danach klingt, dass das Morden weitergehen wird. Die Tötungen erfolgen nach demselben Ablauf: zunächst werden die Opfer mit roter Farbe besprüht, danach skalpiert und als Markenzeichen wird eine rote Haarsträhne am Tatort zurückgelassen. Den Schlüssel zu den bizarren Morden finden Fabel und sein Ermittlerteam in der linksradikalen Terroristenszene der 1980er Jahre. Die legendäre Mühlhaus-Gruppe konnte damals zerschlagen werden, nachdem der Anführer bei einer umstrittenen Polizeiaktion erschossen wurde. Die anderen Mitglieder wurden nie belangt. Haben sie Mühlhaus verraten und sind deshalb straffrei ausgegangen? Einige heute angesehene Hamburger Persönlichkeiten gehörten damals offenbar zu jener Terroristenzelle. Weiß der Mörder, was sich damals abgespielt hat und nimmt jetzt Rache an den Verrätern?
Foto: Degeto / Georges Pauly
Hauptsache der Tod ist eine schöne Qual
Die Geschichten des Schotten Craig Russell, der erst seit 2005 Krimithriller schreibt, sind gewöhnungsbedürftig, weil das Töten in ihnen geradezu fetischisiert wird. Monströse Mörder, Psychopathen, Racheengel, die sich häufig abstruse Mythen zum Vorbild nehmen und nach strengen Ritualen ihren Opfern einen qualvollen Tod bereiten, bevölkern die fünf Romane der Jan-Fabel-Reihe. Die Stoffe mit ihren bizarren Tötungsszenarien sind für Primetime-Verfilmungen eine echte Herausforderung („Blutadler“ bekam als DVD eine FSK-Freigabe ab 16). Die dritte TV-Adaption, „Brandmal“, wirkt mit ihrer – wenngleich recht plakativen – politischen Ausrichtung, dem Ausflug in eine fiktive Terroristenszene, vom Stoff her etwas weniger düster als die Vorgänger. Vor allem, weil der Film seine Geschichte einer noch stärkeren filmischen Ästhetisierung unterwirft. „Sinn“ und Wert dieses Thrillers lassen sich deshalb wohl auch eher im Look und im Design finden als in seiner Geschichte; Russell war jahrelang Werbetexter und Creative Director. Auch wenn der Held Fabel heißt, Russells Fabulierkünste halten sich in Grenzen. Das ergibt in diesem Fall nicht mehr als politisch aufgeladenen Kolportagethrill. Auch die Drehbuchautoren konnten dem nichts Wesentliches hinzufügen (was den Rahmen dieses Genrefilms wahrscheinlich aber auch gesprengt hätte).
Die ästhetisierte Bildersprache ist die Message
Ältere Zuschauer dürften sich bei diesem TV-Krimi des NDR und der Degeto die Augen reiben. Da ist der obsessive und extrem variationsreiche Einsatz der Splitscreen-Technik, da ist das extreme Spiel mit Kompletteinfärbungen einzelner Einstellungen und Bilderfolgen, da sind die extremen Lichtverhältnisse und scharfen Kontraste, die dem Ganzen immer wieder eine surreale Aura geben, da sind die eindrucksvollen Szenenbilder, sind die fast theaterhaften Räume, die bisweilen an die Bildersprache eines Robert Wilson erinnern. Und da ist ein grandioses Intro, das die Aufsplittung des Bildschirms nutzt, um die Motive der folgenden Filmgeschichte schon einmal in einer vorausdeutenden Formspielerei dem Zuschauer zu präsentieren. Diese Überästhetisierung mag nicht jedermanns Geschmack treffen – zweifelsfrei aber ist die Inszenierung von „Jungfilmer“ Nicolai Rohde („Tod auf der Insel“) äußerst formvollendet und die Bildgestaltung von Jo Heim (Grimme-Preis für „Die Hebamme – Auf Leben und Tod“) entwickelt einmal mehr eine enorme sinnliche Sogkraft.
Foto: Degeto / Georges Pauly
Wie sich ein abgedroschenes Genre beleben lässt
Der Geschichte tun diese formalen Verfremdungseffekte nicht nur gut, sie braucht diese geradezu, um Distanz zur dargestellten Gewalt herzustellen, aber auch, um deutlich zu machen, dass hier alles andere als der realistische Polizeialltag im Hamburg der 2010er Jahre nachgezeichnet werden soll. Und zu noch etwas können diese Bilder gut sein. Indem man an ihnen fasziniert kleben bleibt, ist es ein Leichtes, die recht banalen, handlungsführenden oder erklärenden Dialoge zu überhören oder zumindest zu akzeptieren. Denn Sätze wie „Er kommuniziert mit uns“ oder „Er will eine Trophäe von seinem Feind als Zeichen für seine Niederlage und Demütigung“ sind ähnlich banal und abgedroschen, wie es die Muster der Craigschen Thriller und Tötungsszenarien (die man hinreichend aus den kommerziellen TV-Movie-Thrillern der 1990er Jahre kennt) schon lange sind. Solche reduzierten Thrillersujets können heute allenfalls noch durch eine besondere Formensprache überzeugen. Von daher war der Weg, den die Verantwortlichen bei „Brandmal“ einschlagen der richtige, um eine solche Genregeschichte heute noch fürs Fernsehen goutierbar zu machen.
Lächeln bleibt nach wie vor ein Luxus
Der Coolness der Bilder und Stimmungen folgen wie bei „Wolfsfährte“ und „Blutadler“ auch die markant codifizierten Figuren (schwarz, sachlich, ernst). Dennoch kommt man ihnen in „Brandmal“ ein Stück weit näher als bisher. Das liegt zum einen daran, dass sich Peter Lohmeyers Fabel vom Einsamen-Wolf-Image endgültig verabschiedet hat und mit der Polizeipsychologin im Team (Marie-Lou Sellem) zusammenlebt und jetzt sogar vorübergehend mit Tochter Gabi Familienanschluss bekommt. Aber auch die zuletzt so toughe, übermotiviert wirkende Maria Klee (Lisa Maria Potthoff), nimmt gelegentlich weichere Züge an, nachdem sie in „Blutadler“ am Ende ein Messer in den Bauch gestoßen bekam, mit viel Glück, wie man erfährt, überlebt hat und jetzt, in der neuen Geschichte schwer traumatisiert ist und bei Einsätzen von Panikattacken blockiert wird. Lächeln aber bleibt nach wie vor ein Luxus, den sich diese Kommissare nicht leisten. Ein einziges Mal können seine beiden Frauen Pokerface Faber in einer privaten Situation ein kurzes Lächeln abringen. (Text-Stand: 20.8.2015)