Bonnie & Bonnie

Emma Drogunova, Sarah Mahita, Maike Rasch, Ali Hakim. Die Sehnsucht nach Freiheit

Foto: NDR / Svenja von Schultzendorff
Foto Thomas Gehringer

Zwei junge Frauen aus Hamburg-Wilhelmsburg, verlieben sich, doch Familien-Traditionen und die frauenverachtende, homophobe Umgebung machen ihnen zu schaffen. „Bonnie & Bonnie“ (NDR – Riva Filmproduktion), der Debütfilm des Hamburgers Ali Hakim, erzählt eine berührende Liebesgeschichte mit zwei starken Frauenfiguren. Andere Protagonisten sind eher holzschnittartig, Dialoge & Milieuzeichnung etwas aufdringlich angelegt. Auch das Genrezitat im Titel verspricht mehr, als die Produktion im Schlussdrittel halten kann.

Der Streich (neudeutsch: prank), den sich Yaras Clique für die 17-Jährige ausgedacht hat, wird Folgen haben. Yaras Aufgabe ist es, die Hand des nächstbesten Passanten zu nehmen, natürlich vor laufender Smartphone-Kamera. Einen erwachsenen Mann lässt Yara vorbeigehen, erst bei Nummer zwei fasst sie sich ein Herz. Allerdings reagiert die blonde junge Frau überraschend aggressiv, zückt sofort ein Messer und drückt das ihrer kleineren Widersacherin gegen den Hals. Es ist Yaras und Kikis erste Begegnung, was genau genommen etwas seltsam ist, weil beide in zwei Geschäften arbeiten, die schräg gegenüber in derselben Straße in Hamburg-Wilhelmsburg liegen: Kiki als Bedienung in einem Sportsbar-Wettbüro, Yara als Verkäuferin in einem kleinen Supermarkt. Autor und Regisseur Ali Hakim ist in dem Stadtteil aufgewachsen, erzählt also aus einem vertrauten Umfeld. „Wir zeigen im Film nur die ghettoisierten Orte. Bei der Locationsuche war das ziemlich schwierig. Eigentlich sieht Wilhelmsburg inzwischen ziemlich schick aus“, wurde Hakim bei NDR 90,3 zitiert, als der Film aus dem NDR-Nachwuchsprogramm „Nordlichter“ im Herbst 2019 in einige Kinos kam.

Bonnie & BonnieFoto: NDR / Svenja von Schultzendorff
Die Sehnsucht nach Freiheit: Die in Hamburg Wilhelmsburg aufgewachsene Albanerin Yara (Emma Drogunova) führt eine heimliche Liebesbeziehung mit der unerschrockenen Kiki (Sarah Mahita).

Der als kleines Kind mit seiner Familie aus Afghanistan geflüchtete Hakim erzählt die Geschichte einer nicht akzeptierten Liebe. Im Mittelpunkt stehen zwei starke, gegensätzliche  Frauenfiguren, die mit Emma Drogunova (Yara) und Sarah Mahita (Kiki) auch überzeugend besetzt sind. Energie, Anziehungskraft, Erotik – die Chemie stimmt in den Szenen mit den jungen Schauspielerinnen. Kiki ist die Einzelgängerin, die geheimnisvolle femme fatal, mutig und kompromisslos. Regelmäßig lässt sie Yaras Bruder Bekim (Slavko Popadic) an der Bar im Wettbüro abblitzen („Geh mir nicht auf den Sack“). Yaras Figur steht für den Kampf junger Frauen aus Einwandererfamilien um Selbstbestimmung. Ihre Familie stammt aus Albanien, der alleinerziehende Vater Abaz (Kasem Hoxha) legt Wert auf die Traditionen seiner Heimat, auch wenn Yara nicht den Kleidervorschriften strenggläubiger Muslime unterliegt. Sie ist für ihre kleine Schwester der Mutter-Ersatz und fühlt sich selbst von ihrer älteren Schwester Leyla (Natalia Rudziewicz), die ausgezogen ist, im Stich gelassen. Yara mit ihrem Zwiespalt zwischen Familienpflichten und der Sehnsucht nach Freiheit und Eigenständigkeit ist die Identifikationsfigur, mit der man als Zuschauer*in mitfiebert.

Auch Yara weiß sich in dem Milieu zu behaupten, in dem sexistische Sprüche zum Alltag gehören und in dem sich Frauen auch mal gegenseitig als „Fotze“ oder „Schlampe“ beschimpfen. Die Inszenierung trägt bei der Milieuzeichnung allerdings arg dick auf. Dialoge und Kostüme signalisieren überdeutlich „Unterschicht!“, und die Nebenfiguren, etwa Yaras Clique oder Bekims Freunde aus dem Wettbüro, sind holzschnittartige Typen, die nur wenig Interesse wecken können. Bezeichnend, dass nicht so sehr Wilhelmsburg, sondern der Hamburger Hafen die Kulisse für romantische Zweisamkeiten zwischen Yara und Kiki bildet. Stimmungsvolle Bilder sind das, unterstützt durch den eingängigen Soundtrack von Andreas Bruhn. Dass manche Szenen etwas hölzern inszeniert wirken, das ist für einen Debütfilm keine Schande, noch dazu, wenn das Tempo stimmt und dazu beiträgt, dass es trotz einer teilweise recht vorhersehbaren Handlung nicht langweilig wird.

Wie schon in der allerersten Szene angedeutet, soll Yara verheiratet werden. Vater und Bruder hatten ihr den Umgang mit Kiki verboten. Bekim überraschte beide trotzdem in Kikis Wohnung, zusammen mit einem Kumpel aus Yaras Clique, der das Video mit den halbnackten Frauen und dem wütenden Bekim prompt ins Netz hochlud. Das macht die Schande für Yaras Familie komplett, doch als die beiden jungen Frauen mit Bekims Wagen auf der Flucht sind, machen sie in den sozialen Netzwerken als „Bonnie & Bonnie“ Furore. Insofern wird der „Bonnie & Clyde“-Klassiker zeitgemäß modernisiert, aber als Gangsterpärchen-Roadmovie bringt es dieser kleine Film nicht allzu weit. (Text-Stand: 1.8.2020)

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Kinofilm

NDR

Mit Emma Drogunova, Sarah Mahita, Slavko Popadic, Kasem Hoxha, Natalia Rudziewicz, Emma Torner, Miguel Ribeiro Da Saud, Milena Tscharnke, Zoran Pinge, Anton Nürnberg

Kamera: Rodja Kükenthal

Szenenbild: Sabine Dotzauer

Kostüm: Stefanie Jauß

Schnitt: Janina Gerkens

Musik: Andreas Bruhn, Christian Frank

Redaktion: Daniela Mussgiller, Mara Neube

Produktionsfirma: Riva Filmproduktion

Produktion: Michael Eckelt

Drehbuch: Maike Rasch, Ali Hakim

Regie: Ali Hakim

EA: 08.09.2020 22:50 Uhr | ARD

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