Oktober 1961, der kleine Ort Böseckendorf in Thüringen schreibt sich in die Geschichtsbücher ein. 53 seiner Bewohner flüchten bei Nacht und Nebel von der DDR in die Bundesrepublik. 14 Familien, die ihre Heimat, ihre Freunde, ihr Hab und Gut zurücklassen, um in Freiheit zu leben. Vorausgegangen waren Repressalien der Staatsmacht, die darin gipfelten, dass die nicht linientreuen Dörfler zwangsumgesiedelt werden sollten. Der Alltag nach dem Bau der Berliner Mauer im August des Jahres erschwerte das Leben schon genug. Wie ein Zipfel ragt das Dorf in den Westen, begrenzt an drei Seiten von Stacheldraht und Niemandsland. Betreten des Ortes nur mit Passierschein, Ausgangssperre nach Sonnenuntergang. Das lassen sich die Böseckendorfer nicht länger bieten. Als die geheime „Aktion Kornblume“ nicht geheim bleibt, machen sie einen Tag vor der 12. Jahresfeier der DDR „rüber“. Es war die größte gemeinschaftliche Flucht über die innerdeutsche Grenze, die es je gegeben hat.
„In ihrer Renitenz haben mich die Bauern von Böseckendorf immer an das ‚kleine gallische Dorf’ in den ‚Asterix’-Geschichten erinnert“, sagt Michael Souvignier. Der Produzent von „Das Wunder von Lengede“ und „Contergan“ fand den Stoff wie geschaffen für ein so genanntes Event-Movie. „Wir haben eine ideale Ausgangsbasis von Protagonisten und Antagonisten – der Einfluss aus Erfurt, die Liebe und der Verrat im eigenen Dorf.“ Und so ist der Film denn auch, nachdem er wie eine angenehm altmodische Dorfgeschichte beginnt, die allerdings recht bald ihren Mikrokosmos deutlich in den Dienst der Handlung stellt, auf Spannung hin inszeniert. Wer ist der Spitzel in diesem Dorf, in dem man den Vogelscheuchen auf dem Feld die FDJ-Hemden überstülpt, anstatt sie selbst zu tragen? Wer ist der Schleuser? Welche Trümpfe hat die SED-Kreisleitung noch im Ärmel? Mit kurzatmigen Spannungsbögen oder herbei geredeten Stimmungsmachern halten die Autoren die Geschichte in der Schwebe.
Man weiß, wer am Ende wem die lange Nase zeigt. Wohl gerade deshalb wird im Schlussdrittel mit Tricks und Finten die Spannungsschraube kräftig angezogen. Spätestens dann zeigt sich, dass in „Böseckendorf – Die Nacht, in der ein Dorf verschwand“ die Dramaturgie sowohl über die Filmgeschichte als auch über die Historie triumphiert. Anna Loos mag noch so überzeugend sein, aber ihre Rolle der aufrechten Schleuserin, die mit einem ebenso aufrechten Kommunisten verheiratet ist, diese Heldin der Freiheit hat auffallende Ähnlichkeit mit jenen Kitsch-Ikonen, die die ideologische Gegenseite so gern kultiviert hat. Am glücklichen Ende scheint die Geschichte endgültig still zu stehen. Interesselos entlässt man die Figuren in die bundesrepublikanische Zukunft, die Frau, die auf den letzten Metern bis zum Stacheldrahtzaun noch schnell ein Kind geboren hat, den roten Manni oder die blonde Tonia. Die anderen hat man sowieso schon längst wieder vergessen.