Blutgeld

Riemelt, Wilson, Rott, Heisig. Mitfühlend einem realen Pharma-Skandal auf der Spur

Foto: ZDF / Willi Weber
Foto Tilmann P. Gangloff

„Blutgeld“ von René Heisig hat zwar bei Weitem nicht die Wucht von „Contergan“, lebt aber von der Kraft der (vielen namhaften) Darsteller und der emotionalen Wucht beispielhafter Situationen. Das geht nicht ganz ganz ohne dramaturgische Klischees ab; dafür halten sich Regie und Kamera dezent zurück und geben der unerhörten, wahren Geschichte aus den 80er Jahren von dem Blutermittel, das von Ärzten verabreicht wurde, obwohl sie und die Behörden wussten, dass es vermutlich HIV-infiziert ist, einen nüchternen Unterboden.

Vor einigen Jahren hat Adolf Winkelmann mit dem Zweiteiler „Contergan“ einen herausragenden Film über einen der größten europäischen Pharmaskandale der Nachkriegszeit gedreht. Produktionsfirma war damals das Kölner Unternehmen Zeitsprung. Nun hat sich Firmengründer Michael Souvignier eines weiteren brisanten Themas dieser Art angenommen. „Blutgeld“ handelt von Ereignissen, die nicht minder unerhört sind: Mitte der Achtzigerjahre wurden Bluter mit einem Mittel (im Film „Faktor VIII“) behandelt, von dem Behörden und Ärzte wussten, dass es vermutlich mit dem HI-Virus infiziert ist. Die Spritzen verlängerten zwar die Lebenserwartung der Betroffenen, aber dafür bekamen sie Aids.

BlutgeldFoto: ZDF / Willi Weber
Wunderpräparat Faktor VIII? Klingt gut, was der Arzt sagt – stimmt nur nicht! David Rott, Fabian Busch und Max Riemelt

René Heisig (Buch und Regie) und Kai-Uwe Hasenheit (Buch, unter Mitarbeit von Regine Bielefeldt) beginnen die Geschichte 1972: Für eine Familie mit drei Söhnen, die alle unter der Bluterkrankheit leiden, ist Faktor VIII ein Geschenk des Himmels; endlich können die drei ein ganz normales Leben führen. Gut zehn Jahre später, die Jungs sind mittlerweile erwachsen, gibt es erste Nachrichten über eine rätselhafte neue Krankheit namens Aids, von der aber offenbar nur homosexuelle Männer befallen werden. Beiläufig hört man im Radio die Nachricht vom Aids-Tod des Schauspielers Rock Hudson. Aber dann bekommt Stefan (Fabian Busch), der älteste, eine Lungenentzündung und stirbt – an Aids; auch seine beiden Brüder (David Rott, Max Riemelt) tragen den Virus in sich. Eine Ärztin (Lavinia Wilson) vermutet, die Ansteckung könne mit Faktor VIII zusammenhängen: Das Mittel wird aus Blutspenden gewonnen. Das Bundesgesundheitsamt schließt sich dem Verdacht an, knickt aber unter dem Druck der Pharmalobby ein; über tausend Patienten werden infiziert.

Die persönliche Ebene der Handlung konzentriert sich mehr und mehr auf Ralf, den jüngsten Seifert-Sohn (Riemelt), der sich im Gegensatz zu seinem verheirateten Bruder (Rott) nicht von der Pharma-Industrie kaufen lassen will. Allerdings kann er nicht beweisen, dass seine Infektion mit Faktor VIII zusammenhängt. Ein Arzt, der ihm helfen könnte, nimmt sich das Leben. Schillerndste Figur des Films ist ein charismatischer Lobbyist der Pharmaindustrie, dem Heikko Deutschmann fast mephistophelische Züge verleiht; der Zynismus dieses Juristen ist im Grunde ungeheuerlicher als die Tatenlosigkeit des Verantwortlichen vom Bundesgesundheitsamtes (Tarrach). Beinahe tragisch ist die Rolle des Faktor-VIII-Erfinders (Kowalski), der den drei Brüdern im Lauf der Jahre zum väterlichen Freund geworden ist und nun die Schuld an ihrem Schicksal trägt; auch Thomas stirbt schließlich an Aids.

BlutgeldFoto: ZDF / Willi Weber
Zeiten der Mythen, Zeiten, in denen man auf Distanz ging (auch in der Ehe). Jule Ronstedt und David Rott in „Blutgeld“

Heisig inszeniert den Film unauffällig, fast nüchtern (Bildgestaltung: Peter Nix). Die Romanze zwischen Ralf und der Ärztin sorgt zwar für eine gewisse Erholung von den erschütternden Ereignissen, aber selbst dieser Teil der Geschichte dient dazu, die Verunsicherung jener Jahre zu dokumentieren, als sich die Menschen fragten, ob man Aids auch im Schwimmbad bekommen könnte. Immer wieder kontrastiert der Film die Ebene der Betroffenen mit der Skrupellosigkeit der Pharma-Industrie, die kaltlächelnd für ein paar tausend Mark das Schweigen der Infizierten erkauft und dies noch als „humanitäre Geste“ bezeichnet. Dabei wissen die Unternehmer genau: Zu einem Prozess wird es ohnehin nicht kommen, weil keiner der potenziellen Kläger lange genug durchhalten würde, um den Urteilsspruch zu erleben.

„Blutgeld“ hat zwar bei Weitem nicht die Wucht von „Contergan“, lebt aber von der Kraft der Darsteller. Die Versöhnung der beiden Brüder am Sterbebett von Stefan zum Beispiel ist ausgesprochen ergreifend. Dafür haben sich die Autoren mitunter etwas wenig Mühe bei der Informationsvermittlung gegeben. Gleich mehrmals müssen die Repräsentanten der Pharma-Seite Gespräche mit „Wie Sie wissen…“ beginnen, um den Zuschauer auf den neuesten Stand zu bringen. Auch die unüberhörbar nach einer Jugend in Berlin klingende Redeweise Riemelts passt nicht recht zur rheinischen Familie Seifert. Sehr glaubwürdig und zudem angenehm beiläufig in Szene gesetzt ist dagegen die Ausstattung von Thomas Schmid.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Max Riemelt, Lavinia Wilson, David Rott, Fabian Busch, Charlotte Schwab, Jule Ronstedt, Heikko Deutschmann, Rudolf Kowalski, Heio von Stetten, Jürgen Tarrach, Robert Dölle und Karoline Teska

Kamera: Peter Nix

Ausstattung: Thomas Schmid

Schnitt: Horst Reiter

Produktionsfirma: Zeitsprung Pictures

Produktion: Michael Souvignier, Mark Horyna

Drehbuch: Kai-Uwe Hasenheit, René Heisig, Regine Bielefeldt

Regie: René Heisig

Quote: 4,29 Mio. Zuschauer (13% MA)

EA: 28.10.2013 20:15 Uhr | ZDF

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