Bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen verliert sie die Nerven, gegenüber einem Parteikollegen wird sie handgreiflich und auch ihre Familie leidet unter ihrer Unbeherrschtheit und Verschlossenheit. Die Ministerin Marion Herbst hat eine einjährige Geiselgefangenschaft in Honduras hinter sich. Ihre Verarbeitungsstrategie, sich in die Arbeit zu stürzen und so weiter zu machen wie bisher, erweist sich als das falsche Muster. Ihr Mann rät ihr, psychologische Hilfe zu suchen. Und so legt sich die zugeknöpfte Politikerin auf Blochs Couch. Der erkennt bald, dass die Geiselnahme nur der Auslöser, nicht die Ursache der Krise ist, und dass die Familie mit gefangen ist im Lebenskonzept der kontrollsüchtigen Mutter.
Im 18. Einsatz darf sich Bloch als Familientherapeut bewähren. Er leistet ausgezeichnete Analyse-Arbeit, weil es der SWR und der Autor Jörg Tensing gewagt haben, den Film stärker als gewohnt zum Schauplatz vielschichtiger psychologischer Prozesse zu machen. Während sonst häufig die Rätsel- und Spannungsstruktur dominiert, die danach fragt, was hinter Traumata und Psychosen steckt, arbeitet Bloch in „Die Geisel“ stärker therapeutisch und fungiert weniger als ein Kommissar der Seele – auch wenn ihm wie immer sein Therapieraum zu eng wird. Bloch löst nicht nur ein in der Seele verschlossenes Geheimnis aus der Zeit der Geiselnahme sehr beiläufig auf, sondern er nimmt den Zuschauer mit in eine Familie und in einen häufigen Konflikt: einer gibt den Ton an und alle anderen leiden still vor sich hin.
Elmar Fischer über die Kameraarbeit:
„Wir arbeiten in diesem Film grundsätzlich mit einer dokumentarisch anmutenden Kameraführung. So, als würde Marianne stets von irgendwem beobachtet. Als prominente Politikerin steht unsere Figur ja auch im Fokus der Öffentlichkeit. Da gibt es immerzu tausend Augen und die starren erbarmungslos.“
Leugnen und Verdrängen sind auch politische Strategien. Dennoch ist „Die Geisel“ keine wohlfeile Abrechnung mit dem Bild der Politiker. Dem Film gelingt es, zahlreiche gesellschaftliche Implikationen anzudeuten und dabei doch ganz konzentriert beim psychologischen Fall zu bleiben und die Episodenhauptfigur und ihre Familie zu begleiten. Auch erzählökonomisch ist der Film vorbildlich: es gibt kurze Szenen, die einem klug und ästhetisch abwechslungsreich die Grundinformationen der Vor- und Nachgeschichte geben. Zwei Mal ist die Politikerin bei „Maischberger“ im Fernsehen, einmal informieren Bloch und seine Lebensabschnittsgefährtin sich (und den Zuschauer) im Internet über die neue Patientin.
So wie die Geschichte zirkuliert um jene Frau, die gelernt hat, alles in ihrem Leben selbst zu regeln, und die sich nur schwer helfen lassen kann, so lebt der Film von seiner Hauptdarstellerin: Claudia Michelsen darf in die ganze Breite und Tiefe einer modernen, selbstbewussten und doch verunsicherten Frau hinein spielen. Die Parameter ihrer Figur sind eine extreme Vielfalt sozialer Rollen (Ehefrau, Mutter, Politikerin, Patientin, öffentliche Frau) und ein seelisches Ungleichgewicht, das verursacht wird durch eine tief sitzende traumatische Schuld. Sich in diesem Spannungsfeld zu bewegen, erfordert eine größere darstellerische Leistung, als „nur“ ein Krankheitssymptom zu spielen. „Die Geisel“ geht stärker als andere „Blochs“ in die Interaktion. Das ist die besondere Herausforderung für Michelsen. Fazit: ein komplexes, überragend gespieltes Psychodrama, das voller sozialer Rollenspiele steckt.