Bei einem so problembeladenen Feld wie dem der Psychologie, wo andere regelmäßig beim Zuschauer auf Granit beißen, hat Bloch es geschafft, regelmäßig ein Millionenpublikum vor den Bildschirm zu locken. Denn der TV-Psychologe ist kein Schwätzer und Stubenhocker. Er handelt, packt an, begleitet die Kranken in ihren Alltag und er fordert viel von ihnen. Wie in den meisten seiner Fälle, bei denen Bloch stets auf die berühmte Couch verzichtet, liegt auch in „Die blaue Stunde“ der Reiz in der Konfrontation zwischen Therapeut und Patient.
Bloch ist auf Besuch in Köln. Mit seinen Beziehungen steht es nicht zum Besten: seine Partnerin ist in der Domstadt als Praktikantin in einem Streetworker-Praktikum auf der Suche nach einem Stück Selbstverwirklichung und auch seine Tochter geht ihm offenbar aus dem Weg. Der sonst so bindungsscheue Mann fühlt sich vernachlässigt. Da trifft es sich gut, dass ihm ein neuer Fall quasi in die Arme läuft. Und es ist ausgerechnet eine Schriftstellerin, deren Bücher er liebt wie keine anderen. Jene Heide Welk leidet unter Zwangsneurosen. Mit Wasch-, Putz- und Ordnungswahn strukturiert die hochintelligente Frau ihr Leben – und das des sie aufopferungsvoll umsorgenden Mannes. Was mit dem pausenlosen Durchzählen von CD-Spindeln im Supermarkt beginnt, verläuft zunehmend dramatisch. Ausgerechnet in ihrem peinlich sauberen, sterilen Haus, das voll und ganz auf ihre Krankheit abgestimmt ist, sieht sie sich plötzlich mit spitzen Gegenständen und bedrohlichen Sätzen auf ihrem PC-Monitor konfrontiert. Sie lebt in der ständigen Angst, schizophren zu werden, ja sie fürchtet sogar, dass sie Mordgedanken gegen ihren Mann hegen könnte. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Wahn scheinen zu verschwimmen – und Bloch ist ratlos: Ist dieser Frau noch zu helfen?
Die Rolle der Frau, die die Kontrolle über sich zu verlieren scheint, wird gespielt von Dagmar Manzel. Gewohnt eindrucksvoll gibt sie ihrem Blick die nötigen Zwischentöne, wechselt von schnippisch über sanftmütig bis hin zum Grenzen überschreitenden Schrecken. Nicht nur ihre Schriftstellerin schwingt gelegentlich im selben emotionalen Takt wie der Psychologe, der, wenn sie den unter Schizophrenie leidenden Hölderlin zitiert, mit Zeilen ihrer Werke liebevoll kontert. Auch Dieter Pfaff und Dagmar Manzel sind schauspielerisch ein Duo auf ähnlicher Wellenlänge. Gemeinsam ist beiden, dass sie dem Tragischen gern leichte, helle Züge verleihen. „Ich sehe mich eigentlich als eine Urkomödiantin“, sagt Manzel. „Letzlich ist alles, was ich spiele, auf spezielle Art und Weise komisch – auch Heide Welk.“ Auch Pfaff sieht seine Stärke in seiner Veranlagung, den Zuschauer an die Hand zu nehmen. „Ich habe im Laufe meiner Arbeit festgestellt, dass ich die Begabung habe, Zuschauer auch durch finstere Stoffe hindurchzuführen, ohne dass die Filme im Finsteren versacken“, betont Pfaff.
So nahe sie sich professionell auch kommen, bilden Pfaff und Manzel als Paar im Film zugleich aber auch ein spannungsvollen, sichtbaren Kontrast: Pfaff verkörpert das Rundliche, das Bedächtige, das Verbindliche, das helfende Prinzip. Manzel dagegen neigt (nicht nur) in ihrer Rolle zum Kantigen, Sperrigen, zum Hyperaktiven und eher zum schwierigen Prinzip.