Wenn man sich schon von seinem alten Leben trennt, dann aber auch gründlich: Konsequent lässt Henrik sein komplettes Inventar auf die Müllkippe bringen. Noch rasch ein Duett am Klavier mit einem der Männer von Entrümpelungsdienst, dann ab damit. Auch das Auto wird völlig prämienlos abgewrackt. Rainer ist ähnlich kompromisslos, aber während Henriks Abschied die Basis für einen Neubeginn ist, macht Rainer alles kaputt. Gewohnt, alles durchzuplanen und stets unter Kontrolle zu haben, verkündet er seiner Lebensgefährtin Lotte, am Abend werde man gemeinsam ein Kind zeugen. Stunden später jedoch hat sich der Tag ganz anders entwickelt, als das Trio am Morgen ahnen konnte: Lotte hat sich aus dem Staub gemacht, will spontan für ein paar Tage verreisen und trifft am Flughafen Henrik. Der hat zwei Tickets für Australien, aber keine Begleitung. Kurz drauf erscheint auch Rainer, und weil er Lotte für immer verloren glaubt, greift er zu verzweifelten Mitteln, um sie zu halten.
Man ahnt, dass Henrik seit kurzem verwitwet ist, aber ansonsten stattet Ben von Grafenstein die Protagonisten seines Regiedebüts „Blindflug“ nicht eben verschwenderisch mit Informationen aus. Das ist auch gar nicht nötig, weil die Schauspieler ihren Figuren alles Nötige mitgeben: die Melancholie im Blick von Henrik (Bach), die Sehnsucht bei Lotte (Philipp), die ohnmächtige Wut bei Rainer (Rotschopf). Der Film konzentriert sich fast bedingungslos auf dieses Dreiecksverhältnis, zumal sich zwischen den Figuren immer wieder neue Konstellationen ergeben: weil sich Lotte stark zu Henrik hingezogen fühlt, weil Rainer gegen Henrik handgreiflich wird, weil Lotte drauf und dran ist, Rainers Werben nachzugeben. Natürlich passt die sanfte Lotte viel besser zum sensiblen Henrik, aber Grafenstein vermeidet es geschickt, Rainer zum Buhmann zu machen. Der wird in seiner Verzweiflung sogar zum romantischen Helden: Erst kauft er sich ein sündhaft teures Ticket, nur um zu Lotte in die Abflugzone gelangen zu können; dann warnt er die Polizei anonym vor einer Bombe, damit sich der Start des Flugs nach Sydney verzögert. Das wiederum führt zu einer ebenso schönen wie ungewöhnlichen Szene auf dem Polizeirevier, wo Rainer einem Beamten sein Herz ausschüttet. Ein nicht zuletzt dank seiner Kürze von knapp sechzig Minuten hoch konzentriertes, intensiv gespieltes und inszeniertes Dreipersonenstück. (Text-Stand: 2009)