Auf einem Katamaran über die Meere segeln und die schönsten Küsten der Südsee besuchen. Heike Dorsch verwirklichte diesen Traum mit ihrem Lebensgefährten Stefan Ramin dreieinhalb Jahre lang – aber sie kehrte allein nach Deutschland zurück. Ihr Freund wurde im Oktober 2011 von einem Jäger auf der Südseeinsel Nuku Hiva getötet, zerstückelt und verbrannt. Dorsch geriet selbst in die Fänge des Mörders, sie wurde gefesselt, sexuell bedrängt und sollte offenbar auch getötet werden, konnte ihrem Peiniger aber entkommen. Die Ermittlungen auf der Insel verliefen schleppend, die Beamten zogen Dorschs Geschichte in Zweifel und die Deutsche geriet in Beweisnot – bis die Polizei im Regenwald eine ungewöhnlich große Feuerstelle fand. Auch der Täter konnte bald ausgemacht und überführt werden. Erst in ihrer Heimat kann Dorsch mit Hilfe ihrer Familie den Schrecken des Erlebten verarbeiten. Wirklich abschließen kann sie aber erst, als sie dem Mörder ihres Freundes Monate später noch einmal gegenübersteht. Und als Selbsttherapie schreibt die Hamburgerin das Buch „Blauwasserleben“, das ihre abenteuerliche Südsee-Albtraum-Reise beschreibt.
ZDF und Network Movie haben sich dieser „wahren Geschichte“ angenommen. Weltreise, Glück, Mordfall, Trauma und Wege zur Selbstheilung – so könnte man die Stationen bezeichnen, die die Heldin in dem Fernsehfilm von Judith Kennel („Das Paradies in uns“) durchlebt. Erzählt werden die rund vier Jahre der realen Heike Dorsch in den 90 Minuten nicht chronologisch; die Regisseurin und die Autoren Christoph Silber und Stefan Schaefer verschränken die Zeitebenen, wodurch besonders deutlich (gemacht) wird, dass es nicht nur die Geschichte jener Frau ist, sondern dass es auch ihre subjektive Perspektive ist, die dem Erlebten Form gibt. Der Film bekommt so einen ganz „besonderen“ Erzählfluss, eine Art subjektiven Wahrnehmungs- und Erkenntnisfluss, eine ungewöhnliche, weniger finalisierte Verlaufsdramaturgie. In der ersten halben Stunde dominieren das Verschwinden des Freundes, die Ermittlungen, die Gefangennahme der Heldin. Kontrastiert werden diese unangenehmen Situationen mit Momenten einer fast perfekten Zweisamkeit. Einerseits ist es geschickt, die Zuschauer bei der realen, von den Medien 2011 stark begleiteten Geschichte abzuholen, andererseits haben es Zuschauer, die sich die Handlung dramaturgisch erschließen wollen, so schwerer, sich aus den dramatischen Splittern einen in sich kohärenten Plot herzuleiten.
Foto: ZDF / Simon Vogler
Erst wenn „Blauwasserleben“ fürs Erste die Südsee verlässt, wenn Heike Dorsch in Hamburg zurück ist, findet der Film seinen Rhythmus in dem Maße, wie die Heldin ihrerseits versucht, in ihr altes Leben zurückzukehren. „Ich habe das Gefühl, dass ich nirgendwo mehr dazugehöre“, sagt sie. Und tatsächlich, auch als Zuschauer hat man das Gefühl, diese Frau muss alles mit sich selbst ausmachen. Wie den Tod des Geliebten verkraften? Wie damit fertig werden, dass er einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist? Wie mit der eigenen Bedrohung umgehen? Wie nach einem Leben in Freiheit in das alte, beengte Leben zurückfinden, ohne den Menschen, der als einziger die Brücke dazu sein könnte? Und wie sich gegenüber dem Täter verhalten? Die Rückkehr in die Heimat ist für Dorsch reich an inneren Konflikten. Dass im Rahmen des „Herzkinos“ nicht jede dieser Problemlagen hinlänglich reflektiert werden kann, war zu erwarten. Schließlich sind da ja auch noch die alltagsrealistischen Aspekte, die in die Geschichte einfließen müssen: die Heimkehrerin ist ja nicht nur seelisch angeschlagen und emotional entwurzelt, sie ist auch finanziell abgebrannt; da liegt der Schulterschluss mit den Medien nahe. Insgesamt gelingt in „Blauwasserblau“ die Mixtur aus introspektivem Seelengang und pragmatischen Aufräumarbeiten der Heldin ziemlich überzeugend. Die Splitter-Dramaturgie erweist sich zunehmend als hilfreich, weil sie die gegensätzlichen Erfahrungen verbindet und das Unvorstellbare leichter für den Zuschauer nachvollziehbar macht. Auch spannungsdramaturgisch hat Kennel das Montage-Prinzip gut entwickelt. Bei dieser Geschichte dürfte gegenüber dem rein linearen Erzählen die assoziative Rückblendentechnik außerdem die Aufmerksamkeit des Zuschauers steigern.
Einen großen Anteil am überzeugenden Gesamteindruck von „Blauwasserleben“ hat erwartungsgemäß Stefanie Stappenbeck. Die 40-jährige Schauspielerin wird in ihrer Rolle durch ein Wechselbad der Gefühle geschickt: Angst, Schmerz, Verzweiflung, Wut, stille Trauer, aber auch Witz und Lebenslust hat sie in den verschiedenen Lebenslagen darzustellen. Wie in allen ihren Hauptrollen meistert sie auch in diesem Film – trotz des „wilden“ ersten Drittels – die Darstellung dieser realen Figur mit Bravour. Überzeugendes Spiel und die hohen Sympathiewerte der Schauspielerin gehen einmal mehr Hand in Hand. Eine im Vergleich sehr viel kleinere Rolle hatte Marcus Mittermeier als Stefan Ramin zu übernehmen. Aber auch er ist eine ideale Besetzung. So wie er seinen charismatischen Weltenbummler gibt, der begeisterungsfähig ist und andere Menschen mitreißt, kann man die Geschichte von der Landung im Paradies einfach glauben, diesen Traum von Abenteuer und Freiheit, vom Naturschönen und der Liebe. Die Lebenslust des Toten ist am Ende auch der Schlüssel zur Selbstfindung der weiblichen Hauptfigur. „Was zählt sind alle Momente, die Summe aller Momente seines, unseres Lebens.“ Und so kommt es bei Dorsch nie zur Reue, diesen Traum (der zum Albtraum wurde) gewagt zu haben. Ein ganz entscheidender Punkt für die innere Stimmigkeit dieses von der Wirklichkeit beglaubigten Films. (Text-Stand: 23.2.2015)