Geschichten über Hochstapler, die die Finanzwelt aufs Kreuz legen, üben eine besondere Faszination aus. Die Vergehen sind zwar kriminell, aber da ihnen in erster Linie gierige Investoren auf den Leim gehen, dürfen weniger gut betuchte Zuschauer guten Gewissens eine klammheimliche Freude empfinden; erst recht, wenn die Täter auch noch mit Charme und Chuzpe agieren. Davon lebte schon Dieter Wedels Zweiteiler „Gier“ (2010) mit Ulrich Tukur; der Film war inspiriert durch Aufstieg und Fall von Jürgen Harksen, der ums Jahr 1990 herum vermögende Hamburger mit einem Schnellballsystem um viele Millionen gebracht hat. Eine der größten Betrügereien hat zuletzt der MDR verfilmen lassen: Der Film „Der Auf-Schneider“ (2018) war ein allerdings unnötig um Spielszenen aufgeblasenes Dokudrama über den Baulöwen Jürgen Schneider, der Mitte der Neunziger 5,4 Milliarden Mark Schulden hatte. In ähnlichen Dimensionen bewegte sich zur gleichen Zeit das badische Unternehmen FlowTex. Mit Luftgeschäften hat Manfred Schmider einen Schaden von rund 5 Milliarden Mark verursacht. Vermutlich aus Gründen des Persönlichkeitsrechts heißt der Mann in Niki Steins Film Manfred Brenner. Bei der Besetzung der Titelrolle hat sich Stein für Hans-Jochen Wagner entschieden. Das war eigentlich eine kluge Wahl, weil Wagner den Betrüger mit einer interessanten Mischung aus Bodenständigkeit, Charisma und großer Selbstverliebtheit versieht. Als gebürtiger Tübinger (und somit Schwabe) bringt er zwar nicht die richtige Mundart mit, aber das wird Zuschauern außerhalb Baden-Württembergs nicht auffallen.
Wagner entfaltet seine schauspielerische Wirkung generell nicht zuletzt durch eine imposante Physis, und die bringt er in diese Rolle dank eng sitzender Sakkos konsequent ein. Leider muss er den Unternehmer zwischendurch viel zu oft als grimassierende Witzfigur verkörpern, was den Eindruck erweckt, Stein habe dem realsatirischen Potenzial der Handlung nicht getraut und sie deshalb mit Gewalt auf Komödie getrimmt. Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen, denn die Geschichte, die sogar als Vorlage für ein Musical gedient hat, ist derart absurd, dass sie als Fiktion vermutlich wegen Unglaubwürdigkeit abgelehnt worden wäre. „Big Manni“ beginnt wie ein Thriller mit dem Finale, als die Behörden dem Betrüger auf die Schliche gekommen sind. Dann erzählt Brenner, wie er schon als Kind mit Spielzeugautos gehandelt hat; später sind dann echte Autos draus geworden. Als er seine Hausbank vergeblich um einen Kredit bittet, weil er Steuerschulden begleichen muss, begegnet er einem Ingenieur, der auf der Suche nach einem Kapitalgeber ist. Armin Pfortner (Jürgen Hartmann) hat eine bahnbrechende Erfindung gemacht: Dank seines Horizontalbohrers muss beispielsweise bei der Verlegung von Glasfaserkabeln nicht mehr gebaggert werden. Das Konzept ist schlüssig, und als es Pfortner auch noch gelingt, sein Gerät um die Ecke bohren zu lassen, steht dem Duo die Welt offen. Dass die Erfindung bloß auf dem Papier existiert, hält die Geldgeber nicht davon ab, immer größere Summen zu investieren, und bald darf sich FlowTex Weltmarkt-Führer nennen, weil rund um den Globus angeblich über dreitausend Geräte im Einsatz sind.
Johannes W. Betz, zu dessen wichtigsten Drehbüchern neben „Der Tunnel“ (2001) vor allem „Die Spiegel-Affäre“ (2014) gehört, und sein Koautor Jürgen Rennecke hatten vermutlich ihre Gründe, warum sie diese formidable Felix-Krull-Geschichte nicht als Drama oder zumindest als Tragikomödie konzipiert haben. Wagner zum Beispiel hätte der Titelfigur deutlich tragischere Züge geben können, weil Brenners Betrug irgendwann eine ebenso absurde wie fatale Eigendynamik annimmt: Je größer der Schuldenberg wird, desto leichter bekommt FlowTex dank der Zügellosigkeit einflussreicher Politiker (hier repräsentiert durch Patrick von Blume) immer höhere Kredite. Das Unternehmen ist aus regionaler Sicht ähnlich wie eine Großbank längst „too big to fail“. Das milliardenschwere Kartenhaus bricht schließlich zusammen, weil ein kleiner Kriminalbeamter (Felix Eitner) schon früh geahnt hat, dass Brenner ein Betrüger ist; aber erst kann er dem Unternehmer nichts nachweisen, und dann wird er von seinem Vorgesetzen zurückgepfiffen, zumal seine Theorie abenteuerlich klingt.
Hätte Stein, der seine Drehbücher in der Regel selber schreibt, die Ereignisse aus Sicht des Ermittlers geschildert, wäre der Film ein Wirtschaftskrimi geworden. Regiekollegen wie Heinrich Breloer oder Raymond Ley hätten aus dem Stoff dagegen ein Dokudrama gemacht; mit Interviews, in denen Zeitzeugen beschreiben, warum sie damals von den Ereignissen überrollt worden sind, und dokumentarischem Material, das die Echtheit belegt. „Big Manni“ ist jedoch keine Parabel auf die Gier, weil der Film das große Thema auf eine Provinzposse mit protzigem Gehabe reduziert. Stein hat nicht zuletzt für den „Tatort“ herausragende Beiträge gedreht, darunter die formidable Stuttgarter Episode „HAL“ (2016); für sein Scientology-Drama „Bis nichts mehr bleibt“ (2019) ist er mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet worden. Vor einigen Jahren hat er einen Film gemacht, der die Grenzen des üblichen Fernsehfilms sprengte und von der ARD prompt in den späten Abend verbannt wurde: „Öl – Die Wahrheit über den Untergang der DDR“ (2015) bediente sich der Mittel einer Dokumentation, erzählte aber eine frei erfundene Geschichte; und das so täuschend echt, dass Zufallszuschauer den Unterschied nicht gemerkt haben werden. Auch das zeigt, was bei „Big Manni“ möglich gewesen wäre. Komödien haben im Gesamtwerk des Regisseurs eher Seltenheitswert; vielleicht wollte er mal ganz was Anderes machen.
Allerdings fehlt der Inszenierung auch eine gewisse Raffinesse. Zu Beginn gibt es einen cleveren Übergang, als ein Spielzeugauto Brenners Kindheit mit der filmischen Gegenwart verknüpft, aber ansonsten lässt das mitunter polternde und buchstäblich breitbeinige Spiel Wagners, der die Ereignisse zudem immer wieder kommentieren muss, kaum Raum für Feinheiten oder Zwischentöne. Das gilt auch für die überwiegend eindimensionalen Nebenfiguren, von den üblichen Klischees – die wichtigsten Entscheidungen werden auf dem Golfplatz getroffen – ganz zu schweigen; selbst wenn die Autoren vermutlich entgegnen würden, so sei es nun mal gewesen. Deshalb fällt eine Szene gegen Ende auch komplett aus dem Rahmen, als Brenner seinem wichtigsten Geldgeber (Robert Schupp) von der Landesbank das ganze Ausmaß des Schwindels offenbart und anschließend zusammenbricht. Der Banker bettet den Hünen wie in einer Pietà in seinem Schoß und spricht ihm nicht nur Trost zu, sondern setzt dem Skandal mit seinem Vorschlag, an die Börse zu gehen, die Krone auf. Das klingt völlig absurd, entspricht aber recht gut dem Zeitgeist jener Jahre, als sich Unternehmen und Geldinstitute von Devisen wie „Anything goes“ oder „The sky is the limit“ zu einem gewissen Größenwahn hinreißen ließen; diese Stimmung immerhin gibt „Big Manni“ recht gut wieder. „Die Leute glauben nicht, was sie sehen, sie sehen, was sie glauben“, sagt Brenner auf dem Höhepunkt seines Erfolges. Vermutlich ist das auch die Botschaft des Films, zumal sich trotz Lehman-Pleite und globaler Finanzkrise nichts geändert hat. (Text-Stand: 11.4.2019)