Aus der Haut

Merlin Rose, Michelsen, von Bülow, Schaller, Braren. Coming out eines 17-Jährigen

Foto: WDR / Michael Kotschi
Foto Thomas Gehringer

Ein 17-Jähriger kann seine homosexuellen Neigungen nicht mehr verleugnen, kann sie aber auch nicht offenbaren. Nach einem Selbstmordversuch bemühen sich die Eltern darum, ihrem Sohn beizustehen, zugleich kämpfen sie mit eigenen Problemen. Ein Familiendrama im Mittelschichts-Milieu, überzeugend von Stefan Schaller inszeniert und stark besetzt: „Aus der Haut“ ist ein neues Werk von Autor Jan Braren, der erneut glaubwürdig über Identitätsfindung und die wechselseitigen Beziehungen in einer Familie erzählt. Doch an die Qualität von „Homevideo“ reicht der Film angesichts einiger schwacher Nebenfiguren nicht heran.

Der Film beginnt mit einer Vorblende: Der 17 Jahre alte Milan baut einen Unfall mit dem Auto der Eltern. Wie kam es dazu? Milan hat eine Freundin, fühlt sich aber zu seinem guten Schulfreund Christoph hingezogen. Als der ihn besucht, während die Eltern verreist sind, wagt Milan einen Annäherungsversuch, der allerdings gründlich schief geht. Christoph flüchtet, und Milan setzt sich, bekifft und mit Alkohol abgefüllt, hinters Steuer. Später wird der Vater im Wrack des Autos auf dem Schrottplatz einen Abschiedsbrief finden.

2012 hat Autor Jan Braren mit dem Drehbuch für „Homevideo“ nahezu alle wichtigen deutschen Fernsehpreise abgeräumt. Die Parallelen sind unübersehbar. Auch in „Aus der Haut“ erzählt Braren von der Identitätsfindung eines jungen Mannes, und erneut dienen Schule und Familie als dramatisches Spielfeld. Die Beziehung der Eltern, die sich nach den Jahren der Kindererziehung wieder mehr um ihre Berufe kümmern wollen, rückt hier allerdings nach und nach stärker in den Fokus. In der Paarbeziehung werden Risse sichtbar, dennoch bemühen sich beide, an einem Strang zu ziehen, wenn es um ihren Sohn geht.

Der Film beginnt krachend, doch danach erzählt Braren ein unspektakuläres, ernsthaftes Familiendrama. Der junge Merlin Rose, Claudia Michelsen und Johann von Bülow überzeugen in den Hauptrollen. Auch weil die Inszenierung von Stefan Schaller („5 Jahre Leben“) den Darstellern Raum zu spielen lässt und den Film nicht allzu sehr mit Dialogen überfrachtet. Nur die belanglose Hintergrund-Musik drängt sich manchmal allzu sehr auf. Behutsam geht Schaller mit den intimen Szenen um. Dass nicht alles gezeigt wird, wenn zwei junge Männer beim Pornofilm-Schauen gemeinsam onanieren, versteht sich ohnehin von selbst. In Sachen Spannung und Intensität kann der Film im Vergleich zu „Homevideo“ zwar nicht mithalten, dennoch gelingt Braren wieder ein differenziertes Familiendrama, das sich auch kritisch mit dem angeblich so aufgeklärten Umgang mit Homosexualität hierzulande auseinander setzt. Der Suizid-Versuch von Milan (Rose) stürzt die Eltern in Sorge und Selbstzweifel. Denn Milan hatte schon als Kind verschiedene Probleme, litt unter ADHS und depressiven Anwandlungen. Ein direkter Zusammenhang mit Milans Homosexualität wird zwar nicht hergestellt, aber derart dick hätte man die Vorgeschichte vielleicht nicht auftragen müssen. Darüber hinaus hat Milan ein Drogenproblem. Er ist fahrig, gereizt und fühlt sich bei Freundin Larissa (Nicole Mercedes Müller) zunehmend unwohl. Sich zu outen, ist jedoch in dieser Mittelschichtswelt keine leichte Sache. Milan findet erst nach seinem ersten sexuellen Erlebnis mit dem älteren Harro (Manuel Rubey) den Mut zum Coming Out. Und trifft bei den Eltern, die hoffen, dass nun alle Probleme auf einen Schlag weg sind, auf Offenheit und spontane Erleichterung. „Milan schwul – endlich normal“, seufzt Vater Gustav (von Bülow) abends im Ehe-Bett.

Doch so leicht macht es sich der Film zum Glück nicht. Gegenüber seinen Mitschülern verschweigt Milan seine Homosexualität. Als sie dann doch bekannt wird, zeigt sich, dass in dieser bürgerlichen Eigenheim-Idylle noch reichlich Vorurteile blühen. Milan bekommt dies in der Umkleidekabine der Turnhalle, Mutter Susann (Claudia Michelsen) bei einem Elternabend zu spüren. Da bröckelt auch ihre Toleranz: „Warum kann denn unser Sohn nicht so normal sein?“, fragt sie ihren Mann, was Milan leider heimlich mithört. Ob der Junge am Ende nicht doch noch den Tod sucht, das macht einen Teil der Spannung aus, was zwar etwas zynisch ist, aber im Finale clever gelöst wird… Rundum überzeugen kann die Geschichte letztlich nicht. Dazu sind vor allem die Nebenfiguren zu schwach. Interessant, das markante Gesicht des Österreichers Johannes Krisch in der Rolle eines alten Freundes zu sehen, der Susann den Hof macht. Aber Funken stieben da nicht gerade zwischen den beiden. Und die Welt der Schwulen ist pures Klischee: Künstler im leicht schäbigen Altbau, eine tuntige Bohème, die gerne mal Jungs wie Milan vernascht. Dann schon lieber eine Überraschung wie Leonard Proxauf als wortkarger und schluffiger Christoph: Dass sich Milans Begehren ausgerechnet an dieser Figur entzündet, ist bemerkenswert rätselhaft. (Text-Stand: 20.2.2016)

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Fernsehfilm

MDR, ORF

Mit Merlin Rose, Claudia Michelsen, Johann von Bülow, Leonard Proxauf, Johannes Krisch, Manuel Rubey, Nicole Mercedes Müller, Isabel Schosnig

Kamera: Michael Kotschi

Szenenbild: Julian R. Wagner

Schnitt: Andrea Mertens

Produktionsfirma: UFA Fiction

Drehbuch: Jan Braren

Regie: Stefan Schaller

Quote: 3,65 Mio. Zuschauer (11,7% MA)

EA: 09.03.2016 20:15 Uhr | ARD

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