Auf kurze Distanz

Schilling, Hasanovic, Schmidt/Kienle, Philipp Kadelbach. Sport – Spiel – Spannung

04.05.2025 20:15 One
10.05.2025 01:20 One
Foto: WDR / Jakub Bejnarowicz
Foto Rainer Tittelbach

Der ARD-Thriller „Auf kurze Distanz“ taucht ein in die Welt der Sportwetten, bei denen man auf alles und jeden setzen kann, in die Welt der gekauften Sportler und der manipulierten Ergebnisse. Ein junger VE wird in den Kreis der serbischen Wettmafia eingeschleust, wo er sich rasch mit dem Neffen vom Big Boss anfreundet. Pflicht oder Neigung – was gilt am Ende mehr? Und werden beide sympathischen Jungmänner ungeschoren davonkommen? Philipp Kadelbachs Film erzählt viele Geschichten und er funktioniert auf allen Ebenen gleichermaßen gut: Schilling & Hasanovic sind großartig, psychische Spannung dominiert und inszeniert ist der Film in einem Tempo, das dem Puls seiner Hauptfiguren folgt.

Dieser Auftrag als Verdeckter Ermittler ist ganz nach seinem Geschmack. Klaus Roth (Tom Schilling) geht gern ins Risiko. Er hat nicht viel zu verlieren. Ein Mann, keine 30, ohne Familie, ohne Freundin, ein Hochhausloch ist sein Refugium. Umso perfekter will er seinen Job machen. Als VE wird er in den Kreis der serbischen Wettmafia eingeschleust. Sein Vorgesetzter Frank Dudek (Jens Albinus) will endlich mal einen großen Fisch an die Angel kriegen: Aco Goric (Lazar Ristovski) heißt der bosnische Buchmacher; betrügerische Wetten, Erpressung, Nötigung und schwere Körperverletzung gehen auf sein Konto. Die Hände machen sich andere für ihn schmutzig. In den Kreis der erlauchten Handlanger aufsteigen will Luka (Edin Hasanovic), ein Neffe des Big Boss’. Roth, der nun Milan Neumann heißt, gewinnt das Vertrauen des jungen Mannes. Er erkennt, dass Luka, gerade stolzer Vater geworden, nicht der Typ ist für die ganz harten Geschäfte. Als er Taufpate des Kindes wird, schwindet Goric’ Misstrauen gegenüber dem Freund seines Neffen. „Milan“ bekommt eine Frau verpasst, die Polizistin Eva Ritter (Britta Hammelstein), und soll noch tiefer eindringen ins Innenleben der Wettmafia. Als ein türkischer Clan querschießt, sich die italienische Mafia einschaltet, geht es bald um den ganz großen Deal. Dagegen ist ein Menschenleben nicht viel wert. Ausgerechnet Luka wird auserwählt, die „Hinrichtung“ eines Türken zu übernehmen.

Der ARD-Thriller „Auf kurze Distanz“ taucht ein in die Niederungen des großen und kleinen Sports, in die Welt der Wettbüros, der halbseidenen Spelunken, in denen man auf alles und jeden setzen kann – Tore, Eckbälle, Freistöße, Foulelfmeter, Gelbe und Rote Karten. Die schöne neue Wettenwelt öffnet Betrügern Tür und Tor. „Absichtlich verlorene Fußballspiele und irreguläre Elfmeter durch gekaufte Profis und Schiedsrichter sind zu einem Milliarden-Geschäft der internationalen Wettmafia geworden“, sagt Benjamin Best, Journalist und Experte für Wettbetrug im Sport. „Im vergangenen Jahr erzielten private Anbieter mehr als fünf Milliarden Euro Umsatz. Dabei agiert die Wettbranche hierzulande, aus juristischer Sicht, weiter in einem Graubereich. Denn der Markt ist seit Jahren nicht reguliert und mittlerweile kaum noch zu kontrollieren.“ Was dran ist am Milliardengeschäft für die Mafia beleuchtet Bests Dokumentation, die nach der Premiere des Fernsehfilms im Ersten gesendet wird.

Auf kurze DistanzFoto: WDR / Jakub Bejnarowicz
Zocker-Alltag in üblen Wettbüros und halbkriminellen Kaschemmen. Den kleinen Fisch Luka (Edin Hasanovic) hat „Milan“ (Tom Schilling) schnell an der Angel.

„Klaus Roth ist das Gegenteil eines braven Streifenpolizisten. Er liebt die Herausforderung und Gefahr, hat beinahe Züge eines Hasardeurs. Das macht ihn im Milieu in gewisser Hinsicht glaubwürdig.“ (Tom Schilling)

„Der Film ist vieles mehr als ein Bericht aus der Welt der Manipulation und des Betrugs. Er ist die bewegende Geschichte einer tiefen, tragischen, verräterischen Freundschaft. Er ist eine Erzählung von der Einsamkeit des Ermittlers, von dem Preis im Kampf um Gerechtigkeit, eine Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Er ist zugleich das Porträt extremer Menschen in komplexen Situationen. “  (Produzent Benjamin Benedict)

„Ich wollte dem Zuschauer die Möglichkeit geben, sich eigenständig der Figur von Milan zu nähern, ohne dass ich es ihm aufzwinge.“ (Philipp Kadelbach)

Dieser möglicherweise also sehr reale Hintergrund lädt den Film von Philipp Kadelbach für den „Normalzuschauer“ sicherlich entscheidend auf. „Auf kurze Distanz“ ist aber auch gemacht für Zuschauer, die einfach einen herausragend erzählten Fernsehfilm zu schätzen wissen. Der Thriller nach dem tragödisch angelegten Drehbuch von Holger Karsten Schmidt und Oliver Kienle ist vor allem die Geschichte einer Freundschaft. Der Reiz liegt insbesondere darin, der in ihrer Verlorenheit sympathischen Hauptfigur zu folgen, mehr und mehr in dem Wissen, dass ihm seine „Zielperson“ ans Herz wachsen wird. Die Erzählperspektive regelt die Identifikationspolitik des Films. Durch die Nähe zwischen den beiden jungen Männern, die der Film zeigt, also visuell bezeugt (auch wenn das Bild dem Wort, dem Auftrag, widerspricht), wird dem Zuschauer auch der eher harmlose und unbedarfte Kriminelle sympathisch, gerade auch durch seine Ehrlichkeit gegenüber dem Freund. Das lässt den Zuschauer annehmen, dass es dem Verdeckten Ermittler ähnlich gehen muss. Irgendwann stellt sich für den Betrachter deshalb die Frage: Wird der Held an den Punkt kommen, an dem ihm diese Freundschaft wichtiger ist als sein Auftrag? Wenn ja, werden beide dann noch zu retten sein? Oder muss einer der Freunde einem der Systeme, Polizei und Wettmafia, geopfert werden?

Die dramaturgischen Spannungsfelder finden auch visuell ihre Äquivalente. Da sind zum einen die beiden jungen Männer: Tom Schilling („Oh Boy“) und Edin Hasanovic („Schuld sind immer die Anderen“) geben ihnen eine psychophysische Aura, in der sich das Coole und das Emotionale treffen. Während der Bulle seine Gefühle, die fiebrige Anspannung seiner zwei Herzen in einer Brust, lange äußerlich unter Kontrolle halten kann, offenbart der Kriminelle, von seiner serbischen Seele übermannt, sehr viel früher seine Gefühle für den besten Freund. Das Dilemma nimmt also auch auf der Mikro-Beziehungsebene sinnlich und hautnah sichtbar für den Zuschauer seinen Lauf. Jede Geste der beiden trägt die mögliche Tragödie quasi in sich. Damit sich diese Zwischentöne im Spiel entfalten können, wählte Regisseur Kadelbach die entsprechende Bildsprache. Keine kinematografische Raum-Inszenierung wie in „Nackt unter Wölfen“, keine Montage-Stakkatos, die den Zuschauer in der Magengegend treffen, wie bei „Unsere Mütter, unsere Väter“, sondern ein Tempo, das dem Pulsschlag seiner „Helden“ folgt. Das beginnt mit Szenen, die die Anmutung eines kleinen Arthaus-Kinofilms haben. Doch mit dem erhöhten Pulsschlag von Schillings Undercover-Bullen sind die beiden Jungmänner schnell auf Betriebstemperatur – und es greift das oben Beschriebene: die Fragen, die uns die Geschichte stellt, und die Bilder, die uns eine tiefe (verräterische?) Freundschaft zeigen. Irgendwann verliert der Pulsschlag des Helden seinen gesunden Rhythmus. Den ständigen Planänderungen des Serben-Clans hält der Körper, der Organismus, das Nervensystem des Mannes, nicht mehr stand. Der sensible Amateur obsiegt über den knallharten Profi. In der letzten Nacht vor dem ganz großen Ding betäubt er sich. Er tanzt, trinkt, knutscht, fickt, dann geht die Sonne auf über Berlin, und es naht die Stunde der Wahrheit. (Text-Stand: 3.2.2016)

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Fernsehfilm

WDR

Mit Tom Schilling, Edin Hasanovic, Jens Albinus, Lazar Ristovski, Britta Hammelstein, Emilia Schüle, Sascha Alexander Gersak, Aleksandar Jovanovic, Fortunato Cerlino, Vladimir Burlakov

Kamera: Jakub Bejnarowicz

Szenenbild: Claus-Jürgen Pfeiffer

Kostümbild: Sabine Keller

Schnitt: Fritz Busse, Constantin von Seld

Musik: Michael Kadelbach

Produktionsfirma: UFA Fiction

Produktion: Benjamin Benedict

Drehbuch: Holger Karsten Schmidt, Oliver Kienle – nach einer Idee von Hannes Jaenicke

Regie: Philipp Kadelbach

Quote: 2,62 Mio. Zuschauer (8,2% MA)

EA: 02.03.2016 20:15 Uhr | ARD

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