Angst – Der Feind in meinem Haus

Heino Ferch, Anja Kling, Udo Samel, Kurbjuweit, Berger. Das Ende der Beherrschung

Foto: ZDF / Stefan Erhard
Foto Rainer Tittelbach

Eine Familie wird bedroht – ausgerechnet von dem Mann, mit dem sie unter einem Dach lebt. Erst gibt es Aufmerksamkeiten, dann schreibt er der Herrin des Hauses Liebesbriefe, schließlich behauptet er, das Ehepaar würde seine Kinder sexuell missbrauchen. Keiner kann ihnen helfen. Sollten sie etwa ihr Recht selbst in die Hand nehmen? „Der Feind in meinem Haus“ ist mehr als ein Psychothriller: Die Spirale der Angst ist kein Selbstzweck. Autor Kurbjuweit geht es auch um die gesellschaftspolitischen Grundlagen für eine solche Stalking-Situation, interessiert sich dafür, wie die Familie und die Staatsorgane auf die Verleumdungen des seelisch gestörten Nachbarn reagieren. Dramaturgie & Psychologie sind überschaubar, dafür holt die Geschichte den Zuschauer bei seinen (realen) Ängsten ab und ist deshalb – auch wegen seiner fokussieren Narration – ein beunruhigender und spannender Film.

Eine Familie fühlt sich bedroht – ausgerechnet von dem Mann, mit dem sie unter einem Dach lebt. Randolph Tiefenthaler (Heino Ferch) und seine Frau Rebecca (Anja Kling) haben eine Gründerzeit-Stadtvilla gekauft, Bedingung war, dass der Bruder des Vorbesitzers, Dieter Tiberius (Udo Samel), weiterhin das Souterrain bewohnen darf. Dieser verwöhnt die Familie anfangs mit Gebäck, dann schwärmt er in Briefen von der Ehefrau, in die er „fast ein bisschen verliebt“ sei, schließlich behauptet er, nachdem das Ehepaar auf Distanz geht, sie würden ihre Kinder sexuell missbrauchen. Als Heimkind, dem das gleiche Schicksal widerfahren ist, habe er feine Antennen dafür. Die Tiefenthalers holen sich juristischen Beistand, gehen zur Polizei, wo bereits die Anzeige des Nachbarn liegt. Die Ermittlungen ziehen sich hin. Die Nerven liegen blank, Angst schleicht sich ein. Dieser Mann ist ständig anwesend, beobachtet alle Schritte der Familie, er belauscht sie, kann selbst ihre Gespräche in der Wohnung mithören. Keiner kann ihnen helfen. Es gibt keine Handhabe, solange er nicht handgreiflich wird oder die Kinder anfasst. Randolphs Vater, pensionierter Polizist (Dietrich Hollinderbäumer), fragt sich, ob es jetzt nicht an der Zeit wäre, andere Saiten aufzuziehen.

„Beherrschung ist sozusagen eine der Grundlagen der Zivilisation. Wir beherrschen uns und hoffen darauf, dass andere uns helfen, die dafür zuständig sind, sprich der Staat mit der Polizei und der Justiz. Auch ich habe immer weiter versucht, es zivil zu lösen und dem Rechtsstaat zu vertrauen, obwohl er mich lange enttäuscht hat.“ (Journalist & Autor Dirk Kurbjuweit, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat)

„Der literarischen Reise in den Abgrund ein filmisches Gesicht zu geben, alltägliche Geschehnisse zu einer fühlbaren Bedrohung heranreifen zu lassen, den Zuschauer so nah an die Hauptfiguren heranzuführen, dass er ihr Ängste und Verzweiflung teilen muss, das war die besondere Herausforderung dieser Verfilmung.“ (Regisseur Thomas Berger)

Angst – Der Feind in meinem HausFoto: ZDF / Stefan Erhard
Jetzt ist der (ganze) Mann im Haus gefragt. Anfangs reagiert Randolph Tiefenthaler (Heino Ferch) eher zögernd und verunsichert auf das übergriffige Verhalten des Nachbarn. „Ich sollte mal mit ihm reden“, sagt er. „Aber was soll ich ihm sagen?“

Autor Dirk Kurbjuweit und seine Familie haben eine ganz ähnliche Situation selbst durchlebt. „Wir sind ein paar Monate durch die Hölle gegangen“, sagt der leitende Spiegel-Journalist, der seine Erfahrungen bereits in seinem Roman „Angst“ verarbeitet hat. Wie schon das Buch so ist auch der ZDF-Fernsehfilm mit dem Untertitel „Der Feind in meinem Haus“ mehr als ein Psychothriller: Kurbjuweit geht es auch um die gesellschaftspolitischen Grundlagen für eine solche Stalking-Situation, die Spirale der Angst ist bei ihm kein Selbstzweck, er zeigt sie, was durchaus für den einen oder anderen Schreckmoment sorgt, interessiert sich letztendlich aber mehr dafür, wie die Familie und die Staatsorgane auf die Verleumdungen des offenbar seelisch gestörten Nachbarn reagieren. Der Rechtsstaat kann nicht helfen, weil die eigenen, im Normalfall richtigen Gesetze ihn fesseln. Dadurch fühlen sich die Tiefenthalers in ihrer Hilflosigkeit, Wut und Verzweiflung irgendwann nicht mehr an das Gewaltmonopol des Staates gebunden. Für sie ist das Ende der Beherrschung gekommen. Ausgerechnet der Vater, mit dem der höchst kultivierte Sohn wegen seiner machohaften Kämpfernatur schon immer im Clinch lag, will nun der Familie helfen, den dämonischen Nachbarn loszuwerden.

Der gesellschaftliche Aspekt ist entscheidend dafür, dass sich über die schlichte, 70 Minuten lang sehr vorhersehbare Dramaturgie und einfach gestrickte Psychologie leicht hinwegsehen lässt. Zwar werden biografische Erklärungen für das bösartige Verhalten des Nachbarn gegeben (Heimkind, keine intakte Familie, Einzelgänger, kleine Verhältnisse, keine Liebe), den Udo Samel entsprechend nicht als Monster, sondern immer auch ein Stück weit als Opfer, als gequälte Existenz, spielt. Und auch die keineswegs perfekte Ehe der Bedrängten wird skizziert (Ehemann mit Neigung zum Eigenbrötler, was der Frau nicht unbedingt ein Gefühl von Sicherheit gibt) – doch ein Psycho-Drama, das die Abgründe der drei Protagonisten tief auslotet, will der mit Ferch, Kling & Samel sehr gut besetzte, fokussiert & spannend erzählte Film von Thomas Berger nicht sein. Im Gegenzug bleibt „Angst“ auf der Handlungsebene aber weitgehend logisch & glaubhaft, sucht selten den Genre-Schrecken, was freilich ein Verrat wäre am Stalking-Thema. So wirkt die Geschichte vielleicht sogar beunruhigender, weil der Zuschauer ein überaus alltagsnahes Szenario präsentiert bekommt. Für ihn anschlussfähig ist die (Ausgangs-)Situation ohnehin. Denn wer kennt nicht den Streit am Gartenzaun oder im Treppenhaus?! Und wer kann sich nicht hineindenken/-fühlen in diese Horror-Vorstellung, nicht mehr Herr in seinen vier Wänden zu sein?! (Text-Stand: 16.9.2017)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Heino Ferch, Anja Kling, Udo Samel, Dietrich Hollinderbäumer, Sandra Borgmann, Lena Stolze, Hary Prinz, André Szymanski, Gustav Peter Wöhler

Kamera: Frank Küpper

Szenenbild: Benedikt Herforth

Kostüm: Natascha Curtius-Noss

Schnitt: Lucas Seeberger

Musik: Christoph Zirngibl

Produktionsfirma: Network Movie

Produktion: Jutta Lieck-Klenke, Dietrich Kluge

Drehbuch: Dirk Kurbjuweit

Regie: Thomas Berger

Quote: 5,62 Mio. Zuschauer (18,2% MA)

EA: 16.10.2017 20:15 Uhr | ARD

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