„Diese ewige Lethargie, du bist wie eine Schildkröte!“ Eine Frau ist außer sich. Der Ehemann bestätigt den Vorwurf und schweigt. Was sich in der Gereiztheit der Frau spiegelt, ist mehr als der Ausdruck eines schwelenden Ehekonflikts. Die beiden sind nicht allein. Mit sechs weiteren Pauschaltouristen sind sie in einem afrikanischen Land entführt worden. „Die schönste Zeit des Jahres“ wird zum Albtraum. „30 Tage Angst“ ist ein Geiseldrama aus der Innenansicht, gedreht in Namibia, prominent besetzt mit Ann-Kathrin Kramer, Oliver Stokowski, Wolfgang Stumph und Theater-Ikone Cordula Trantow. Der Film ist trotz Genrebindung um Realismus und politische wie dramaturgische Differenzierung bemüht.
Namibia, Oktober 2008. Dreharbeiten unter afrikanischer Sonne. Im Wüstensand vergessen die Schauspieler mehr und mehr, wer sie im wirklichen Leben sind. „Ich bin irgendwann gar nicht mehr aus meinem Kostüm geschlüpft. Ich bin abends ins Hotel gefahren und morgens habe ich meine Wüstenkluft wieder angezogen. Ich wollte nichts Privates mehr anhaben“, erinnert sich Ann-Kathrin Kramer. Sie hatte beim Pressebesuch in Swakopmund extrem harte Drehtage und deshalb keine Energie für Interviews. Eine klaffende Fleischwunde wurde ihr morgens von mehreren Maskenbildnerinnen auf die Haut gesetzt. „Wenn ich an mir heruntersah, wurde mir im Magen übel – das sah verdammt echt aus.“
Vor Ort sind Wetter und Wüste Thema Nummer eins. „Die ganze Zeit hat man hier Sand zwischen den Zähnen“, sagt Wolfgang Stumph, erträgt den aufkommenden Sandsturm aber mit bemerkenswerter Gelassenheit. „Einen Nachtdreh in der Wüste mit scharfem Wind bei 5° C habe ich beim Lesen des Drehbuchs nicht erwartet“, ergänzt Oliver Stokowski. „Traumschiff“-Bedingungen herrschen in Namibia, dem ehemaligen Deutsch-Südwestafrika, nicht. Dennoch bleiben Kramer nur schöne Erinnerungen an die Dreharbeiten: „Ich mochte alles: die Gegend, die Blicke auf die Landschaft, auch das Licht habe ich wahnsinnig genossen.“ Die Landschaft ist traumhaft, keine Frage. Karstige Steinwüsten wechseln ab mit feinsandiger Endlosigkeit, die im Zusammenspiel mit der Sonne das berühmte afrikanische Licht zaubert. Wenn der Kraft raubende Dreh zu sehr an ihr nagte, dann tankte die Schauspielerin in der Natur wieder auf: „Ich habe mich dann etwas abseits in eine Düne gestellt und mir angeschaut, wo ich gerade bin. Da sah ich, wie schön die Welt ist.“
Die weniger schönen Seiten der Welt reflektiert Thorsten Näter in der Geschichte von „30 Tage Angst“. Der Experte für Sozialkritisches deutet an, dass die Entführer aus politischen, überlebensstrategischen Gründen handeln. Auch sie sind Opfer, Opfer eines afrikanischen Machtapparats. Hauptthema aber ist die Fremdheit. „Der Film soll zeigen, wie wenig wir, wenn wir im Rahmen dieser massentouristischen Veranstaltungen fremde Länder bereisen, doch in diesen Ländern sind und wie wenig wir verstehen“, betont Krimi-Experte Näter. Fremd aber ist den Gefangenen nicht nur die Wüste, die Sprache und die Kultur ihrer Entführer, fremd sind sich weitgehend auch die Reisegruppenteilnehmer untereinander.
Trotz bester Absichten hat bei diesem gruppendynamischen TV-Sandkastenspiel auf Leben und Tod der Regisseur Näter deutlich den Autor Näter übertrumpft. Während die Rollenverteilung in der Gruppe etwas stereotyp geraten ist, kann sich der Film optisch mehr als sehen lassen. Melodramatische Momente, ein grandioses Licht und Action-Bilder, die sich nicht zuletzt wegen der überaus authentisch agierenden Rebellendarsteller gut einpassen in die dramatische Handlung – das macht „30 Tage Angst“ zu einem ansehnlichen TV-Stück.
Gedreht wurde ausnahmsweise chronologisch. „Das half, noch stärker in die laufenden Ereignisse einzutauchen“, sagt Kramer. Ein TV-Movie wie dieses, das wie ein Genrefilm anmutet, dessen Handlung kurz nach Drehschluss aber durch eine ähnliche Geiselnahme in Ägypten eingeholt wurde, sei schwieriger als ein klassisches Drama, so die 42jährige Schauspielerin. „Man musste das Bewusstsein, morgen vielleicht nicht mehr zu leben, in jede Szene legen, ohne dass es zur Plattitüde wird.“