Auch wenn die Dreharbeiten im Juli stattfanden: Es liegt ein Hauch von frühherbstlichem „Indian Summer“ über den Bildern. Gerade der Auftakt in der abendlichen Dämmerung sorgt dank des zartrötlichen Rostbrauns für eine poetische Stimmung, die allerdings im Widerspruch zu den Ereignissen steht: Ein Mann, an einen Stuhl gefesselt, stürzt aus dem Fenster eines Bauwagens. Er flieht, immer noch mit Stuhl, durch den Wald und erreicht schließlich eine Straße. Diesen „Schnapsweg“ benutzen die Einheimischen gern, wenn sie zu viel Alkohol im Blut haben; prompt wird die Flucht abrupt von einem Auto gestoppt. Kurz darauf fährt eine Frau an der Unfallstelle vorbei, sieht den Wagen sowie die Bremsspuren und informiert am nächsten Morgen die Polizei. Hauptkommissar Stiller findet zwar Schleifspuren, aber ansonsten bleibt die Suche ergebnislos. Wer weiß, wie die Sache ausgegangen wäre, wenn er nicht so brillant um die Ecke denken könnte: Ausgerechnet der Alu-Deckel eines Joghurtbechers macht dem Polizisten aus Hamburg, der mittlerweile kaum noch mit dem Wendland fremdelt, schlagartig klar, wo das Unfallopfer zur vermeintlich letzten Ruhe gebettet wurde.
Foto: ZDF / Georges Pauly
Damit beginnt eine Krimihandlung, die sich ähnlich einfallsreich entwickelt, wie sie begonnen hat, selbst wenn Stiller (Ulrich Noethen) und seine Kollegin Kira Engelmann (Bettina Burchard) erst mal typische Polizeiarbeit erledigen. Der Tote, Sönke Wagner, war Architekt, seine Frau Hanna (Sophie von Kessel) hat ihn als vermisst gemeldet. Die Obduktion ergibt, dass er mehrere Tage ohne Essen und Trinken gefesselt war. Weil sich sein Partner (Florian Anderer) umgehend als Witwentröster anbietet und Hanna Wagner ihn offenkundig mehr als nur sympathisch findet, drängt sich die Vermutung auf, dass die beiden ein Liebespaar sind, aber diese Lösung wäre nicht nur für Stiller viel zu einfach. Sebastian Bleyl (Buch) und Bruno Grass (Buch und Regie) haben ohnehin schon zu Anfang verraten, wer Wagner auf dem Gewissen hat. Offen bleibt jedoch, warum und von wem er im Bauwagen eingesperrt war.
Das besondere Merkmal von „Wendland“ ist ein feiner Humor, der sich gern beiläufig entwickelt, mitunter aber an Comedy grenzt. Auch diese Momente inszeniert Grass, der seit dem zweiten Film alle Episoden der nunmehr fünfteiligen Reihe gedreht hat, angenehm lakonisch, wenn dem Kommissar zum Beispiel im Gefolge eines Spürhunds klar wird, warum alle anderen Gummistiefel tragen, oder wenn er sich bei der Suche nach dem Ort, an dem Wagner versteckt worden ist, mit einer halsbrecherischen Kletteraktion einen Überblick verschaffen will. Witzig ist zudem die Konfrontation mit einer neuen Mitbewohnerin: Der eigenbrötlerische Polizist reagiert einigermaßen entsetzt, als er erfährt, dass Silke Landauer (Helene Grass), seine Vermieterin, das großzügige Anwesen in ein Mehr-Generationen-Haus umwandeln will; das wäre das Ende der von Stiller, nomen est omen, so sehr geschätzten Ruhe.
Foto: ZDF / Georges Pauly
Treibende Kraft der Pläne ist eine Freundin Silkes. Laura Mai (Anneke Kim Sarnau) kann den Kommissar zwar erfolgreich mit selbstgebackenen Zimtschnecken besänftigen und entpuppt sich auch sonst als patente Person, aber eine gewisse Skepsis bleibt. Das gilt auch fürs Publikum: Wenn eine Schauspielerin, andernorts selbst seit vielen Jahren als Ermittlerin aktiv („Polizeiruf“ aus Rostock), als Gaststar in einem Krimi mitwirkt, wird sich ihr Zutun nicht auf die Herstellung von Backwerk beschränken. Deutlich vielschichtiger als bislang ist auch die Rolle von Malte Thomsen. Polizist Klasen wirkt immer ein bisschen verträumt, ist aber tiefer in den Fall verwickelt, als gut für ihn ist: Er hat sich in eine Kellnerin (Anouk Elias) verliebt, doch die hat bloß Augen für den Öko-Aktivisten Arne (Anton Rubtsov); und der ist der Fahrer des Unfallwagens.
Wie stets begleitet Stiller die Ermittlungen mit Zitaten aus dem neuen Buch, das er zwischendurch schreibt. Diesmal handelt es sich nicht um eine „True Crime“-Geschichte, sondern um eigene Kindheitserinnerungen; und ausgerechnet Laura bringt ihn mit einer Anmerkung auf die richtige Spur zur Lösung des Falls. Darüber hinaus erfreut die Handlung durch Details wie etwa ein knallgelbes altes Tasten-Handy, zu dem er schließlich gleich zwei Gegenstücke entdeckt. Eine Eifersuchtsszene Kiras ist zwar ein Wink mit dem Motivzaunpfahl, aber das fällt nicht weiter ins Gewicht, zumal die gute Musik (Christoph Zirngibl) den Film zu einem mehr als bloß kurzweiligen Krimi abrundet.
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