2024: Mit den Mediatheken in der ersten Reihe

Foto: Degeto / HR / Kreyenberg

Kurz & salopp gesagt ist das Jahr 2024 bisher okay. Vor allem die Serien von ARD, ZDF und deren Mediatheken legen thematisch, dramaturgisch & filmisch eine große Vielfalt an den Tag. Da sind nicht nur die auch international wahrgenommenen Leuchttürme wie „Die Zweiflers“ (ARD), „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ (ARD), „Kafka“ (ARD) oder „Reset – Wie weit willst du gehen“ (ZDF), da gibt es auch diese wunderbaren kleinen, überraschenden Serien wie „Sexuell verfügbar“ (ARD), die mit feministischer Hinterfotzigkeit brilliert, wie „Schwarze Herzen“ (ARD), die divers neurotisch unterhält, oder wie die Sitcom „Jugend – Es ist kompliziert!“ (ZDF), die sich über Wokeness und den Traum vom ewigen WG-Leben lustig macht. Aber auch im phantastischen Fach wissen die deutschen Serien dieses Jahr mehr zu überzeugen als 2023. „Oderbruch“ (ARD) von Christian Alvart bedient sich souverän bei Krimi, Thriller und Mystery: Dieser Genre-Cocktail mit großem Besteck ist der reinste Horror. Jetzt im Herbst sind sogar die Vampire los: Blutig, romantisch, mit „Romeo und Julia“-Anleihen & filmisch furios geht es in „Love sucks“ (ZDF) zu. Alle diese Serien, das sei noch mal betont, sind öffentlich-rechtlich.

Bei den Streamern sieht das Angebot in diesem Jahr wesentlich dünner aus. Sky und Paramount+ haben sich bekanntlich ganz von deutschen Fiction-Produktionen verabschiedet. Die anderen gehen auf Nummer sicher. RTL+ kupfert bei den ZDF-Gebrauchskrimi-Reihen ab und hat zumindest mit „Disko 76“ etwas unerwartet Sinnliches und mit „Ich bin Dagobert“ etwas erwartungsgemäß Packendes an den Start gebracht; Ungewöhnliches gab es allerdings im November – mit der Anti-Thriller-Anthologie-Serie „Zeit Verbrechen“ und der furiosen Vergewaltigungs-Rache-Dramedy „Angemessen Angry“. Disney+ überzeugt mit „Pauline“ im Mystery-Horror-Bereich, auch hier mit Liebe und etwas Romantik gewürzt, im Blick die jüngere Zielgruppe. Im Herbst kam Apple TV+ mit seinem ersten deutschen Original: „Where’s Wanda“ ist allerdings ein verunglückter Genre-Mischmasch. Und Joyn kommt um die Ecke mit einem schrägen Horror-Comedy-Spaß namens „Der Upir“; den verkörpert Fahri Yardim in seiner „Jerks“-liken Impro-Performance an der Seite des trocken humorigen Rocko Schamoni. Netflix sorgt mit der zweiten Klasse-Staffel von „Kleo“ für Genre-Verlässlichkeit und setzt mit „Spieleabend“ oder „Liebeskümmerer“ auf TV-Movies à la ZDF. Mit dem Unterschied: Das Zweite macht mittlerweile sehr viel bessere Komödien, Frier & Herbst („Merz gegen Merz“) sowie Pastewka („Alles gelogen“) sei Dank.

Foto: ZDF / Frank Dicks
Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet das ZDF das Vampirfilm-Genre ernsthaft, romantisch, blutig & filmisch erstklassig in neuem Glanz wieder erstrahlen lassen würde! Havana Joy Josefine Braun und Damian Hardung in „Love sucks“ (Oktober 2024)

Dass die immer selteneren Top-Produktionen der Streamer in den Medien gehypt werden, was weder der Quantität noch der Qualität dieser Serien und Filme entspricht, beweist, wie sehr sich die (Programm-)Presse von oberflächlichen Trends und öffentlichen Stimmungen beeinflussen lässt. Offenbar ist eine mittelprächtige Streamer-Serie cooler und lässt sich besser im Heft oder im Blatt „verkaufen“ als eine öffentlich-rechtliche Ausnahme-Produktion. Und wenn die auch noch wie „Maxton Hall“ (Prime Video) über die Maßen erfolgreich ist, dann wird journalistisch kräftig nachgelegt. Absolut berechtigt allerdings war der Pressewirbel um „Perfekt verpasst“ (Prime Video) mit Anke Engelke und Bastian Pastewka sowie die zweite Staffel von „Oh Hell“ (Magenta TV) mit Mala Emde. Das Jahresende gehört trotz der mitunter brüllend komischen Netflix-Serie „Achtsam Morden“ aber wieder den Öffentlich-Rechtlichen: dank Matthias Glasners „Informant – Angst über der Stadt“ (ARD) und Holger Karsten Schmidts „Finsteres Herz – Die Toten von Marnow II“ (ARD) mit Petra Schmidt-Schaller und Sascha Gersak, aber eben auch dank zwei jener für die Mediatheken produzierten Realismus-Perlen, „30 Tage Lust“ (SWR), eine gut vierstündige Social Dramedy, mehr tragisch als komisch, die aussieht wie ein Impro-Crossover aus Rudolf Thomes Alltagsdramen und einer Brit-Comedy wie „Fleabag“, und „Made in Germany“, einer diversen Coming-of-Age-Anthologie-Serie, die in migrantische Milieus leuchtet.

Dass die 90-Minüter auch in dieser Rubrik in den Hintergrund geraten, spiegelt die aktuelle Produktions- und Programmrealität. Der ARD-Freitagsfilm ist ein Schatten vergangener Tage; ohne die Highlights um die Mitte der 2010er Jahre sähe das „Endlich Freitag“-Angebot in der Mediathek alt aus. Der Mittwochsfilm hat nach wie vor Potenzial – würde man diesen Termin nicht systematisch mit Fußball und Serien/Kinofilmen, die (leider) zu wenige Zuschauer sehen wollen, kaputtmachen. Zwischen Januar und Mai gab es auf diesem Sendeplatz mit „2 Freunde“ und „Mordnacht“ gerade mal zwei nennenswerte Filme. Kein Wunder, dass der Krimi-Sender ZDF dem Ersten beim Fernsehfilm in diesem Zeitraum den Rang ablief: mit Ferdinand von Schirachs „Sie sagt. Er sagt“, „Der Fall Marianne Voss“ oder „Blindspot“ (der einzige für den Deutschen Fernsehpreis nominierte 90-Minüter). Dass einer der besten Fernsehfilme auf Arte lief und eine ORF-Produktion ist, der mehrfach preisgekrönte „Das Schweigen der Esel“ von und mit Karl Markovics, passt ins Bild. Im Herbst sieht die Lage am ARD-Mittwoch etwas besser aus: „Wir für immer“, „Ein Mann seiner Klasse“, „Wer ohne Schuld ist“, das Vergewaltigungsdrama „Bis zur Wahrheit“ oder das sensible Transgender-Freundschafts-Drama „Ungeschminkt“ bieten die gewohnte ARD-Einzelstück-Qualität, nur mit der Quantität hapert es weiterhin. Da ist es schlau, sich in den Mediatheken umzuschauen, nach Produktionen aus den goldenen Jahren des Fernsehfilms. Krimis müssen an dieser Stelle nicht gefeatured werden, die finden die Fernsehzuschauer im Schlaf. Bei denen sind natürlich auch immer wieder starke Reihen-Episoden dabei. Extreme Qualitätsausschläge nach oben, die zu Preis-Nominierungen für „Tatort“, „Polizeiruf“ oder eine ZDF-Qualitätsserie führen könnten, sind allerdings dieses Jahr wie 2023 nicht in Sicht. Der ARD-Sonntagskrimi enttäuscht selten, Filme von der Güteklasse „Im Schmerz geboren“ oder „Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht“ lassen jedoch auf sich warten. Die Highlights 2024: „Tatort – Am Tag der wandernden Seelen“ mit Harfouch/Waschke, „Tatort – Es grünt so grün, wenn Frankfurts Berge blüh’n“ mit Koch/Broich/Brandt, „Tatort – Die siebte Etage“  mit Behrendt/Bär und „Polizeiruf 110 – Der Dicke liebt“ mit Kurth/Schneider. Wenn sich schon die Streamer im Mainstream einrichten, möchte wohl die ARD erst recht nicht aus der Reihe tanzen. Der „Polizeiruf 110 – Jenseits des Rechts“ tut dies dann allerdings doch. Kein Wunder, der ist von Dominik Graf. (Text-Stand: 1.12.2024)

Foto: RBB / Provobis / Muehle
Die Sonntagskrimis enttäuschen selten. Absolute Ausreißer nach oben gab es in diesem wie auch 2023 nur sehr wenige. Meiner Meinung nach war der „Tatort – Am Tag der wandernden Seelen“ mit Corinna Harfouch & Mark Waschke der interessanteste.

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