Es ist wie verhext! Da leben Ralf Hartmann (Bastian Pastewka) und Maria Lampe (Anke Engelke), die so perfekt zueinander passen würden, im beschaulichen Marburg, wo jeder jeden kennt – und kommen dennoch nicht zusammen. Dabei könnten sie einen liebevollen Menschen gut gebrauchen, stecken doch beide in einer handfesten Lebenskrise. Ralf wurde gerade geschieden. Er witzelt sich drüber hinweg wie über alles, was ihm Sorgen bereitet; dabei schmerzt es ihn doch sehr, dass seine Teenagertochter Lotta (Momo Beyer) ihn offenbar für einen Loser hält und seine „Große“, Lily (Lea Freund), sich zum Studieren nach Köln aufmachen will. Und dass seine frisch geschiedene Frau Heike (Caro Scrimali) ausgerechnet mit dem Scheidungsanwalt rummacht, weckt seine niedersten Instinkte. Auch die Buchhändlerin Maria verliert gern mal ihre Beherrschung. Sie sieht Rot, wenn sie nur den Namen „Johanna Augustin“ (Henny Reents) hört. Die Krimiautorin hat ihr einst eine Idee geklaut und ist jetzt erfolgreich, während sich Maria mit ihrer Schreibblockade quält. Und dass ihr Ex-Freund (Serkan Kaya), dem sie dreimal das Ja-Wort verweigert hat, mit dem sie allerdings noch immer fröhlich Sex hat, aus der Beziehung mit Marias zweitgrößter Feindin/Ex-Freundin (Fritzi Haberlandt) eine Ehe machen möchte, empfindet sie als Unverschämtheit.
Über den Weg laufen sich die Hauptfiguren der Amazon-Prime-Dramedy „Perfekt verpasst“ zwar desöfteren (die Kamera vereint sie mitunter sogar in einer Einstellung), sie nehmen sich jedoch nicht wahr, verpassen sich – wie der Titel es verspricht – ein ums andere Mal. Ob Fahrstuhl, Drehtür, Selfcare-Weekend oder gleich in der ersten Szene, wo sich bereits 2014 auf einem Karussell ihre Hände mehr als nur flüchtig berühren – es soll einfach nicht sein! Noch nicht. Zu Beginn mag man daran zweifeln, ob die Serie dieses Prinzip acht Folgen lang ohne Ermüdungserscheinungen beim Zuschauer durchhalten kann. Doch das Autorenquartett Sebastian Colley, Claudius Pläging, Sintje Rosema & Fabienne Hurst entwirft einen zunehmend dichter werdenden Dramedy-Mikrokosmos um eine Reihe ganz normal gestörter Kleinstadt-Neurotiker, in dem man sich rasch zu Hause fühlen kann. Außerdem stellen sie das Grundprinzip jeder Romantic Comedy, die vorläufige Verhinderung eines romantischen Happy Ends mit komischen Mitteln, ins Zentrum ihrer Geschichte und mischen so eine Menge Absurdität in das an sich eher konventionelle Genre.
Auch wenn sich die beiden noch nicht kennen, kommunizieren sie bereits eifrig miteinander. Weil Ralf nicht ganz korrekt parkt, stößt sich Radfahrerin Maria an der Familienkutsche ihr Knie. In der Folgezeit schreiben sie sich Nachrichten in den Staub des verschmutzten Wagens, aus Wut wird Witz – bis irgendwann ein Regen der Kontaktanbahnung ein Ende bereitet. So komödiantisch dieses „Perfekt verpasst“ auch in Szene gesetzt wird, da es in der Serie um zwei Menschen geht, die sich mit um die 50 offenbar selbst verloren haben, ist Romantic Dramedy die passende Genre-Bezeichnung. Trotzdem übertrumpft die leichte Tonart die existentielle Misere der beiden. Die vierte Folge wird halbiert, die eine Hälfte gehört Maria, die andere Ralf. Am Ende stellen sich beide dieselbe Frage: „Wie konnte das alles nur so beschissen laufen?“ Und was gerade noch chronologisch erzählt wurde, purzelt plötzlich wild durcheinander, um zu zeigen, wie alles und jedes im aktuellen Leben der beiden miteinander zusammenhängt. Und über allem thront der Zuschauer, für den das Mehrwissen zum besonderen Quell der Freude wird. Der sieht die Zwei in der Mitte der Serie schon einmal ganz nah, in einem Zustand der Erleuchtung: In einem surrealen Raum kommt es zu einer Begegnung der spirituellen Art, bei der sie sich gegenseitig Ratschläge geben. Ein weiteres Beispiel dafür, wie gut sie zueinander passen.
Anke Engelke und Bastian Pastewka sind eine Traum-Besetzung. Ein Gag-Feuerwerk sollte man allerdings nicht erwarten. Die Zeiten von „Wolfgang & Anneliese“ (Sat 1, 2007-11) sind vorbei. Beide haben sich von der Comedy über die Dramedy (er: „Mutter muss weg“ / sie: „Wellness für Paare“) sogar ins ernste Fach gespielt: Engelke mit den drei Thriller-Dramen „Tödliche Geheimnisse“ oder mit Matti Geschonnecks „Südstadt“, Pastewka mit „Morgen hör‘ ich auf“, der Ausnahmeserie mit Anleihen bei „Breaking Bad“, oder der Tragikomödie „Der Sommer nach dem Abitur“. In „Perfekt verpasst“ dürfen die beiden Ausnahme-Mimen nun von all ihren Erfahrungen etwas beisteuern. Typen-Komik, Charakter-Tiefe, immer ein perfektes Timing – und auch die Gefühle ihrer Figuren nimmt man ihnen ab. So wird beispielsweise das Verhältnis zwischen Ralf und seiner twentysomething-Tochter emotional fein nuanciert dargestellt, so folgt nach dem „alles-klar“-Abschied dann eben doch der Katzenjammer. Apropos: Bei der ersten bewussten Kontaktaufnahme des verhinderten Paars weinen beide quasi in ihre Cocktails und erstellen eine Art Flenn-Phänomenologie („Heulen ist wie Fahrradfahren“). Auch hier zeigt sich wieder: Die Methode ist Comedy, aber das, was verhandelt wird, trägt tragische Züge.
Ein paar Schmunzel-Momente dürfen allerdings doch nicht fehlen. Dafür sorgen eine Smart-Watch, die für einen Running Gag gut ist („Bist du gestürzt?“) sowie einige Slapstick- und situationskomische Einlagen: So verhindert Ralfs Ausrutscher auf der Bowlingbahn, dass Maria den Mann mit demselben bitteren Humorverständnis in Augenschein nehmen kann. Zuvor ist er über ihren Schuh, den sie aus Versehen verloren hat, gestolpert, während an ihrem Fahrradreifen das Eis klebt, das Ralf „davongelaufen ist“. Die Metapher spielt auf einen seiner Lieblingskalauer an: „Wollen wir noch ein Eis essen gehen? … Macht ja nichts. Das Eis läuft ja nicht weg – außer es ist heiß“. Auch für die meisten der anderen Dialoge gilt: Es wird weniger Comedy-like auf die Tube gedrückt als beispielsweise noch bei „Pastewka“ oder „Anke“. Das Gesagte ist weniger auf Pointe aus, sondern es charakterisiert vielmehr die Figuren mit einem Augenzwinkern. „Man kann essen, was man will – der Schuh passt immer“, witzelt Ralf mit einer Kundin in seinem Sportgeschäft und macht damit deutlich, dass er ein Scherzkeks ist oder zumindest einen gefrühstückt hat. Andere Sätze von ihm zeigen, dass er seine Probleme gern wegwitzelt: „Ich bin frisch geschieden. Aber meine Frau und ich haben beschlossen, es nicht zu feiern.“ Der Satz ist es im Übrigen, der Marias Interesse weckt.