Jugend – Es ist kompliziert!

Schubert, Gailer, Riccardi, Ullrich, Stefan Stuckmann. Es lebe der Widerspruch!

Foto: ZDF / Frank Dicks
Foto Rainer Tittelbach

Jugend endet heute nicht mehr mit 20. Längst gibt es ein zweites Erwachsenwerden. Drei der vier Freunde in „Jugend – Es ist kompliziert!“ (ZDF / Studio Zentral) sind bereits Mitte 30, aber immer noch aus Überzeugung Suchende. Solange die Privilegien stimmen, man die Miete zusammenbekommt und das Debattieren mit den Freunden über das letzte Date mindestens so spannend ist wie das Date selber – weshalb etwas aufgeben von dieser Freiheit!? Trotz deutlicher Referenzspur in die gute alte Zeit des Genres ergeht sich die achtteilige Sitcom weniger in komischen Stereotypen und in von Thema & Moral durchtränkten Plot-Mustern. Grundkonstante der Kommunikation ist der jugendliche Narzissmus. Monologe und Nebeneinander-Herreden gehören zum WG-Alltag wie die Dating-App zum Single-Dasein. „Jugend“ mag auf den ersten Blick typisch deutsch wirken, entwickelt sich aber von Folge zu Folge zu einer sehr originellen Serienform, bei der vordergründige Vergleiche mit „Friends“ & Co nur danebengehen können. Der Titelzusatz „Es ist kompliziert!“ passt zu dieser Serie wie fast alles passt und bestens durchdacht ist – allem voran die ausgezeichnete Besetzung.

Man ist so jung wie man lebt. Cathrin (Sarah Gailer), Tim (Thomas Schubert) und Frank (Leon Ullrich) sind Mitte 30, Sophie (Eli Riccardi) ein paar Jährchen jünger; sie spüren zwar immer häufiger die TikTok-Generation im Nacken, doch weil sie in Berlin Neukölln leben, neben dem gemeinsamen Abhängen sich ihre Existenz vor allem ums Daten dreht und ihnen nichts ferner liegt als der Wunsch, in ihrem Leben in einer Beziehung anzukommen, fühlen sie sich jung. Cathrin wirkt einigermaßen gesettelt, sie hat einen Job in einer Galerie und sie liebt ältere Männer – mit Ausnahme ihres Ekelpaketchefs (Fabian Hinrichs). Tim hat es weniger mit der Praxis, lebt von einem Regie-Stipendium, hat dafür aber für alles eine Erklärung – bis man ihn als typischen Cis-Mann aus seiner eigenen „Antigone“-Bühneninszenierung drängt. Die Dritte im WG-Bund kommt aus New Jersey, ist entsprechend etwas weniger kompliziert gestrickt. Sie muss nicht verstehen, weshalb sie ihre Mutter (Gerti Drassler) nur auf Distanz erträgt oder was ihre sexuellen Vorlieben mit ihrer Familiengeschichte zu tun haben. Nachbar Frank (Leon Ullrich) wirkt nicht wie der geborene Hipster, und es gelingt ihm weniger gut, sein Loser-Dasein zu kaschieren, obwohl er höchst erfindungsreich ist, was Kleinjobideen betrifft. Als Cathrin bei der WG-Mitbewohner:innen-Suche das Treppenhaus voller Interessenten hat, etabliert er in Windeseile einen schwungvollen Catering-Handel.

Jugend – Es ist kompliziert!Foto: ZDF / Frank Dicks
Um sein Image als weißer Cis-Mann aufzubessern, datet Tim (Thomas Schubert) die Nachbarin Nora (Florence Adjidome), die er bisher keines Blicks gewürdigt hat. Doch wie macht man mit einer People of Color Schluss, ohne dass es rassistisch wirkt?

Jugend, damit ist die Zeitspanne gemeint zwischen Kindheit und Erwachsenwerden. Doch (Sub-)Kultur und Gesellschaft haben da auch noch ein Wörtchen mitzureden. Spätestens seit den 1980er Jahren kursierte in akademisch-intellektuellen Kreisen das Schlagwort von der „Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden“ – gemäß einem Kultbuch jener Jahre. In den Neunzigern spiegelte sich die verlängerte Jugend in den hedonistischen Comedy-Serien wie „Friends“ oder „Sex and the City“ wider. Familie war sowieso uncool, jetzt aber wurde die Gemeinschaft von Freunden zur Krone der Single-Schöpfung erhoben. 30 wurde zum neuen 20. In der ZDFneo-Serie „Jugend – Es ist kompliziert!“ dürfen es sogar noch ein paar Jährchen mehr sein. Solange die Privilegien stimmen, man die Miete zusammenbekommt und das Debattieren mit den Freunden über das letzte Date mindestens so spannend ist wie das Date selber, egal ob Sadomaso-Beziehung zu einer feministischen Fahrrad-Monteurin oder die geheimen Gelüste einer Fake-Identität, egal auch, ob es sich um Sex mit einem Gehbehinderten handelt oder einem Witwer, der einen zu dessen jüngst verstorbener Frau modelt – weshalb etwas aufgeben von dieser Freiheit!? Ist nicht die Suche viel spannender als das Finden. Für Filme und Serien gilt das auf jeden Fall, ganz besonders für den Zuschauer. Und ganz besonders dann, wenn wie in der Serie von Stefan Stuckmann (Buch & Co-Regie) die Widersprüche einer „Jugend,“ die alles pc-like hinterfragt, am Ende dann aber doch das eigene Ego triumphieren lässt, so köstlich präsentiert werden.

Bevor man die Charaktere kennengelernt hat, wirkt „Jugend“ noch wie eine Sketch-Parade zu Zeitgeist-Themen wie Nachhaltigkeit, Wokeness, Wohnungsnot oder Minijob-Flexibilität. Doch bereits in der zweiten von acht 20 bis 25 Minuten langen Folgen ist man eingestimmt auf das typische Sitcom-Setting (Wohnung, Treppenhaus, Diner) und temporeiche Themen-Hopping. Die Charaktere werden ausdifferenziert. Cathrin verheddert sich ständig in ihren Aktionen, steht sich selbst im Weg, und ihr Faible für reifere, großzügige Männer redet sie sich ständig schön. Tim durchschaut Cathrin besser als sie sich selbst, möglicherweise deshalb, weil auch er sich gern von einer Studentin, die im Nebenjob „hochpreisige Sex-Dienstleistungen“ anbietet, einladen lässt. Überhaupt: Dafür, dass er so verkopft ist, bekommt er mehr Frauen ins Bett, als man zunächst annimmt. Liegt’s daran, dass er sich ständig selbst zum Feministen erklärt? Oder weil es eben doch noch Frauen gibt, die sich von Männern gern die Welt erklären lassen (in Folge 7 geht es um „Mansplaining“)? Bis ihre Mutter auftaucht, erfährt man von Sophie weniger Existenzielles. Ihre Figur bringt aber mit ihren amerikanischen Schnodder-Kommentaren eine authentische Note und eine Timing-Variante ins Spiel, die über das Serien-Format hinaus eine Reminiszenz an die US-Sitcoms der 1990er und 2000er Jahre darstellt. Trotz der Referenzspur in die gute alte Zeit des Genres ergeht sich „Jugend – Es ist kompliziert“ weniger in komischen Stereotypen und von einem Thema (pro Folge) und einer Moral durchtränkten Mustern. So kann beispielsweise Sophie nicht nur sehr direkt sein, sondern auch sophisticated: „Aber meine Geilheit ist rein. Deine Stielaugen sind Symptom einer vom Patriarchat korrumpierten Seele.“ In einem Aktmalkurs endet das Ganze weniger intellektuell und geht als der „Penisvorfall“ in die Annalen der WG-Historie ein.

Jugend – Es ist kompliziert!Foto: ZDF / Frank Dicks
Es ist immer Action im Haus. Und die beiden machen ganze Sache beim Renovieren – und vor allem Riesenschulden: Frank (Leon Ullrich) und Sophie (Eli Riccardi) aus New Jersey, die mit ihrem ständigen Wechsel zwischen Deutsch und Englisch Tempo ins Spiel bringt und eine breite Referenzspur zu den US-Sitcom-Klassikern der 1990er und 2000er Jahren legt.

Das Genre ist Comedy, da macht man sich keine Illusionen über gute Haltungsnoten oder gar Altruismus. Zu viert ist man weniger allein. Das war schon in der Serie „Girls“ so, auch wenn dort in der geschmeidigeren Serien-Narration der Egoismus nicht immer so deutlich hervortritt. In „Jugend“ stellen ihn die Dialoge und Interaktionen geradezu aus: diesen puren Narzissmus. Immer wieder gibt es Runden, in denen wortwörtlich aneinander vorbeigeredet wird und jeder nur um sein eigenes „Problem“ kreist. Diese Sitcom mit Spurenelementen einer Dramedy ist weniger als die US-Vorbilder fixiert auf Witz und Pointe als vielmehr auf die vielfältige Zeichnung der Figuren (die bei den Klassikern auch vorhanden ist, aber anders zustande kommt: durch die Vielzahl an Staffeln und Geschichten). „Jugend“ mag auf den ersten Blick typisch deutsch wirken, entwickelt sich aber zu einer originellen Serienform, bei der Vergleiche mit „Friends“ & Co nur danebengehen können. Die Serie ist viel weniger universell, was sich durchaus als Qualität lesen lässt. Das Tempo der Dialoge und das ständige Um-die-Ecke-Denken von Cathrin & Co dürfte bewirken, dass sich hier so richtig nur die Um-die-30-Community Zuhause fühlen wird, die, die wie die Protagonisten Zeit haben, Verhaltensweisen, Kommunikation & deren möglichen Bedeutungen akribisch zu sezieren.

Der Titelzusatz „Es ist kompliziert!“ passt zu dieser Serie wie fast alles passt und bestens durchdacht ist: die überlappenden Dialoge, die spontanen Tempowechsel, das ikonische Szenenbild, das an die kultischen Sitcoms erinnert, aber einen eigenen hochwertigen Look gefunden hat und nie billig aussieht, die diversen Redeschwalle, in denen sich der in der Serie mehrfach thematisierte intellektuelle „Klassismus“ spiegelt, und zu guter Letzt die Besetzung. Thomas Schubert, zum Niederknien in „King of Stonks“, und Leon Ullrich, der schon in Stuckmanns Vorgänger-Serie „Eichwald, MdB“ dabei war, beweisen einmal mehr ihre (komödiantische) Klasse. Auch Bühnenschauspielerin Sarah Gailer meistert ihre Cathrin, die gewöhnungsbedürftigste – sprich: anstrengendste – Figur der Serie, und Deutsch-Amerikanerin Eli Riccardi zeigt mehr als in ihrer ersten Serien-Hauptrolle in „Mandy und die Mächte des Bösen“, dass von ihr noch einiges zu erwarten sein wird. Ihnen allen gelingt es, comedy-like neben der Spur zu spielen, aber dabei nicht nur Distanz herzustellen, sondern auch Sympathie zu entwickeln für dieses zweite Erwachsenwerden, das zumindest denen, die die Serie mögen werden, nicht fremd sein dürfte. Denen wird es gefallen, dass universale, zeitlose Themen wie Dating-, Beziehungs- und Trennungsfragen sehr viel unkonventioneller, verquerer, biestiger, schräger, „gestörter“, also realistischer als beispielsweise in „Sex and the City“ oder „How I met your Mother“ gelöst werden. Widersprüche aufzulösen, das gehört nun einmal nicht zur Kernkompetenz von „Jugend“. (Text-Stand: 18.8.2024)

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ZDF

Mit Thomas Schubert, Sarah Gailer, Eli Riccardi, Leon Ullrich, Gerti Drassler und als Gäste: Fabian Hinrichs, Wolfram Koch, Tijan Marei, Moritz Führmann

Kamera: Johannes Greisle, Jesse Mazuch

Szenenbild: Nora M. Stenutz

Kostüm: Lena Nienaber

Schnitt: Thoomas Krause, Alina Drescher

Musik: Peter Licht

Redaktion: Lucia Haslauer

Produktionsfirma: Studio Zentral, SKP Entertainment

Produktion: Lasse Scharpen, Lucas Schmidt

Drehbuch: Stefan Stuckmann

Regie: Simon Ostermann, Hannah Dörr, Stefan Stuckmann

EA: 06.09.2024 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 10.09.2024 21:45 Uhr | ZDFneo

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