Herrhausen – Der Herr des Geldes

Masucci, Koschitz, Wendrich, Strietmann, Sperl. Der gute Mensch aus dem Bankenturm

Foto: Degeto / Sperl Film / Emmerich
Foto Thomas Gehringer

Deutsche Bank, Mauerfall, RAF und die Frage, wer die Macht im Kapitalismus hat: „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ (ARD Degeto, rbb, HR, SWR / Sperl Film- und Fernsehproduktion) ist ein packendes Biopic im Stile eines historischen Thrillers. Das vielschichtige Drehbuch von Thomas Wendrich schildert die letzten beiden Lebensjahre Alfred Herrhausens, der als Vorstandssprecher der Deutschen Bank und enger Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl Ende der 1980er Jahre kräftig in der Politik mitmischt. Zugleich steht der Top-Manager für eine Zeitenwende im Bankenwesen. Oliver Masucci ist der Dreh- und Angelpunkt in einem umfangreichen, internationalen Ensemble und die perfekte Besetzung für den charismatischen Banker. Pia Strietmann inszeniert die vierteilige Mini-Serie, die im Ersten als Zweiteiler ausgestrahlt wird, als temporeichen Machtkampf auf verschiedenen Ebenen, auf der Vorstandsetage der Deutschen Bank, in den politischen Hinterzimmern und Geheimdienst-Zentralen sowie im Lager der Terroristen.

Am 30. November 1989, drei Wochen nach dem Fall der Berliner Mauer, explodierte im hessischen Bad Homburg eine Bombe, die den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, tötete – ein Schock mitten im Wendefreudentaumel. Das Bild von dem zerstörten gepanzerten Dienstwagen ist eines der letzten ikonischen Bilder der Bundesrepublik. Zwar wurden Herrhausens Mörder nie gefasst, dennoch steht außer Frage, dass die Rote Armee Fraktion (RAF) das Attentat, zu dem sie sich selbst bekannte, auch tatsächlich verübt hatte – wohl mit Unterstützung der Palästinensischen Befreiungsfront (PFLP). Dabei entsprach Herrhausen nicht dem Bild eines typischen Kapitalisten. 1987 hatte er mit öffentlichen Gedankenspielen zu einem Schuldenerlass für die ärmsten Länder (nicht nur) die Finanzwelt irritiert. Er unterstützte die Reformpläne des neuen sowjetischen Staats- und Parteichefs Michail Gorbatschow, indem er sich für Kredite an das vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch stehende Land einsetzte. „Der Spiegel“ widmete Herrhausen im März 1989 eine Titelgeschichte, deren Schlagzeile 35 Jahre später für die von der ARD in Auftrag gegebene Mini-Serie wieder hervorgekramt wird: „Der Herr des Geldes“.

Herrhausen – Der Herr des GeldesFoto: Degeto / Sperl Film / Emmerich
Stecken in Folge eins die Köpfe zusammen: Herrhausen (Oliver Masucci), der sich mit seiner Idee vom Schuldenerlass für arme Länder viele Feinde in der Finanzwelt gemacht hat, und sein Mentor Christians (Zirner), der dessen Elan zu bremsen versucht.

Mit Oliver Masucci als Hauptdarsteller fiel die Wahl auf einen der zurzeit angesagtesten Schauspieler, der zwar die elitäre, intellektuelle Attitüde Herrhausens nicht unbedingt verkörpert, dafür aber eine perfekte Wahl ist für einen vielschichtigen, kantigen Charakter. Herrhausen ist ein kluger, weitsichtiger Kopf und guter Redner, aber auch ein machtbewusster Typ, der manchmal Opfer seiner eigenen Selbstüberschätzung wird, der Arroganz ausstrahlt und nicht zur Ruhe kommen kann, der seine Frau Traudl (Julia Koschitz) liebt, aber vor allem an sich und seine Pläne denkt, der rücksichtslos über die eigenen Grenzen geht und seinem Assistenten (David Schütter) Ähnliches abverlangt. Gleichzeitig ist Herrhausen verletzlich, nicht nur weil er nach einem Treppensturz eine neue Hüfte braucht. Die terroristische Bedrohung ist alltägliches Lebensgefühl, aber Herrhausen verdrängt Schmerzen und Ängste. Bevor das Attentat in Pia Strietmanns packender Inszenierung Realität wird, ist es als Traum, Vorahnung, Vision und auch als reale Übung dauerpräsent.

Herrhausens Ermordung begünstigte das Entstehen eines Mythos, in dem der Sohn eines Vermessungsingenieurs zum leuchtenden Gegenbild für die konservative, hermetisch-abgehobene Frankfurter Bankenwelt wurde. Er galt als „der gute Mensch aus dem Bankenturm“, wie die „Süddeutsche“ 2010 schrieb. Das beim Festival Series Mania in Lille ausgezeichnete Drehbuch von Thomas Wendrich („Lieber Thomas“, „Je suis Karl“) spielt mit diesem Mythos, bietet aber verschiedene Perspektiven und Deutungen an, statt sich auf eindeutige Antworten festzulegen. Wie kommt einer wie Herrhausen zum Beispiel dazu, die Idee eines Schuldenerlasses in die Welt zu setzen? Die Serie schildert eine Art Erweckungserlebnis: Malerische Morgenstimmung in Mexiko, der Staatspräsident hat Herrhausen dazu eingeladen, irgendwo in der Wüste einer indigenen Zeremonie beizuwohnen. Zwei Männer tragen die Sonne in ihren Händen, helfen ihr dabei jeden Tag aufs Neue aufzugehen. Herrhausens buchstäblich weiter Horizont in Bildern. Aber Herrhausen bleibt auch der knallharte Herr der Zahlen, der die Deutsche Bank fit machen will für den globalen Wettbewerb – mit dem Einstieg ins Investmentbanking. Er will auf Augenhöhe sein mit den global agierenden US-Banken, beispielsweise der Lehman-Bank. Herrhausen, der 1987 angesichts des Schuldenstands der armen Länder vergeblich vor einem Börsencrash warnte (der dann am „Schwarzen Montag“ prompt eintrat), wird aus heutiger Perspektive zum Wegbereiter der Finanzkrise von 2008. Das kann man wohl Entmystifizierung nennen.

Herrhausen – Der Herr des GeldesFoto: Degeto / Sperl Film / Tom Trambow
Oben: Realpolitiker versus Visionär: Kohl (Sascha Nathan) & Herrhausen (Oliver Masucci) geraten aneinander. Dem einen geht es um Europa, dem anderen um die ganze Welt. Unten: Traudl (Julia Koschitz), mehr als die Frau an seiner Seite, begleitet ihren Alfred, der beim Gorbatschow-Staatsbesuch seinen Anteil am Milliardenkredit für die Sowjetunion nicht genug gewürdigt sieht.

Gleichzeitig wird Herrhausen hier zur historischen Schlüsselfigur in der Endphase des Kalten Kriegs stilisiert, was wiederum den Mythos befeuert. Moskau bittet den Vorstandssprecher der Deutschen Bank um Hilfe, woraufhin Herrhausen seinen Freund Helmut Kohl zu einem Milliarden-Kredit für die Sowjetunion und damit zu einer Kehrtwende seiner Politik überredet. Der ebenso machtbewusste Kohl ist allerdings keine Marionette in der Hand des Kapitalisten. „Kann er nicht einfach mal machen, was man ihm sagt?“, klagt Herrhausen. Am Ende steht der einflussreiche Banker wie der verkannte, wahre Held der letzten Jahre der Ost-West-Konfrontation da, der Kohl überdies vor den hohen Kosten einer schnellen Wiedervereinigung warnte. Hat die RAF ausgerechnet den Kapitalisten aus dem Weg geräumt, der Deutschland vor den Kohl’schen Fehlern bewahrt hätte? Über diese Darstellung dürfen sich nun Historiker:innen streiten – eine Fiktionalisierung bietet immer Angriffsflächen, selbst wenn sie sich um Faktentreue bemüht, aber sie kann auch neue Blickwinkel und anregende Diskussionen eröffnen. „Nach einer wahren Geschichte. Soweit Geschichte wahr sein kann“, lautet eine schriftliche Einblendung zu Beginn jeder Episode. Hoffentlich ist damit nicht gemeint, dass historische Forschung überflüssig sei.

Ganz sicher ist jedenfalls eines: Wendrich, Strietmann und ihr ausgezeichnetes Team erzählen hoch spannend in einer Mischung aus Biopic, Wirtschafts-, Polit- und Agententhriller aus einer Zeit, in der sich gewaltige Umbrüche ankündigen. Alles geschieht gleichzeitig, auch in der Dramaturgie der Serie: Während sich das Ende des Ostblocks ankündigt, bricht Herrhausen mit den Traditionen der Deutschen Bank und die vierte (und letzte) Generation der RAF plant eines ihrer letzten mörderischen Attentate. Die chronologische Erzählung an den verschiedenen Schauplätzen entwickelt Sogwirkung, obwohl das Ende bekannt ist. Denn gleichzeitig verfolgt das Publikum aus der Perspektive der verschiedenen Geheimdienste die historischen Ereignisse. Ziemlich verblüffend ist es, wie genau CIA und Stasi im Bilde sind. Auch die vertraulichen Gespräche zwischen Kohl und Herrhausen lesen die Dienste in Ost und West Wort für Wort mit. Der Banker landet bei einer Geheimreise nach Moskau in einem kafkaesken Alptraum, und auch die ausführlich erzählte Geschichte der Attentats-Vorbereitung wird zu einem dichten Thriller. Die Dienste in Ost und West haben dabei ihre Finger im Spiel. Die Stasi in Gestalt von Major Wild (Franz Hartwig) finanziert die Reise der untergetauchten RAF-Terroristin Tania Fehling (Lisa Vicari) zu den „Kampfgenossen“ im Nahen Osten. Derweil trifft sich Hartmut Kefer (Cornelius Obonya) vom Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz mit RAF-Mitglied Volker Seibert (Joshua Seelenbinder), um ihn zum Aussteigen zu bewegen und einen Waffenstillstand auszuhandeln. Besonders brisant dürfte die Frage sein, ob es tatsächlich Kontakte der CIA zu einem Waffenhändler gab, der mit realen Bombenanschlägen die Wirksamkeit seiner Waffe demonstrieren wollte.

Herrhausen – Der Herr des GeldesFoto: Degeto / Sperl Film / Spauke
Auch auf der Gegenseite, bei der RAF und deren Helfershelfern der Palästinensischen Befreiungsfront, herrscht selten Einigkeit: Attentat oder Entführung – das ist eine der entscheidenden Fragen. Der Rest ist Warten. Terroristin Tania Fehling (Lisa Vicari) wehrt sich gegen die Verschiebung der Kommandostrukturen in der Terrorzelle.

Die Produktion scheut sich auch nicht, zahlreiche historische Persönlichkeiten aufzurufen. Sascha Nathan als Helmut Kohl trifft den (Pfälzer) Ton ebenso wie der israelische Schauspieler Dov Glickman die tiefe, gurgelnde Stimme von Henry Kissinger, der am Ende weitsichtig davor warnt, dass sich Gorbatschow (Vitali Usanov) nicht lange genug an der Macht halten könnte, um seine Reformen durchzusetzen. Außenminister Hans-Dietrich Genscher (Peter Jordan) kommt nicht so gut weg, auch Herrhausens Nachfolger Hilmar Kopper (Shenja Lacher) erweist sich als intellektuell nicht gerade ebenbürtig; allenfalls gilt das für Friedrich Wilhelm Christians (August Zirner), den langjährigen Vorstandssprecher der Deutschen Bank, um dessen Nachfolge ein unterhaltsamer Machtkampf ausbricht, in dem Herrhausen mit seinen Kollegen am legendären runden Vorstandstisch in Frankfurt am Main Katz und Maus spielt. Sein damaliger Gegenspieler Eckart van Hooven wurde in von Grofen umbenannt, den Thomas Loibl, ein Spezialist für Verlierer-Figuren, auf erbarmungswürdige Weise verkniffen spielt. Dafür ist es von Grofen, der am Ende hellsichtig davor warnt, dass mit dem Einstieg ins Investmentbanking die „Ausplünderung von Staat und Kunde“ droht.

Ein bisschen Liebes- und Ehedrama ist auch dabei, denn wie Herrhausen seine Frau Traudl trotz eines engen, liebevollen Verhältnisses immer wieder brüskiert, wie er auf Kosten seiner Ehe unermüdlich seine Pläne verfolgt, erzählt einiges vom Getriebensein der Hauptfigur. Traudl ist Ärztin und eine Frau, die mit ihrem Mann auf Augenhöhe redet. Im Gegensatz zu Herrhausens Sekretärin Frau Pinckert, die sich allerdings als wichtigste Vertraute des von ihr angehimmelten Managers sieht. Mit Humor und Sinn für die Tragikomik der Figur spielt Ursula Strauss gegen das Klischee der stutenbissigen Vorzimmerdame an. Der Vorstand der Deutschen Bank ist Ende der 1980er Jahre noch ein reiner Herrenclub. Als Herrhausen mit Ellen Schneider-Lenné (Bettina Stucky) eine erste Frau ins Machtzentrum befördern will, halten das seine Kollegen für einen Scherz und brechen in schallendes Gelächter aus. Aber Herrhausen setzt sich natürlich auch in dieser Frage durch. Der „Herr des Geldes“ wurde einerseits derart verehrt, dass man ihn um Autogramme bat. Andererseits machte er sich auch viele Feinde. Der zynische Satz „Wo ist die RAF, wenn man sie mal braucht“ fällt in Ost und West, bei der Stasi ebenso wie im Kreis der Bankenmanager. Die Terroristen, die gerne Revolutionäre wären, sind hier in Wahrheit Erfüllungsgehilfen. (Text-Stand: 5.9.2024)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von ARD Mediaplayer. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Weitere Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Serie & Mehrteiler

ARD Degeto, HR, rbb, SWR

Mit Oliver Masucci, Julia Koschitz, Sascha Nathan, David Schütter, Ursula Strauss, Thomas Loibl, August Zirner, Bettina Stucky, Shenja Lacher, Lisa Vicari, Yousef Sweid, Anton Spieker, Joshua Seelenbinder, Dov Glickman, Franz Hartwig, Philippe Brenninkmeyer

Kamera: Florian Emmerich

Szenenbild: Knut Loewe, Lutz Krammer

Kostüm: Peri de Braganca

Schnitt: Anja Siemens.

Casting: Simone Bär

Musik: Martina Eisenreich

Redaktion: Claudia Luzius, Christoph Pellander, Kerstin Freels, Martina Zöllner, Michael Schmidl

Produktionsfirma: Gabriela Sperl Produktion, X Filme Creative Pool

Produktion: Gabriela Sperl, Uwe Schott

Drehbuch: Thomas Wendrich

Regie: Pia Strietmann

Quote: (1): 2,70 Mio. Zuschauer (11,9% MA); (2): 1,68 Mio. (8,6% MA)

EA: 01.10.2024 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

weitere EA: 01.10.2024 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach