Früher, als ein Date noch Rendezvous hieß, führte eine erste Verabredung eher selten gleich zum Sex. Heute ist das andersrum: Man verabredet sich zum Sex und geht hernach seiner Wege; ein gemeinsames Frühstück wäre viel zu intim. Manchmal haben solche flüchtigen Begegnungen allerdings Folgen, die sich erst einige Wochen später zeigen. So geht es auch Pauline: Sie ist schwanger. Wer der Erzeuger ist, steht außer frage. Befremdlich ist allerdings die Tatsache, dass sie sich bereits in der achten Woche befindet, obwohl der Sex mit Lukas erst einen Monat zurückliegt. Das ist jedoch beileibe nicht die einzige mysteriöse Entwicklung, die die angehende Abiturientin nun erlebt. Plötzlich verfügt sie über erstaunliche Fähigkeiten: Regt sie sich auf, rieselt Putz von der Decke, Verletzungen heilen über Nacht, und wenn sie Menschen berührt, kann sie einen Blick in deren seelische Abgründe werfen; später ist sie sogar in der Lage, anderen ihren Willen aufzuzwingen. Die Erklärung für dieses Phänomen ist ebenso einleuchtend wie schockierend, denn das Baby in ihrem Bauch ist ein Enkelkind des Teufels, oder richtiger gesagt: der Teufelin.
Foto: Disney / btf
„Pauline“ ist ein fast zu schlichter Titel für diese Serie, deren Drehbücher sich fröhlich bei prominenten Vorbildern wie „Rosemaries Baby“ (1968), „Der Exorzist“ (1973), „Das Omen“ (1976) sowie einer Vielzahl zu Recht vergessener B-Movies bedient haben. Was die von der für ihre Serie „How to Sell Drugs online (Fast)“ (Netflix) unter anderem mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnete Produktionsfirma btf aus diesem vermeintlich restlos ausgewrungenen Handlungskern gemacht hat, ist allerdings sehr unterhaltsam. Den größten Anteil daran haben neben der temporeichen Umsetzung und den beeindruckenden Spezialeffekten Sira-Anna Faal, eins der vielen Talente aus der funk-Serie „Druck“ (Staffel fünf, 2020), sowie der deutlich Kamera-erfahrenere Ludger Bökelmann, der hier auf verblüffende Weise an den jungen Kurt Russell als Hauptdarsteller von John Carpenters Bio-Pic „Elvis – The King“ (1979) erinnert. Andrea Sawatzki als Teufelin Lilith wiederum wirkt, als hätten sich Masken- und Kostümbild durch die schurkische Cruella de Vil aus dem Disney-Klassiker „101 Dalmatiner“ inspirieren lassen. Diverse Anspielungen auf die Popkultur lassen ohnehin erahnen, wie viel Vergnügen das Drehbuch-Quartett (Chefautor: Sebastian Colley) sowie das von Arabella Bartsch angeführte Regietrio bei der Arbeit hatten; sehr witzig ist unter anderem, wie Liliths Sohn Lukas regelmäßig die Mitglieder der „Avengers“ miteinander verwechselt.
In diesen Momenten wirkt die sechsteilige Serie vorübergehend wie eine romantische Komödie, aber abgesehen von den kleinen Heiterkeiten, die Dimitrij Schaad als Lukas’ Kollege und Experte für Mythologie einstreut, erfüllt der Tonfall von „Pauline“ durchaus die Erwartungen an das Genre: Auf der Erde herrscht zwischen den Mächten des Guten und jenen des Böses eine Art Gleichgewicht des Schreckens, das durch die Ankunft des Antichristen in erhebliche Schieflage geraten würde. Auch die Repräsentanten des Lichts, die sich in der sektenartigen Gruppe „Sonnenseite“ zusammengefunden haben, betrachten die Geburt als Chance, Ordnung ins Chaos zu bringen. Als Wurzel allen Übels haben sie den freien Willen des Menschen ausgemacht; damit wäre nun ein für alle Mal Schluss.
Foto: Disney / btf
Für weitere Kurzweil sorgen in der ursprünglich für Netflix konzipierten und mit großem optischen Aufwand produzierten Serie bewährte Elemente aus Teenager-Geschichten: Pauline gerät ständig mit Britta aneinander. Die Mitschülerin ist ihre Konkurrentin beim Wettbewerb um ein Stipendium und entspricht bis ins Detail dem Typus „attraktive Intrigantin“, selbst wenn sie rechtzeitig zum packenden Finale überraschend die Seiten wechselt. Ein cleverer Einfall sorgt dafür, dass Britta in einer etwaigen Fortsetzung dennoch erneut zu einer nun allerdings ungleich mächtigeren Gegenspielerin werden könnte. Johanna Hens nutzt den Facettenreichtum ihrer in jeder Hinsicht komplementären Rolle weidlich aus und hat ohnehin weit mehr Spielmaterial als Lukas Alexander von Horbatschewsky, dem das Filmklischee „redseliger schwuler bester Freund“ kaum Entfaltungsmöglichkeiten bietet.
Sehenswert sind auch Bildgestaltung (Tobias Koppe, Borris Kehl), vor allem wegen der Lichtarbeit, und Ausstattung (Lea Fumy-Schleef, Uta Materne), selbst wenn es nicht weiter überrascht, dass Lukas’ Welt eher düster ist. Während das riesige Büro seiner Mutter, Chefin eines Baukonzerns, dem die halbe Stadt gehört, einen traumhaften Blick bietet, arbeitet er tief unter der Erde, wo ein rötlicher Lichtschein die Nähe zum Fegefeuer andeuten soll. Nach dem Tod seines Bruders will Lilith ihn zu ihrem Nachfolger aufbauen, doch Lukas hat in dieser Hinsicht keinerlei Ambitionen. Auch bei Pauline spielt der Stammbaum eine Rolle, denn ihr verstorbener Vater war keineswegs der brave Hausmeister, für den sie ihn hielt. Die Song-Auswahl treibt ein augenzwinkerndes Spiel mit Engeln und Teufeln; hörenswert ist der Soundtrack in erster Linie wegen der Musik von „Get Well Soon“-Kopf Konstantin Gropper und seiner Mitstreiterin Alex Mayr. Originell ist auch die Idee eines YouTube-Tutorials für Liliths Gefolgschaft: Der Film liefert den Hintergrund für den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse und ist in einem Stil animiert, der an Cartoons aus der frühen Trickfilmzeit erinnert.