Tatort – Siebte Etage

Behrendt, Bär, Bill, Huskic, Forst, Zahn, Tabak. "Ihre Schwänze verletzen deine Seele"

Foto: WDR / Martin Valentin Menke
Foto Rainer Tittelbach

Wer hat den Haustechniker des Eros-Center aus dem Fenster geschubst? Alle Spuren führen in das Stockwerk, in dem Prostituierte ihre Arbeitszimmer haben, wo Dienstleisterinnen für deren Style sorgen und wo sich das Opfer häufig aufgehalten hat. Der „Tatort – Siebte Etage“ (WDR / Bavaria Fiction) beginnt als cleverer Whodunit, entwickelt sich vielschichtig zum Drama, bevor weitere Tote den Krimi in einer Tragödie gipfeln lassen. Der Film, der größtenteils im Eros-Center spielt und weitgehend aus der Perspektive der Frauen erzählt ist, verzichtet auf die üblichen Rotlicht-Milieu-Klischees, bricht mit Genre-Konventionen und steckt voller großartiger filmischer Einfälle. Grundlage ist ein gut recherchiertes und stimmig konstruiertes Drehbuch, das den Prostituierten mehr als nur ihre Würde belässt. Jede Figur hat ihre eigene Geschichte. Und die Kommissare geben nicht die Zeigefinger-Moralisten.

Wer hat den Haustechniker des Eros-Center aus dem Fenster geschubst? Gemocht hat ihn keiner hier. Weder die Sexarbeiterinnen, Jasmin (Antonia Bill), Cosima (Senita Huskic) und Tani (Maddy Forst), noch Chiara (Sabrina Setlur), die geschäftstüchtige Dame vom Nagelstudio, oder der Geschäftsführer dieser Goldgrube (André Eisermann), der den Laden durch den jungen „derbe respektlosen“ Mann gestört sah. Es gab Beschwerden. Selbst die eigene Schwester (Nuriye Jendroßek) hätte es am liebsten gesehen, wenn dem kleinen Bruder gekündigt worden wäre. Gründe, auf ihn Brass zu haben gab es ausreichend, aber ihn deshalb gleich umbringen!? Für Ballauf (Klaus J. Behrendt), Schenk (Dietmar Bär) und vor allem für Kollege Jütte (Roland Riebeling), einst bei der Sitte, der persönlich betroffen ist, wird es kein leichter Fall. Es fehlt ein handfestes Motiv. Das ändert sich auch nicht, als es ein zweites Opfer gibt. Klar ist nur, dass alle Spuren, alle Verdachtsmomente in die siebte Etage führen, dort, wo einige Prostituierte ihre Arbeitszimmer haben, wo Dienstleisterinnen für deren Style sorgen und wo sich der übergriffige Haustechniker häufig aufgehalten hat.

Tatort – Siebte EtageFoto: WDR / Martin Valentin Menke
Norbert Jütte (Roland Riebeling) ermittelt auf eigene Faust. Früher hat er bei der Sitte gearbeitet. Bei seinen Recherchen ist er auf eine alte Bekannte gestoßen. Er ist nicht der Einzige, der den Retter spielen möchte; er sogar ohne sexuelle Hintergedanken.

Das Rotlicht-Milieu wird in Krimis immer wieder gern genommen als Setting, weil es assoziationsreich und ästhetisch reizvoll ist. Doch häufig dominieren in Nachtclub- oder Bordellszenen narrative Klischees (die Nutte mit Herz, Prostituierte sind auch nur Menschen, Sexarbeit – ein Beruf wie jeder andere) und stereotype Sinnlichkeit. Der „Tatort – Siebte Etage“ bricht mit diesen Genre-Konventionen. Das renommierte Autorenduo Eva Zahn und Volker A. Zahn stellt den Alltag im Eroscenter, die kleinen Freuden und Zankereien, vor allem aber die stillen Leiden und den tiefen Schmerz der Prostituierten in den Mittelpunkt der Handlung. Jede der Verdächtigen hat ihre ganz persönliche Geschichte. Die Schicksale werden weder überdramatisiert, noch werden – wie in den vielen Reality-TV-Formaten aus dem Milieu – die psychischen Probleme der Sexarbeit bagatellisiert. Da ist Jasmin, die Schöne, die neugierig war, sich anfangs als Sexgöttin fühlte, begehrt und mächtig. „Total bescheuert“, sagt sie heute. Da ist Cosima, die zwei Söhne hat und davon träumt, mit ihnen zusammenzuleben. Aber wie soll das gehen?! Und da ist Tani, die sehr gut in der Schule war, doch die statt auf ein Elite-Gymnasium zu gehen in den Puff gesteckt wurde. Die von den Zahns recherchierten Fakten wurden auf die Figuren verteilt – und zu drei stimmigen Charakteren geformt, realistisch, zugleich fein stilisiert – und perfekt verkörpert von Antonia Bill, Senita Huskic und Maddy Forst. Auch die Kommissare, einst als Zeigefinger-Moralisten bekannt und diesmal eher in der zweiten Reihe, sind keine Themenfilm-Lautsprecher. Apropos: Während viele Krimis Themen verbraten, die in Fernsehfilmen vielschichtiger erzählt werden könnten, ist das bei diesem „Tatort“ anders: Alles passt, auch der Krimi.

„Wenn ich eine Wohnung will, dann muss ich lügen. Wenn ich mit meinen Söhnen in die Schule gehe, muss ich lügen … Ich belüge meinen Körper, damit er durchhält. Ich belüge meine Seele, damit ich nicht andauernd weine. Ich belüge die Männer, die über und in mir sind. Es ist nicht meine Vagina, die schmerzt, es ist die Lüge.“ (Cosima Adam / Senita Huskic in Richtung Zuschauer)

Tatort – Siebte EtageFoto: WDR / Martin Valentin Menkes
So ausgelassen sind die Frauen (Senita Huskic, Maddy Forst, Antonia Bill) selten. Jasmin hat Geburtstag. Die Zahns wollten die Frauen hinter dem Etikett ‚Sexarbeiterin‘ sichtbar machen: ihre Träume, Sehnsüchte, Alltagsnöte, ihre Suche nach dem Glück.

„Siebte Etage“ beginnt als Whodunit, der von der räumlichen Begrenzung deutlich profitiert. Keine langen Wege, keine Autofahrten, bei denen die Kommissare den Zuschauern den Fall erklären, kein Abarbeiten von Verdächtigen, von denen üblicherweise die ersten nur Füllmaterial sind, um die 90 Filmminuten voll zu kriegen. Anstatt neue mutmaßliche Täter aus dem Hut zu zaubern, sind in diesem „Tatort“ alle Figuren binnen weniger Minuten vorgestellt und charakterisiert. Bei den ersten Befragungen geht es quasi Schnitt auf Schnitt. Dennoch bekommt man als Zuschauer auch eine gute räumliche Vorstellung von dieser siebten Etage, die im Übrigen ein Originalschauplatz ist; gedreht wurde in einem Kölner Eroscenter. Da ist der abgedunkelte, in Puff-Rot getauchte Flur, durch den die Freier, aber auch die Kommissare durchmüssen. Da sind die Arbeitsplätze, die Zimmer der Prostituierten, und da ist ein wohnlicher Raum, in dem sie sich aufhalten können, wenn sie keine Kundschaft erwarten. Die Zeit, die man durch die konzentrierte Krimi-Dramaturgie einspart, nutzen das Autorenduo und Regisseur Hüseyin Tabak („Tatort – Borowski und der Fluch der weißen Möwe“, „Strafe – Der Dorn“) für das Drama inklusive einiger großartiger filmischer Einfälle.

Schon die Exposition deutet an, dass „Siebte Etage“ thematisch, dramaturgisch & ästhetisch ein ungewöhnlicher „Tatort“ ist. Mit dem Knef-Klassiker „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ geht es in das titelgebende Stockwerk. Behutsam tastet sich die Kamera in diese fremde Welt vor, nähert sich dem noch Freier-losen Etablissement, wirft im Vorbeigehen einen entspannten Blick auf die zentralen Episodenfiguren und zeigt, wie der Mann, der wenig später zum Opfer wird, veranlagt ist: ein Im-Stehen-Pinkler, der von oben herab mit Lust und voller Überzeugung auf die Klobrille zielt. Später werden in rascher Abfolge Männer beim Sex gezeigt, gierig, in wuchtigen Groß- und Detailansichten, meist kopflos: sich monoton bewegende Fleischberge, die unschöne Geräusche von sich geben. Das passt zu dem, was Tani sagt: „Für die bist du kein Mensch, du bist ein Stück Fleisch – mit Löchern.“ Diese eindrucksvolle Montage deutet an, was schlechtere Filme im Dialog vermitteln: Seinen Körper zu verkaufen schmerzt – überall. Wie der gesamte Film so geben auch solche Metaphern die Sicht der Frauen wieder. Diese sprengen sogar die vierte Wand und sprechen das Publikum direkt an, selbstbestimmt, ehrlich, der üblicherweise von Männern (auch die Ermittelnden sind männlich) dominierten Kommunikation entbunden. Den Handlungsfluss stört das nicht. Die Monologe entsprechen der distanzierten Erzählhaltung des sehr präzise inszenierten Films, und sie geben den Blick ins Innerste der Frauen frei: „Du merkst gar nicht, wie du dir deinen Stolz und deine Würde nehmen lässt. Aber ihre Schwänze verletzen deine Seele.“

Tatort – Siebte EtageFoto: WDR / Martin Valentin Menke
Kneissler (André Eisermann) ist der Geschäftsführer des Eroscenters. Er betont, dass Zuhälter keinen Zutritt zur „Siebten Etage“ haben und alle Frauen selbstbestimmt ihrem Job als Prostituierte nachgehen. Wer Probleme macht, fliegt raus. Senita Huskic

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Reihe

WDR

Mit Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär, Antonia Bill, Senita Huskic, Maddy Forst, Roland Riebeling, Sabrina Setlur, Nuriye Jendroßek, Sascha Goepel, André Eisermann, Tinka Fürst

Kamera: Lukas Gnaiger

Szenenbild: Michaela Schumann

Kostüm: Genoveva Kylburg

Schnitt: Jochen Retter

Musik: Judit Varga

Soundtrack: Hildegard Knef („Für mich soll’s rote Rosen regnen“), Nat King Cole („Smile“)

Redaktion: Götz Bolten

Produktionsfirma: Bavaria Fiction

Produktion: Jan Kruse

Drehbuch: Eva Zahn, Volker A. Zahn

Regie: Hüseyin Tabak

Quote: 9,79 Mio. Zuschauer (32,2% MA)

EA: 24.11.2024 20:15 Uhr | ARD

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