Informant – Angst über der Stadt

Wafaei, Vogel, Schlott, Schmeide, Michelsen, Matthias Glasner. Die Paranoia des Staates

Foto: NDR / Friede Clausz
Foto Thomas Gehringer

Matthias Glasners Thriller-Serie „Informant – Angst über der Stadt“ (NDR, ARD Degeto, Arte – Filmpool Fiction) bietet mit den Ermittlungen vor einem möglichen Anschlag auf die Elbphilharmonie Hochspannung. Überzeugend der realitätsnahe Look in diesem Verwirrspiel um reale Ängste und eingebildete Gefahren, nicht überraschend die Besetzung mit Jürgen Vogel als gealterter Polizist in einer Art „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“-Spiel. Was Glasners Adaption der BBC-Serie „Informer“ darüber hinaus auszeichnet, ist die gleichwertig erzählte Geschichte einer aus Afghanistan geflüchteten Familie. Herausragend Ivar Wafaei als junger Hilfslehrer, der in die Rolle eines Undercover-Ermittlers gedrängt wird. Außerdem punktet der Sechsteiler mit starken weiblichen Figuren und einer klasse Besetzung (Schlott, Schmeide, Michelsen, Schlothauer, Layla). Nur begrenzt originell ist das typisch zugespitzte Kompetenzgerangel der Sicherheitsbehörden. Glasner sendet eine Warnung an eine von Angst getriebene Gesellschaft – das passt leider perfekt zur aktuellen Stimmungslage.

„Er macht das gut. Ein Naturtalent“, lobt Holly Valentin (Elisa Schlott) den neuen Undercover-Agenten. „Zumindest lebt er noch“, bemerkt Gabriel Bach (Jürgen Vogel) trocken. Gemeint ist der aus Afghanistan stammende Raziq „Raza“ Shaheen (Ivar Wafaei), der sich bei der Beerdigung eines getöteten Drogendealers unter die Trauernden mischt. Zufällig ist der harmlose Raza ins Visier der Polizei geraten. Valentin und Bach können ihn unter Druck setzen, weil sich Razas Freundin Sadia (Bayan Layla) ohne Papiere und mit abgelaufener Duldung illegal in Deutschland aufhält. Nun soll der schmächtige junge Mann dabei helfen, einen islamistischen Anschlag zu verhindern? Das ist eine ziemlich gewagte Konstruktion, und auch der LKA-Ermittler Bach hält eigentlich wenig von der Idee seiner noch unerfahrenen BKA-Kollegin Valentin. Aber die Behörden stehen unter enormem Druck, weil es Hinweise gibt, dass sich der Drahtzieher eines verheerenden Anschlags in Oslo auch in Hamburg aufgehalten haben könnte. Der gut vernetzte Drogenhändler scheint darüber etwas gewusst zu haben. Jedenfalls war er ein Informant von Bach und wurde vor einem Treffen mit dem Polizisten erschossen. Über seinen jüngeren, hitzköpfigen Bruder Dadir Hassan (Benny O. Arthur) hoffen die Ermittler nun, Zugang zur Szene und Hinweise zum geplanten Attentat zu erhalten. Raza kennt Dadir flüchtig vom Kickbox-Training. Indem er sein Vertrauen gewinnt, schafft er es auch, den Kontakt mit Gol Rahmani (Aziz Çapkurt) herzustellen, einem weiteren Drogendealer mit vielerlei Kontakten. Gleichzeitig wird ein Unbekannter verhaftet, der tagsüber ungehindert bis in den Konzertsaal der eigentlich streng gesicherten Elbphilharmonie vordringen kann. Bei den Verhören schweigt der Verdächtige. Die Behörden fühlen sich in ihrer Vermutung bestärkt, dass der Hamburger Kulturtempel das Anschlagsziel sein soll, wenn dort in wenigen Tagen der jüdische Dirigent David Levy (Henry Arnold) mit seinem Orchester und einer jungen, muslimischen Konzertmeisterin auftritt.

Informant – Angst über der StadtFoto: NDR / Friede Clausz
„Tragen wir nicht alle unsere Narben?“ Gabriel Bach (Jürgen Vogel) arbeitete einst als Verdeckter Ermittler. Noch heute leiden er, seine Frau (Claudia Michelsen) und deren Ehe unter den Nachwirkungen jener Jahre. Bach hat offenbar seine Identität verloren.

Zu Beginn jeder der ersten fünf Episoden wird scheibchenweise geschildert, wie sich der Anschlag ereignet hat. Die kurzen, parallel montierten Ausschnitte aus einer späteren öffentlichen Anhörung geben weitere Hinweise, doch tatsächlich wird erst im sechsten und letzten Teil klar, wer Täter und Opfer sind, was sich bei dem Konzert in der Elbphilharmonie und zeitgleich in dem Coffeeshop ereignet, wo auch Bachs Frau Emilia (Claudia Michelsen) aufgetaucht ist. Die eigentliche Handlung setzt neun Tage vor dem Anschlag ein, als sich beim Hamburger LKA auch Vertreter des BKA und des Bundesnachrichtendienstes (BND) einfinden. Die Behörden sind in gereizter Alarmstimmung und auch das typische Kompetenz-Gerangel sorgt für permanenten Konfliktstoff. Sonderlich originell oder packend gelingt die Erzählung vom Behörden-Tohuwabohu und von politischer Einflussnahme aber nicht. Was nicht zuletzt an ziemlich eindimensionalen Figuren wie dem konsequent unsympathischen BKA-Vertreter Edgar Braun liegt. Nico Holonics muss praktisch in jeder Szene das zynisches Arschloch heraushängen lassen. Umso angenehmer fällt daher Gabriela Maria Schmeide auf, die als umsichtige Rose Kuhlenkampf vom LKA die Zügel in der Hand hält.

Informant – Angst über der StadtFoto: NDR / Friede Clausz
Unter Druck. Der harmlose, aus Afghanistan stammende Raza (Ivar Wafaei) ist zufällig ins Visier von LKA und BKA geraten. Auf den risikoreichen Job als Informant lässt er sich nur ein, weil er seiner Freundin (Bayan Layla), einer Illegalen, helfen möchte.

Gabriel Bach ist der gealterte Außenseiter, dem bis auf seine Chefin Kuhlenkampf niemand mehr allzu viel zutraut. Spannend ist die doppelte Identität der Figur, die lange in der rechten Szene undercover ermittelt hatte. Die Verbindungen sind noch nicht vollends abgebrochen, insbesondere nicht zu Sängerin Marion (Katharina Schlothauer). Wenn Gabriel in seine frühere Rolle zurückkehrt, verwandelt er sich buchstäblich in einen anderen Menschen: Charly hat eine andere Körperhaltung, trägt andere Klamotten, verhält sich aggressiver. Wer gewinnt die Oberhand in diesem „Dr. Jekyll & Mr. Hyde“-Spiel? Das ist eine der offenen Fragen, die neben Terror- und Undercover-Thrill die selten nachlassende Spannung tragen. In Gabriels Ehe mit Geschichtsdozentin Emilia kriselt es jedenfalls angesichts des Doppellebens, worunter auch die heranwachsende Tochter Tonja (Alix Heyblom) leidet. Gleichzeitig bleibt Bachs Privatleben kein isolierter Handlungsstrang. Interessant wird es insbesondere, wenn die frustrierte Emilia auf Bachs kluge und ehrgeizige BKA-Kollegin trifft – übrigens ein sehenswertes Stelldichein von Schlott und Michelsen. Ohnehin spielt Elisa Schlott souverän eine selbstbewusste Jung-Polizistin mit einigen überraschenden Seiten, und Claudia Michelsen hinterlässt auch dann Eindruck, wenn sie „nur“ in einer Nebenrolle zu sehen ist.

Informant – Angst über der StadtFoto: NDR / Friede Clausz
Zu Beginn einiger Folgen und verstärkt gegen Ende der Serie werden Hintergründe der Ereignisse um die Elbphilharmonie in sachlichen Untersuchungsausschussszenen rekonstruiert. Ein guter Kontrast zu Glasners realitätsnahem Großstadt-Dirty-Look.

Neben der Polizei-Ermittlung erzählt Glasner ausführlich von der verhängnisvollen Verwicklung der afghanischen Familie um den „Informanten“ Raza. Er lebt mit seinem Vater Hanif (Majid Bakhtiari), dem jüngeren Bruder Nazir (Ali Reza Ahmadi) und seiner Freundin Sadia in einer bescheidenen Wohnung. Es ist die typische Geschichte von Geflüchteten, die sich jetzt in schwierigen Verhältnissen in einem fremden Land zurechtzufinden versuchen. Raza spricht fließend Deutsch, engagiert sich als Hilfslehrer und hofft auf eine gemeinsame Zukunft mit Sadia, die zwar kein Bleiberecht hat, aber als aufstrebende Influencerin und Stylistin von einem eigenen Laden träumt. Nazir hat gerade „keinen Bock“ auf die Schule, aber Raza versucht, Talent und Interesse des Bruders mit einem (leider geklauten) Fotoapparat zu wecken. Der Vater scheint dagegen alle Energie verloren zu haben: Hanif, der vom Professor in Afghanistan zum Taxifahrer in Hamburg wurde, gibt sich nach dem Tod seiner Frau dem Alkohol hin. Von der Moschee hält sich Hanif fern und auch Raza „geht jede Religion am Arsch vorbei“. Das anfangs zum Undercover-Job genötigte „Naturtalent“ gewinnt außerdem Gefallen an der neuen Aufgabe. Ivar Wafaei feiert sein Hauptrollen-Debüt und liefert die glaubwürdige Partie eines jungen Mannes ab, der über sich hinauswächst und sowohl zum Täter als auch zum Opfer wird.

Informant – Angst über der StadtFoto: NDR / Friede Clausz
„Meine Grundidee war, dass es nur deshalb zu einer Katastrophe kommt, weil man Angst vor einem Anschlag hat“, so Glasner. LKA-Mann Bach (Jürgen Vogel) ist ein Aggressionsbündel, angefressen von der Paranoia des Staates gegenüber dem Islam.

Grimme-Preisträger Matthias Glasner („Landgericht – Geschichte einer Familie“) gehört zu den profiliertesten Autoren und Regisseuren in Deutschland und hat in diesem Jahr für das Kinodrama „Sterben“ einen Silbernen Bären bei der Berlinale und den Deutschen Filmpreis für den besten Spielfilm gewonnen. Mit dem Sechsteiler „Informant – Angst über der Stadt“, einer Adaption der BBC-Serie „Informer“, setzt er außerdem die lange Zusammenarbeit mit Schauspieler Jürgen Vogel fort, der unter anderem auch in Glasners Thrillerserie „Blochin – Die Lebenden und die Toten“ (2015) die Titelrolle gespielt hatte. Wie vor neun Jahren ist Vogel also ein Cop mit Familie, der von seiner Vergangenheit eingeholt wird – allerdings deutlich gealtert und mit schmerzender Hüfte, wenn auch immer noch zu Ausbrüchen physischer Gewalt in der Lage. Doch damit hat es sich mit den Übereinstimmungen. Im Gegensatz zu „Blochin“ verliert sich die „Informant“-Miniserie nicht in einer ziellos wirkenden Dramaturgie und überflüssigen Nebenhandlungen. Offenkundig war es hilfreich, dass sich Autor Glasner an einer fertigen Produktion orientieren konnte. Gleichzeitig hat er nach eigener Aussage den Akzent verschoben: „Im Original geht es in erster Linie um die Arbeit der Polizisten, die einen Terroranschlag verhindern. Meine Grundidee war, dass es nur deshalb zu einer Katastrophe kommt, weil man Angst vor einem Anschlag hat.“ Glasner wollte „erzählen, wie die Paranoia des Staates und die Angst vor dem Islam zu einer Eskalation der Lage führen“. Damit trifft er leider angesichts des aktuellen Zeitgeists mitten ins Schwarze, und so kann man Glasners Adaption im realitätsnahen Großstadt-Look auch als Warnung vor den Folgen des gegenwärtigen gesellschaftlichen Klimas verstehen.

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Serie & Mehrteiler

ARD Degeto, Arte, NDR

Mit Ivar Wafaei, Jürgen Vogel, Elisa Schlott, Gabriela Maria Schmeide, Claudia Michelsen, Bayan Layla, Ali Reza Ahmadi, Majid Bakhtiari, Nico Holonics, Sabrina Ceesay, Katharina Schlothauer, Bernd Hölscher, Benny O. Arthur, Aziz Çapkurt, Henry Arnold

Kamera: Friede Clausz, Alex Förderer, Matthias Biber

Szenenbild: Seth Turner

Kostüm: Sabine Keller

Schnitt: Andrea Mertens, Falk Peplinski

Musik: Sven Rossenbach, Florian van Volxem

Redaktion: Christoph Pellander, Uta Cappel, Christian Granderath, Philine Rosenberg

Produktionsfirma: filmpool fiction

Produktion: Nikola Bock, Iris Kiefer

Drehbuch: Matthias Glasner

Regie: Matthias Glasner

Quote: in der ARD: (1-3) 2,99 Mio. Zuschauer (13,2% MA); (4-6): 2,49 Mio. Zuschauer (11,2% MA)

EA: 10.10.2024 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

weitere EA: 11.10.2024 10:00 Uhr | ARD-Mediathek

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