Lalo (Lamin Leroy Gibba), PoC, Deutscher, Mitte 20, geht es beschissen. Vor kurzem ist sein Vater gestorben, was er nur schwer verkraftet, während seine Mutter (Christine Rollar) munter neue Pläne schmiedet. Als dann auch noch sein Partner Tobias (Nick Romeo Reimann) nach zwei Jahren Schluss macht und Bijan (Benjamin Radjaipour), einer seiner besten Freunde, mit seinem Lover (Simon Kluth) nach Paris zieht, sieht es noch düsterer aus in Lalos Leben. Allein auf Karla (Melodie Simina), seit Kindertagen seine beste Freundin, ist Verlass. Sie ist eine Macherin, gerade erst wurde sie befördert, alle sind stolz auf sie, doch sie fühlt sich überlastet, müde, ausgebrannt. Auch der Gedanke, dass ihr Karrieresprung als schwarze Frau eine „Quotenbeförderung“ sein könnte, lässt ihr keine Ruhe. Zum Aussprechen hat sie keinen, der „beste Freund“ dreht sich nur um sich selbst, und ihre 16jährige Schwester Lotta (Vanessa Yeboah) ist zwar reif für ihr Alter, hat aber verständlicherweise kein offenes Ohr, denn sie ist schwanger. Selbst der Besuch, gemeinsam mit Lalo, bei einer Jugendfreundin (Paula Kober) auf Rügen, mit der es vor Jahren zum Bruch gekommen ist, verschlimmert das emotionale Chaos der beiden. Vielleicht hilft ja Sex. Der geheimnisvolle Joshua (Daniel Herenandez) steht offenbar auf Lalo, und die bisexuelle Karla hat eine toxische lesbische Liebe wieder aufgewärmt. Belebend könnte auch Lalos Kunstprojekt „fremd & familiär“ wirken.
Trauer hin oder her, anstrengend ist sie schon, diese männliche Hauptfigur der ARD-Serie „Schwarze Früchte“. Schnell beleidigt und persönlich werdend, die eigene Unsicherheit und Planlosigkeit in quälend langatmigen Monologen vor sich herschleppend, sich eine Zukunft erträumend, in der viel Wunsch und wenig Realität steckt. Und wer glaubt, Fremdschämen ist ein Privileg von Comedys, der wird in diesen acht Mal 30 Minuten eines Besseren belehrt. In der ersten Folge, als er sich bei den Eltern seines Noch-Freundes einem als wohlwollend kaschierten Spießrutenlauf ausgesetzt sieht, ergreift man noch eher für ihn Partei. Tobias‘ Mutter (Judith Engel) ist geradezu besoffen von „Black Lives Matter“, nutzt den Freund ihres Sohnes, um sich als in jeder Hinsicht offen, feinfühlig und libertär zu inszenieren. Als Lalo die Einbahnstraßen-Kommunikation bricht und die Untreue seiner Gastgeber und Tobias‘ Faible für Sauna-Partys ins Gespräch bringt, besiegelt dies zwar das Ende seiner Beziehung, sorgt aber für Sympathiepunkte beim Zuschauer. Über Tobias indes denkt man: Was für ein unsensibler Typ. In Folge zwei relativiert sich diese Einschätzung: Denn wie Lalo seine Befindlichkeiten ohne jedes Gespür für andere zur Schau trägt, ist schwer zu ertragen.
Lalos Verhalten als Narzissmus zu brandmarken, in ihm neben dem Suchenden auch die Drama-Queen zu sehen, ist keine Frage von homo- oder heterosexuell. Denn auch der queere, cool-sympathische Bekanntenkreis in der Serie, allen voran Karla, Bijan und der neue Lover Joshua, geht immer wieder auf Distanz („Du bist das Problem“) zu diesem „Geschichten“-Erzähler. Selbst Lalos beste Freundin kann irgendwann das Klagen über das Gemobbtwerden in seiner Jugend nicht mehr hören. „Du wurdest hauptsächlich zusammengeschlagen, weil du schon immer übertrieben nervig warst.“ Nach solchen Wahrheiten herrscht erst mal Funkstille zwischen den Freunden. Keiner will Lalo mehr Unterschlupf gewähren. Also zieht er mal wieder bei Muttern ein: nicht weniger eine Pulverfass-Beziehung. Am meisten nervt an Lalo, dass er ständig beschwichtigt, alles schön redet, um sich seiner Realität nicht stellen zu müssen. Dieses „Es ist alles gut“, dieses ewige „nice“ und „cool“, lässt ihn sich im Kreis drehen. Therapie dringend nötig, für ihn aber kein Thema. Auch Karla, die ein egoistisches Biest sein kann, ist reif für professionelle Hilfe. Melodie Simina vermittelt den psychischen Niedergang dieser jungen Frau, die trotz ihrer klaren und strukturierten Art, irgendwann völlig neben sich steht, hautnah. Ein Blick in ihr Gesicht genügt. Und am Ende kann sie es nicht fassen, zu welchen Mitteln Lalo greift für ein bisschen Anerkennung. Bietet, das Private öffentlich zu machen, für Lalo eine reale Chance zum Überleben? Ob ihm die ästhetische Selbstbespiegelung weiterhilft, bleibt offen. Die Freunde sind entsetzt. Lalos Mutter lächelt.
Lalo-Darsteller Lamin Leroy Gibba („Nichts, was uns passiert“) ist nicht nur eines der beiden Gesichter von „Schwarze Früchte“, sondern der Schauspieler, Drehbuchautor, Kurzfilmregisseur und Filmproduzent hatte auch die Idee zur Serie, ist Showrunner und Headautor der von der ARD Degeto beauftragten Mediathek-Produktion. Auch wenn er in seiner bisher aufwendigsten Arbeit zwar den Fokus auf die Lebensrealität schwarzer und queerer Figuren legt, erzählt die Serie ebenso individuelle wie universale Geschichten. Der gemeinsame Nenner: „Es ist kompliziert“. Sicherlich noch ein bisschen komplizierter als in der WG-Sitcom „Jugend“ (in der ZDF-Mediathek) um vier weiße, heterosexuelle „Friends“, die diesen Satz als Untertitel trägt und ebenso wie „Schwarze Früchte“ (Mitproduzent: Jünglinge Film) von Studio Zentral produziert wurde. Und im Drama ist die Identitätssuche anstrengender als bei einer Comedy, die sich über Wokeness und den Traum vom ewigen WG-Leben lustig macht. Außerdem wird auf eine geschlossene Dramaturgie klugerweise verzichtet. Die Entwicklung der Charaktere bestimmt die episodisch wirkende Handlung, die weder vorhersehbar ist, noch dramatische Überraschungen erwarten lässt. Dass das Ausstellungsprojekt von Lalo am Ende der Serie stehen könnte, bleibt eine vage Vermutung – zu sprunghaft, zu unzuverlässig, zu antriebs- und lustlos wirkt er zwischenzeitlich. Die Dialoge klingen entsprechend. Da sucht nicht nur einer einen Neuanfang, da sucht einer auch ständig nach Worten. Trotz Headautor und vier Autor*innen dürfte auch etwas Impro im Spiel gewesen sein. Aber es gibt auch andere Dialoge, die knapp & tragisch Lalos Haltungslosigkeit und fehlendes (Fein-)Gefühl bespiegeln. Da fragt der sichtlich bewegte Joshua: „Willst du, dass ich gehe?“ Darauf eine typische Lalo-Antwort: „Du kannst machen, was du willst.“