Wenn Dir alles zu viel wird, weil Dir Beruf und Privatleben über den Kopf wachsen, hilft vielleicht ein Achtsamkeitskurs. Hier lernst Du, Dich aufs Wesentliche zu fokussieren und alle überflüssigen Gedanken auszublenden. Der Schlüssel zu Deinem neuen Leben ist der Atem: Konzentriere dich aufs Ein- und Ausatmen, und plötzlich geht alles, wie es einst in einer Zigarettenwerbung hieß, wie von selbst. Anders als das HB-Männchen geht Björn Diemel (Tom Schilling) zwar nicht jedes Mal in die Luft, wenn es etwas schief läuft, aber er ist eindeutig überfordert, was wiederum nicht überrascht: Als Anwalt für einen berüchtigten Gangster und dessen Bande ist sein Dasein ein ständiger Balanceakt; jeder Fehler könnte äußerst unliebsame Konsequenzen haben. In der Kanzlei ist er der Mann für die Drecksarbeit; die Chefs scheffeln Geld, sein Lohn ist Undank. Weil das Familienleben ganz erheblich unter dieser Belastung leidet, stellt ihn Ehefrau Katharina (Emily Cox) vor die Wahl: Entweder sorgt er für eine angemessene Work-Life-Balance, oder sie ist samt Tochter auf und davon. Damit trifft sie Björns wunden Punkt: Die vierjährige Emily ist sein Ein und Alles. Also sucht er den von der Gattin empfohlenen Coach auf und stellt zu seiner Überraschung fest: Schon die erste Übung, als Joschka Breitner (Peter Jordan) ihn vor der Tür warten lässt, weil er 15 Minuten zu spät kommt, zeigt Wirkung. Fortan hält sich Björn strikt an Breitners Lehrsätze und wird in der Tat ein anderer Mensch. Der Sinneswandel hat zwar seinen Preis, aber den zahlen andere: Björn hat einen mal mehr, mal weniger erheblichen Anteil daran, dass im weiteren Verlauf der gleichermaßen wendungsreichen wie kurzweiligen Serie „Achtsam Morden“ rund ein halbes Dutzend Menschen ihr Leben lassen, was ihm jedoch keinerlei Gewissensbisse bereitet.
Die Drehbücher von Doron Wisotzky und seinem Schreibteam basieren auf der gleichnamigen Romanreihe von Karsten Dusse. Wie die Vorlagen, so sind auch die acht Episoden gleichzeitig Krimi und Ratgeber. Wenn der Anwalt, der als Erzähler durch die Handlung führt und die Ereignisse regelmäßig in Richtung Kamera kommentiert, wieder mal in eine scheinbar ausweglose Situation gerät, taucht wie ein gutes Lenor-Gewissen Breitner mit der passenden Devise auf: Atmen, lächeln, und schon findet sich die passende Lösung. Da Björn außerdem mit dem Talent gesegnet ist, seinen Kopf aus jeder Schlinge zu reden, übersteht er lauter haarsträubende Situationen. An Bedrohungen herrscht wahrlich kein Mangel, denn ohne sein Zutun gerät der Jurist mitten hinein in einen Bandenkrieg, nachdem Gangsterboss Dragan Sergović (Sascha Geršak) eine vermeintliche Revierverletzung tödlich bestraft hat. Dummerweise gab es fünfzig Zeugen: Die Aktion fand vor einem Bus voller Schulkinder statt, die die brutale Tat selbstverständlich mit ihren Smartphones gefilmt haben. Björn wollte das Sommerwochenende eigentlich mit Emily in Dragans Villa am See verbringen, also kommt der Ganove kurzerhand mit, allerdings im Kofferraum. Dort lässt Björn ihn nun schmoren, und das keineswegs bloß bildlich. Ein Häcksler erledigt den Rest.
Das aus dem Gartengerät emporschießende Blut färbt den Titel rot, und spätestens jetzt ist der Tonfall gesetzt: Der Humor von „Achtsam Morden“ ist mit makaber nur notdürftig beschrieben. Stellenweise wird es tiefschwarz; der Begriff „Eierhandgranate“ zum Beispiel bekommt eine ganz neue Bedeutung. Wie sich Björn diverser weiterer Lebensgefährdungen entledigt, ist nicht immer jugendfrei, zumal er sogar zum Mittel der Folter greift. Das ist eine Gratwanderung, die dank der Regie von Martina Plura und Max Zähle jedoch traumwandlerisch sicher gelingt. Die einfallsreiche Bildgestaltung, an der neben Monika Plura auch Frank Küpper beteiligt war, greift immer wieder inhaltliche Details auf (etwa das Ticken einer Uhr). In jeder Folge füllen zudem Schlüsselbegriffe wie Angst, Wut, Glück oder Panik in unterschiedlichen Schreibweisen den halben Bildschirm.
Formidabel ist auch das Ensemble, allen voran Marc Hosemann, der schon allein stimmlich eine vortreffliche Besetzung als Gegenspieler ist, sowie Murathan Muslu. Der Wiener spielt zwar ein führendes Gang-Mitglied, aber Sascha entpuppt sich als liebevoller Familienvater, wird zu Björns stillem Teilhaber und schließlich mit der Leitung eines neuen Geschäftszweigs betraut: In Zeiten wie diesen ist ein Kita-Platz ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Parallelen zu „Der Pate“ sind ohnehin unverkennbar; Björns Karriere erinnert in der Tat an den Aufstieg von Michael Corleone zum Mafiaboss. Mehr als bloß eine Erwähnung wert sind weitere Mitwirkende wie Britta Hammelstein als hartnäckige Kommissarin sowie in kleinen, aber wichtigen und entsprechend prägnant besetzten Nebenrollen Bernd Hölscher oder Luca Maric; ein echter Augenstern ist zudem Pamuk Pivlaci als Emily. Die Dialoge sind ein Genuss, die vielen Drehbuchideen sorgen dafür, dass jede der im Schnitt dreißig Minuten langen Folgen wie im Flug vergeht, und dank Breitners Übungen etwa zur Wahrnehmungs-Schärfung – „Im Moment bleiben!“ – vermittelt die Serie sogar echte Lerneffekte.
Eine Antwort
Hallo,
ich stimme dem durchaus zu, dass die Serie wie um Flug vergeht und auch einen Lerneffekt vermittelt.
Diesbezüglich ist das Drehbuch auch gut der Buchvorlage entnommen worden, dennoch finde ich es wieder mal schade, dass wer auch immer es nicht schaft ein gutes Buch und auch schon Theaterstück einfach im 100% original zu belassen und stattdessen manches leicht ändert.
Ich verstehe natürlich die künstlerische Freiheit nur glaube ich, dass die in diesem Fall nicht notwendig ist.
Zumindest hätte ich es schön gefunden, wenn dies zumindest im oben erwähnten Artikel eine künstlerische Freiheit oder Abweichung erwähnt worden wäre.
Letztendlich bleibt es eine unterhaltsame Serie, die ich im Kopf unter „Anlehnung an einer Buchvorlage zum größten Teil“ vermerke und gespannt bin wie es weiter geht.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas K.