Auf den 16 Jahre alten Jann ist Verlass. Er lebt alleine mit seiner psychisch kranken Mutter Lina. Er kauft ein, kocht und arbeitet neben der Schule noch als Gabelstaplerfahrer. Von schulischen Problemen ist weit und breit nichts zu sehen, allerdings scheint – außer seinem Freund Ben (Vincent Hahnen) – niemand von Janns familiärer Situation zu wissen. Er stellt seine eigenen Bedürfnisse zurück, denn seine Mutter ist nach einem tragischen Verlust in der Familie depressiv und klammert sich an ihren heranwachsenden Sohn. Der Fernsehfilm erzählt eindrucksvoll von dieser symbiotischen Beziehung, die ausgesprochen liebevoll und auch zärtlich ist, wobei die Inszenierung Inzest- oder Missbrauchs-Anspielungen vermeidet. Jann hat jedoch die Rolle des fürsorglichen Versorgers angenommen, nachdem sein Vater Frank (Stefan Maaß) das Weite gesucht und mit einer neuen Liebe auch gefunden hat. Nun allerdings sorgen Janns Gefühle für Selma (Mina-Giselle Rüffer) für Verunsicherung bei dem sensiblen und stillen Jugendlichen. Philip Günsch spielt diesen Jann als vorzeitig gereiften Teenager, der hin und her gerissen ist zwischen seinen Sehnsüchten und dem Verantwortungsgefühl gegenüber der Mutter. Eine starke Vorstellung, mit Fingerspitzengefühl inszeniert von Regisseur Johannes Schmid.
Foto: WDR / Kai Schulz
„Wir für immer“ könnte man als Antithese zu der jüngst in den Medien kursierenden Debatte über die angeblich faule und überempfindliche Generation Z verstehen. Allerdings ist der Film von Johannes und Thomas Schmid alles andere als ein Thesenfilm, sondern ein ganz auf das Nötigste – die Beziehungen zwischen Mutter, Sohn und Freundin – reduziertes Drei-Personen-Drama. Dass Vorgeschichte und Nebenfiguren nur skizziert werden, stört keineswegs, denn umso deutlicher wird der hermetische Charakter der befremdlichen Zweisamkeit von Jann und Lina. Neben dem jungen Philip Günsch spielt Marie Leuenberger („Ein Krimi aus Passau“, „Die göttliche Ordnung“) mitreißend die emotionale Achterbahnfahrt ihrer unberechenbaren Mutter-Figur, deren psychische Erkrankung zu einem häufigen Stimmungswandel führt. Dabei ist die Liebe zu ihrem Sohn aufrichtig und wird nicht permanent als bedrohliches Klammern erzählt. Lina kann Jann auch mal ermuntern, zu einer Party zu gehen. Sie wirkt stark und schwach, liebenswert und anstrengend zugleich. Alles scheint möglich, auch dass Lina eine Gefahr für sich selbst oder für ihre Nebenbuhlerin Selma sein könnte.
Damit ist für Identifikation und solide Spannung gesorgt, ohne dass die Figur psychologisch durchanalysiert wird. Dass Lina unter Depressionen leidet, darf man vermuten. In die Handlung eingeflochtene Therapiestunden oder mit Informationen angereicherte Dialoge gibt es jedoch nicht. Verständnis für die Figur vermögen allein die Inszenierung und das glaubwürdige Spiel der Darstellerin zu wecken. Lange Zeit bleibt auch offen, wer Lea ist, um die Lina trauert. Die Mutter, die ihren heranwachsenden Sohn nicht loslassen kann, ist natürlich selbst eine Gefangene ihrer Krankheit – das ist keine überraschende Botschaft, aber der Film setzt weder zu einem allgemeingültigen Vortrag über psychisch Kranke an, noch werden Depressionen hier zur Ursache einer ausweglosen Katastrophe. Das Drama endet jedenfalls weitaus weniger düster, als die Zutaten anfangs vermuten lassen.
Foto: WDR / Kai Schulz
Etwas schablonenhaft wirkt allenfalls Frank, der abwesende Vater, von dem Lina und Jann finanziell abhängig sind und der hier ziemlich gefühllos daherkommt. Dass er laut Drehbuch-Dialog seinen Cousin beneidet, weil der mit einer Surfschule in der Karibik alles richtig gemacht habe, passt allzu gut ins Bild. Frank sagt auch: „Es gibt Sachen, da ist einfach niemand verantwortlich.“ Damit mag er Recht haben, aus seinem Mund klingt es freilich nach einer Ausrede. Selma wiederum ist der Beweis, dass der in einem Villenviertel aufgewachsene Nachwuchs in deutschen Filmen nicht zwangsläufig als gestörte Existenz enden muss. Typisch ist, dass sie Cello spielt, eher untypisch, dass ihr das viele Alleinsein wenig auszumachen scheint. Die Eltern sieht man nur mal kurz: Die Mutter muss stets in ihre Kanzlei, und auch der beruflich ebenfalls viel beschäftigte Vater taucht nur einmal überraschend zu Hause auf – dummerweise genau in dem Augenblick, als sich Selma und Jann gerade näher kommen. Mina-Giselle Rüffer spielt überzeugend eine selbstbewusste, patente junge Frau, die sich dem attraktiven, aber etwas sonderbaren Mitschüler Jann mit viel Fingerspitzengefühl nähert.
Sieht man mal von Vater Frank ab, bewertet der auf das Dreiecksverhältnis der Protagonisten fokussierte Film seine Figuren nicht. Dass Selma einen behinderten Bruder hat, der weit entfernt in einem Heim lebt, soll aber sicher nicht nur die Gelegenheit zu einem Schauplatzwechsel für die finale Auflösung bieten. Vielmehr wird damit das andere Extrem im Umgang mit einem besonders pflegebedürftigen Familienmitglied eingeführt. „Warum wohnt dein Bruder eigentlich nicht bei euch?“, fragt Jann. „Der muss rund um die Uhr betreut werden“, antwortet Selma entschuldigend. Sie hat ihren Bruder lange nicht besucht, und der Kontakt zu Jann und Lina verstärkt nun ihr schlechtes Gewissen. Auch die Figur des behinderten Bruders wird nur skizziert. Es bleibt offen, ob er sich von der Familie abgeschoben fühlt und wie das Leben im Heim ist. Aber die innige Liebe, die zwischen Jann und seiner Mutter herrscht, hat jedenfalls nicht nur verhängnisvolle Folgen.