Manchmal passieren solche Dinge einfach. Hier falsch abgebogen, dort jemanden kennengelernt, den man lieber nicht angesprochen hätte, oder vielleicht einfach nur eine Tür geöffnet, die besser für immer verschlossen geblieben wäre – und schon steckt der Filmheld mittendrin in einem Schlamassel, der sein Leben für immer verändern wird. Eigentlich wollte sich Eddie (Fahri Yardim), Berliner Burger-Imbiss-Betreiber, bloß ein Haus anschauen, um damit seine Liebste zu überraschen, aber erst entpuppt sich das Domizil als halb verfallenes Gemäuer, und dann verschwindet die Maklerin hinter einer Eisentür. Als Eddie ihr nachgeht, überrascht er einen Vampir dabei, wie er der Frau lautstark schlürfend den Lebenssaft aussaugt. Igor (Rocko Schamoni) war lange Zeit eingesperrt und beißt prompt auch den konsternierten Eddie, der nun zum „Upir“ wird, einem Zwischenwesen auf der Schwelle zum Vampir. Der Zustand kann jedoch rückgängig gemacht werden. Das muss sich Eddie allerdings verdienen, indem er Igor dreißig Tage lang zu Diensten ist.
„Der Upir“ ist Teil eines Streaming-Trends, der den untoten Blutsaugern derzeit ein fröhliches Comeback beschert: zuletzt die Prime-Serie „Beasts like us“, demnächst „Love Sucks“ (ZDFneo). Die Joyn-Serie ist ebenfalls komödiantisch angelegt, wie nicht nur die Besetzung der beiden Hauptrollen nahelegt. Es gibt viele witzige Szenen, auch die Musik signalisiert Comedy, aber die optische Anmutung ist düster (Bildgestaltung: Nikolai von Graevenitz), zumal Peter Meister (Buch und Regie) die zentralen Konflikte seiner beiden Hauptfiguren durchaus ernst nimmt: Eddie muss irgendwie raus aus der Bredouille, und Igor, ehedem Anführer der regionalen Vampirgruppierung, stellt fest, dass er vor 136 Jahren von einer Widersacherin in die Falle gelockt worden ist. Um sie zum Duell fordern zu können, muss er Stimmen sammeln, was Eddie ungewollt tiefe Einblicke in die verschiedenen Spielarten des Blutsauger-Daseins beschert. Weil sich die Mitglieder der Vampirfamilie ihre Zustimmung etwas kosten lassen, erinnern die verschiedenen Herausforderungen an die zwölf Heldentaten des Herakles; tatsächlich müssen Igor und Eddie unter anderem einen ekelerregenden Saustall säubern und einen widerspenstigen Teenie-Wildfang zähmen.
Komische Sidekicks gibt es dennoch zuhauf, allen voran Eddies entbehrlicher Freund Andi (David Scheid), der ebenfalls von Igor gebissen wurde und nun einen veritablen Vampirjäger um Hilfe bittet; Bernhard Schütz hat schon die Hauptrolle in Meisters sehenswertem Regiedebüt „Das schwarze Quadrat“ (2021) gespielt. Im Vergleich zu der Gaunerkomödie, die auf clevere Weise Anspruch und Unterhaltung verknüpfte, setzt „Der Upir“ eindeutig eher auf Kurzweil, zumal einige Gäste, allen voran Andrea Sawatzki als Igors schwäbelnde Jugendliebe, heitere Parodien sind. Außerdem kommt es immer wieder zu skurrilen Situationen, für die vor allem Andi sorgt. Der Österreicher ist ohnehin ein viel schrägerer Typ als der um Würde bemühte leutselige Igor, dem beim Autofahren schlecht wird; natürlich entwickelt sich zwischen ihm und Eddie eine innige Freundschaft. Eine weitere durchgehende Rolle spielt Lana Cooper als Polizistin Frida. Sie kommt ins Spiel, weil Eddie den Tod der Maklerin als Autounfall kaschieren wollte. Der Wagen hat sich jedoch selbstständig gemacht und allerlei Unheil angerichtet. Zunächst hält Frida seine Erzählung von dem Vampir für eine bizarre Ausrede, aber dann rekrutiert sie ihn als verdeckten Ermittler. Und ist da möglicherweise noch mehr zwischen den beiden? Eddies Beziehung mit Julie (Aenne Schwarz) scheint jedenfalls den Bach runterzugehen.
Soundtrack:
The Doors („Riders On The Storm”), Blur („Girls And Boys”), Mastodon („Blood And Thunder”), Donna Summer („Love To Love You Baby”), Jet („Are You Gonna Be My Girl”), Kevin Morby („Beautiful Strangers”), Andrew Bird („Are You Serious”), Simple Minds („Don’t You (Forget About Me)”), Tom Petty & The Heartbreakers („Learning To Fly”), Plastic Bertrand („Ça plane pour moi”), The Who („Behind Blue Eyes”), Joe Cocker („With A Little Help From My Friends”)
Gerade die kleinen Momente dieser oftmals im besten Sinne improvisiert wirkenden Serie machen großen Spaß, zumal Meister in den knapp 25 Minuten kurzen und stets mit einem Cliffhanger endenden acht Folgen auch ein Spiel mit den Genrekonventionen treibt. Dass Vampire kein Spiegelbild haben und auf Fotos nicht zu sehen sind, gehört zum guten Ton solcher Geschichten, aber in Ermangelung eines Sargs muss Igor mit einem liegenden Kleiderschrank vorlieb nehmen, aus dem er sich in ähnlich steiler Pose aufrichtet wie weiland Nosferatu. Dass er und Eddie im Auftrag einer vampirischen Umweltaktivistin (Thelma Buabeng) ein Zeichen gegen den Klimawandel setzen soll, nutzt Meister für Eddies übermütigen Jungfernflug. Kleine Freuden bereiten auch die diversen musikalischen Zitate. In der zweiten Hälfte kommt der Serie allerdings etwas der Biss abhanden, nun verliert sie ihre Stringenz. Eine Orgienepisode zum Beispiel bringt die Geschichte keinen Schritt weiter. Dafür ist die letzte Folge umso handlungsdichter; der Showdown überrascht mit einem echten Knüller. Das offene Ende lässt eine Fortsetzung erwarten. (Text-Stand: 5.9.2024)