Sie sagt. Er sagt.

Weisse, Giese, Brandt, von Schirach, Geschonneck. Juristisch-filmisches Meisterstück

Foto: ZDF / Julia Terjung / FeedMee
Foto Thomas Gehringer

Gerichtsdrama mit überraschenden Wendungen und einem außergewöhnlichen Ende: Eine bekannte TV-Moderatorin (Ina Weisse) wirft ihrem Ex-Liebhaber (Godehard Giese) vor, sie bei einem zufälligen Wiedersehen vergewaltigt zu haben. Matti Geschonneck inszeniert das Drehbuch von Ferdinand von Schirach als streng reduziertes, packendes Kammerspiel im Gerichtssaal – allerdings ohne Urteilsspruch. „Sie sagt. Er sagt.“ (ZDF / Moovie) führt das Dilemma der Wahrheitssuche vor Augen, ohne Gewalt gegen Frauen zu verharmlosen. Das Publikum wird angeregt, die eigenen Prägungen und Vorurteile zu hinterfragen, aber auf eine Abstimmung wie einst beim Schirach-Drama „Terror“ wird kluger Weise verzichtet. Die erstklassige Besetzung komplettieren unter anderem Matthias Brandt, Henriette Confurius, Johanna Gastdorf und Maria Köstlinger.

Die erste Aussage macht Rechtsmedizinerin Maria Laux-Frohnau (Proschat Madani). Ruhig, orientiert und zugewandt habe Katharina Schlüter (Ina Weisse) bei der medizinischen Untersuchung gewirkt, berichtet sie. Ob dies eine übliche Verhaltensweise sei, fragt die Vorsitzende Richterin (Johanna Gastdorf). „Es gibt keine übliche Verhaltensweise nach einer Vergewaltigung“, antwortet die Ärztin und sendet damit gleich ein wichtiges Signal ans Publikum. Schlüter selbst sagt als Zweite ausführlich aus. 37 Minuten lang dauert allein ihre Befragung – ein weiteres Meisterstück an inhaltlicher Sorgfalt und formaler Reduktion von Regisseur Matti Geschonneck, der den Dialogen, den Blicken und dem Mienenspiel in der strengen Geometrie des Gerichtssaals nichts hinzufügt und sich vor allem ganz auf das konzentrierte Spiel von Ina Weisse verlassen kann. So entsteht auch ohne aufgesetzte Gefühlsausbrüche oder nachgestellte Spielszenen Hochspannung – und Mitgefühl.

Sie sagt. Er sagt.Foto: ZDF / Julia Terjung
Juristen-Rhetorik und Arroganz des Alters sind die Waffen von Biegler (Matthias Brandt), dem Anwalt der Nebenklage.

Ruhig und reflektiert berichtet die im Reden geübte Fernsehmoderatorin Katharina Schlüter von ihrer vierjährigen Beziehung mit dem Unternehmer Christian Thiede (Godehard Giese), den sie nun der Vergewaltigung bezichtigt und im Gerichtssaal nicht eines Blickes würdigt. „Er war einfach meine große Liebe“, sagt sie. Doch weil beide die Beziehung vor ihren Ehepartnern verheimlichen mussten, hätten sie sich schließlich getrennt. „Die Lügen haben uns müde gemacht.“ Bei einem zufälligen Wiedersehen sei sie Thiede in dessen Wohnung gefolgt. Den anfangs einvernehmlichen Geschlechtsverkehr habe sie abbrechen wollen, doch trotz mehrfacher Bitte aufzuhören, habe Thiede einfach weitergemacht. „Mein Körper wurde wie ein Gegenstand behandelt“, sagt Schlüter und schildert auch ausführlich ihre Gefühle in den Tagen danach, berichtet von Selbstvorwürfen und der Angst vor den Reaktionen. Drei Tage nach der Vergewaltigung zeigte sie Thiede an. Seitdem werde sie im Netz mit Hass überschüttet. Die Ehe ging in die Brüche, auch ihre Sendung könne sie nicht mehr machen, sagt sie. Sie habe das Grundvertrauen und die Selbstsicherheit verloren: „Ich bin nicht mehr ganz.“ Dass Thiedes Verteidigerin Breslau (Henriette Confurius) am Ende versucht, Schlüters Glaubwürdigkeit mit Wetterdaten und einem wenig aussagekräftigen Ausschnitt aus einer Überwachungskamera zu erschüttern, wirkt etwas lahm – und doch ist der Zweifel gesät: Es habe weder eine einvernehmliche Trennung noch eine Vergewaltigung gegeben, behauptet Breslau. Schlüter wolle sich vielmehr mit diesem Vorwurf rächen. In der Beweisaufnahme spielen ein rotes Kleid und diverse Überwachungsvideos eine Rolle, die für überraschende Wendungen, aber nicht für letztgültige Klarheit sorgen.

Der Film weckt unweigerlich Erinnerungen an „Das Ende einer Nacht“ (2012), ein anderes Justizdrama Geschonnecks, das ebenfalls von einer Vergewaltigungs-Klage vor Gericht handelt und mit dem Grimme-Preis und dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde. Damals spielte Ina Weisse übrigens die scharfzüngige Verteidigerin, und im Gegensatz zu seinem früheren Film konzentriert sich der Regisseur in „Sie sagt. Er sagt.“ vollkommen auf das Geschehen im Gerichtssaal – abgesehen von zwei kurzen Szenen, die nicht mal als Atempause taugen von den Befragungen. Zwölf Jahre nach „Das Ende einer Nacht“ ist allerdings auch die Sensibilität für das Thema sexuelle Gewalt gestiegen, geschärft nicht zuletzt durch die zahlreichen Enthüllungen im Zuge der MeToo-Bewegung. Von Machtmissbrauch zwischen einem männlichen Vorgesetzten und einer jüngeren Mitarbeiterin handelt „Sie sagt. Er sagt.“ zwar nicht, aber natürlich darf ein Fernsehfilm weder einer Verharmlosung von sexueller Gewalt noch einer leichtfertigen Darstellung der schwierigen Wahrheitsfindung vor Gericht Vorschub leisten. Insofern kommt der Befragung der psychologischen Sachverständigen Altstedt (Maria Köstlinger) eine Schlüsselrolle zu, weil mit ihren Aussagen der aktuelle Stand der Forschung klar und pointiert zur Sprache kommt – ein notwendiger Info-Block, der mit „Vergewaltigungsmythen“ aufräumt und über das erschreckend große Dunkelfeld nicht angezeigter sexueller Gewalt aufklärt. Außerdem ergänzt das ZDF das fiktionale Gerichtsdrama um eine halbstündige Dokumentation.

Sie sagt. Er sagt.Foto: ZDF / Julia Terjung
Hart, aber meist freundlich. Die Verteidigerin von Christian Thiede (Henriette Confurius), der über 90 Minuten schweigt.

Von Schirach und Geschonneck achten erkennbar darauf, Sympathien und Geschlechterrollen nicht einseitig zu verteilen: Nicht von ungefähr wird der Angeklagte wohl von einer Frau vertreten, die noch dazu von Henriette Confurius gespielt wird, die nicht gerade für ihre Darstellung eiskalter, rücksichtsloser Figuren bekannt ist. Sie spielt Breslau als meist freundlich lächelnde Juristin, die ihren Job als Verteidigerin macht, aber nicht durch aggressive Reden oder boshafte Befragungen auffällt. In anderer Hinsicht taugt sie sogar als weibliche Identifikationsfigur, denn sie muss sich gegen einen älteren männlichen Kontrahenten behaupten. Rechtsanwalt Biegler (Matthias Brandt), der Nebenklägerin Katharina Schlüter vertritt, kommt auch nicht gerade als Sympathieträger daher. Brandt gibt den Anwalt als schwer zu bremsenden Zwischenrufer, der die Aussagen auch von Zeuginnen mit sarkastischen Bemerkungen würzt. Während sich Oberstaatsanwalt Heise (ziemlich unterfordert: Florian Bartholomäi) weitgehend heraushält, sorgen die Wortduelle zwischen Breslau und Biegler für etwas Pfeffer im Drama. Dass sich beide schon länger kennen, wird angedeutet, denn Breslau entgegnet einmal: „Ich bin nicht mehr Ihre Referendarin.“

Auch den Vorsitz im fünfköpfigen Gericht hat eine Frau: Die von Johanna Gastdorf gespielte Richterin behält die Zügel unaufgeregt, nüchtern und humorlos in der Hand. Die Richterin ist eine betont neutrale Figur, die das Publikum durch das juristische Verfahren führt, aber keine Präferenz erkennen lässt, auch wenn sie Biegler ab und zu zur Ordnung ruft. Auf das „Er sagt.“ muss das Publikum lange warten. Godehard Giese nimmt 95 Minuten lang schweigend auf der Anklagebank am Geschehen teil – eine Herausforderung der besonderen Art. Vor Prozessbeginn stellt er sich selbstbewusst und ohne erkennbare Gefühlsregung dem Blitzlichtgewitter der Fotografen-Meute. Anschließend verfolgt er stumm die Verhandlung, wobei Giese zwar hin und wieder Gefühle erkennen lässt, aber doch so uneindeutig bleibt, dass man nach den Plädoyers mit Spannung das Schlusswort von Christian Thiede erwartet. Mit einem hereingereichten Blatt nimmt der Fall schließlich noch eine letzte Wendung.

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Konzentriert verfolgt die Psychologische Sachverständige Altstedt (Maria Köstlinger) den Prozess. Im Hintergrund: der Oberstaatsanwalt bzw. Florian Bartholomäi, die beide wenig Möglichkeiten haben, sich in den Vordergrund zu spielen.

Die Sache hat natürlich etwas von einem Lehrstück über den deutschen Rechtsstaat, immerhin ist Ferdinand von Schirach der Autor, der hier auch persönlich das erste und das letzte Wort hat. Von Schirach, der seine Erfahrungen als Rechtsanwalt in Strafprozessen erfolgreich in zahlreiche Erzählungen, Theaterstücke, Romane und Drehbücher einfließen ließ, referiert und philosophiert aus dem Off kurz über Wahrheitssuche, Gerechtigkeit und die Regeln der Strafprozessordnung und warnt am Ende vor einem „voreiligen Griff nach der Wahrheit“. Dabei nimmt er die Richterinnen und Richter besonders in den Blick. „Als Richter müssen Sie urteilen, Sie können dem nicht ausweichen“, sagt er zu Beginn. Richter seien es, die über das Schicksal des Angeklagten und das Schicksal des Opfers entscheiden würden. „Und immer entscheiden Sie dabei auch, wer Sie selbst sind.“ Ein interessanter Gedanke, der sich hier nicht nur auf den Richterstand, sondern auch auf das Publikum bezieht, was sich an dem (laut ZDF) groß geschriebenen „Sie“ ablesen lässt.

In „Sie sagt. Er sagt.“ werden wir Zuschauer:innen freilich bewusst allein gelassen mit unserer Einschätzung in einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht. „Der Zuschauer wird Partei nehmen“, ist sich Regisseur Matti Geschonneck sicher, obwohl seine Inszenierung eine Vorverurteilung vermeidet und auch auf Musik verzichtet, die unweigerlich emotionale Reaktionen auslösen würde. Im Gegensatz zum von-Schirach-Drama „Terror“ findet auch keine Publikums-Abstimmung darüber statt, ob Thiede wegen Vergewaltigung zu verurteilen ist. Die Zuschauer:innen müssen sich also nicht wirklich entscheiden, ob sie der einen oder anderen Version glauben. Aber sie werden auch nicht von einem Richterspruch erlöst, der zumindest eine juristisch einwandfreie Wahrheitsfindung suggerieren würde. Am Ende werden wohl viele hin und her gerissen und froh sein, nicht in der Haut der Richter:innen zu stecken – vielleicht kein schlechter Zustand, um die eigenen Sympathien, Wertvorstellungen und Vorurteile zu überprüfen. (Text-Stand: 25.1.2024)

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„Sie sagt. Er sagt.“ Was auf den ersten Blick (in den Sitzungssaal) etwas dröge erscheinen mag, entpuppt sich als ein weiteres Meisterstück an inhaltlicher Sorgfalt & formaler Reduktion von Matti Geschonneck. Die strenge Geometrie des Gerichtssaals

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Ina Weisse, Godehard Giese, Johanna Gastdorf, Henriette Confurius, Matthias Brandt, Florian Bartholomäi, Maria Köstlinger, Proschat Madani, Bettina Lamprecht, Nicole Marischka, Alexander Hörbe

Kamera: Theo Bierkens

Szenenbild: Silke Buhr

Kostüm: Anneke Troost

Schnitt: Dirk Grau

Redaktion: Frank Zervos, Stefanie von Heydwolff

Produktionsfirma: Moovie

Produktion: Sarah Kirkegaard, Reinhold Elschot

Drehbuch: Ferdinand von Schirach

Regie: Matti Geschonneck

Quote: 4,59 Mio. Zuschauer (17,4% MA)

EA: 17.02.2024 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

weitere EA: 26.02.2024 20:15 Uhr | ZDF

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