Als er 1994 endlich festgenommen werden konnte, feierte RTL Arno Funke als „gewieftesten Gangster Deutschlands“. Dreißig Jahre später erzählt der Sender die Geschichte des als „Dagobert“ berühmt gewordenen Kaufhauserpressers im Rahmen einer Serie. Das Fernsehen hat sich schon mehrfach mit dem Katz-und-Maus-Spiel zwischen Funke und der Polizei beschäftigt, zuletzt der RBB mit der kurzweiligen Dokuserie „Jagd auf Dagobert“ (2022). Roland Suso Richter hat bereits 1994 „Das Phantom – Die Jagd nach Dagobert“ gedreht. Der Kinofilm schilderte die Ereignisse aus Sicht des leitenden Ermittlers (Dieter Pfaff), der Erpresser war bloß eine Randfigur. Die Serie stellt ihn dagegen ins Zentrum; Funke (Friedrich Mücke) führt zudem als Erzähler durch die Geschichte. Davon abgesehen ist es durchaus erstaunlich, dass RTL den Stoff erst nach dreißig Jahren wieder aufgegriffen hat, denn er bringt zumindest in der Version von Ronny Schalk (Buch) und Hannu Salonen (Regie) alles mit, was eine Miniserie braucht: einen Helden, der zur Identifikation einlädt, eine ordentliche Portion Drama, jede Menge Spannung, da diverse Verhaftungsversuche buchstäblich um Haaresbreite scheitern; und schließlich einen enormen Aufwand an Menschen und Material, weil die Polizei keine Kosten und Mühen gescheut hat, um Funke in die Falle zu locken.
Die Bomben des Erpressers richteten zwar enormen Sachschaden an, aber er achtete tunlichst darauf, niemanden zu verletzen. Weil der brillante Tüftler den Fahndern immer wieder ein Schnippchen schlug, war die Jagd nach „Dagobert“ gerade für die Boulevardmedien ein gefundenes Fressen. Der Erpresser avancierte zum Volkshelden, die Ermittler wurden als die Deppen der Nation dargestellt. Schon die RBB-Doku, in der der zum „Dagobert-Jäger“ ernannte ehemalige Leiter des LKA-Hamburg eine wichtige Rolle einnahn, hat dieses Bild zurechtgerückt. Auch Schalk belässt der „Soko Dagobert“ ihre Würde: Der Hamburger Kriminaldirektor (Moritz Führmann), eine Psychologin (Sonja Gerhardt), der Verhandlungsführer (Ronald Kukulies) und ein Berliner Kommissar (Mišel Matičević), der den Verbrecher schon von dessen erster Erpressung aus dem Jahr 1988 kennt, machen im Grunde alles richtig, aber „Dagobert“ ist einfach schlauer.
In der Dokumentation durfte der 2001 aus der Haft entlassene Funke seine Sicht aus dem Off schildern, er brachte unter anderem eine Depression als mildernden Umstand ins Spiel. Bei Schalk sind die psychischen Probleme ebenfalls ein Thema; mehrfach hält sich der lebensmüde Funke eine Pistole unters Kinn. Rückblenden in die Kindheit liefern weitere Motive. Außerdem machen ihm die Langzeitfolgen seiner Berufsausübung zu schaffen: Er hat als „Air Brush“-Künstler in der Autowerkstatt eines Freundes (Karsten Antonio Mielke) zu viele Lackdämpfe eingeatmet. Gelegentlich spricht Friedrich Mücke zudem direkt in die Kamera; auf diese Weise macht die Serie das Publikum zu Komplizen. Trotzdem lässt Schalk keinen Zweifel daran, dass es Funke in erster Linie ums Geld ging. „Verbrechen lohnt sich nicht“, sagt er gleich zu Beginn – „außer, Sie sind gut darin.“ Im Spanienurlaub verliebt er sich in Anais (Carol Rovira). Die Katalanin zieht nach Berlin, die beiden heiraten und bekommen ein Kind. Die halbe Million Mark vom ersten Coup sind rasch aufgebraucht, nun muss Nachschub her.
Dank der cleveren Kombination aus Fakten und Fiktion bilden die sechs Folgen eine kurzweilige Mischung aus Komödie und Drama. Die Szenen mit den immer wieder scheiternden Geldübergaben sind die reinste Farce, und wenn ein Vertreter (Uke Bosse) der „Donaldisten“ die Polizei überzeugen will, „Dagobert“ sei einer der Ihren, ist das pure Satire. Dank der Umsetzung durch Salonen und Kameramann Felix Cramer wirkt „Ich bin Dagobert“ ohnehin wie eine jener Gaunerkomödien im Stil von „Ocean’s Eleven“, in denen sympathische Kriminelle ein großes Ding drehen. Zwischendurch gibt es gar Anleihen beim Horrorfilm: Funkes dunkle Seite wird von einem imaginären Freund mit rot glühenden Augen verkörpert, der wie eine Mischung aus einer untoten Disney-Figur und Freddy Krueger wirkt. Dieses Alter Ego animiert Funke regelmäßig, seinen Forderungen mit Bomben Nachdruck zu verleihen, und wenn sich der Verbrecher schließlich überzeugen lässt, ist das rote Glimmen auch in seinen Augen zu erkennen.
Soundtrack: Nina Simone („Don’t Let Me Be Misunderstood“, Titelsong, „Feeling Good”), Big Joe Turner („Shake, Rattle And Roll”), Cream („I Feel Free“), Fleetwood Mac („Dreams”), Danzig („Mother”), Marvin Gaye („Got To Give It Up”), Jimmy Bee („I Only Have Eyes For You”), Jimmy Durante („Make Someone Happy”), Barrett Strong („Money”), Haddaway („Life”), David Bowie („Space Oddity”), Snap! („Rhythm Is A Dancer”)
Einige Passagen, etwa der Trip nach Spanien, hätten sich kürzer erzählen lassen, aber die hochwertige und oft kunstvolle Bildgestaltung lässt die Serie teurer wirken, als sie vermutlich war; von Ausstattung und Kostümbild ganz zu schweigen. Außerdem erfreuen Salonen und Cramer, seit der ARD-Serie „Oktoberfest 1900“ (ebenfalls mit Matičević) ein kongeniales Gespann, gern durch ungewöhnliche Einstellungen und Perspektiven. Gleich zu Beginn zeigt die Kamera aus der Vertikalen einen Plattenspieler, der jedoch stillzustehen scheint; stattdessen rotiert die Umgebung in 33 Umdrehungen pro Minute. Später wiederholt sich das Motiv, als Funke sein Glück im Spielcasino versucht; diesmal dreht sich die Welt um den Roulettekessel. Mehrfach illustrieren visuelle Effekte grafisch, wie sich Funke seine Flucht nach der Geldübergabe vorstellt; die entsprechenden Pläne waren in der Tat brillant. In der handwerklich verblüffendsten Einstellung friert das Bild ein, aber die Kamera wandert wie in „Matrix“ trotzdem durch die Szenerie.
Es sind auch optische Einfälle wie diese, die „Ich bin Dagobert“ zu einer besonderen Serie machen. Einmal fliegt ein Fernseher auf Funke zu, auf dem Bildschirm spricht sein verstorbener Vater zu ihm. Martin Feifel spielt nicht nur diese Rolle, er verbirgt sich auch hinter der gruseligen Maske des Alter Ego. Selbst wenn das nicht mal ansatzweise zu erkennen ist, so ist es doch eine ziemlich pfiffige Idee. An anderer Stelle erläutert Funke als RTL-Sprecher, was es mit seiner Krankheit auf sich hat. Ausschnitte aus „RTL aktuell“ mit dem jungen Peter Kloeppel sorgen für den zeitgenössischen Rahmen. Die Tonspur hingegen bedient sich wider Erwarten nicht bei den Hits jener Jahre; die Song-Auswahl setzt überwiegend auf Oldies. Zum Ausgleich hat Michael Klaukien in seiner Komposition typische Filmmusikmerkmale dieser Zeit berücksichtigt.