30 Tage mit möglichst 30 verschiedenen Partnern ins Bett. Freddy (Linda Blümchen) will das unbedingt ausprobieren. Zeno (Simon Steinhorst) lässt sich ihr zuliebe darauf ein. Beide wissen nicht, ob es ihrer Beziehung guttut oder sie zerstören wird. Die spannende Ungewissheit überträgt sich von Anfang an auf den Zuschauer. Da steht viel auf dem Spiel. Und eine Frage steht im Raum: Wie soll das gehen, 30 Tage lang jeden Tag mit einer anderen Person Sex haben? Man muss sich das zumindest vorstellen wollen. Wer Serien schaut, die das junge Publikum suchen und deshalb auch nur in der Mediathek laufen (weil Jugendliche das lineare Fernsehprogramm kaum mehr wahrnehmen), der betritt im besten Fall eine fremde seltsame Welt, die trotzdem vertraute Gefühle triggert. Das gelingt „30 Tage Lust“ sehr gut. Die Welt der Dating-Portale ist real. Abseits moralischer Bedenken macht sie vieles möglich. Schauen wir also einfach mal rein. Hauptfigur Zeno denkt da ganz ähnlich. Als derjenige, der der Versuchsanordnung seiner Freundin eher skeptisch gegenübersteht, lädt Simon Steinhorst alias Zeno dazu ein, an seiner Seite mit staunenden Augen durch eine ihm unbekannte Welt zu gehen. Linda Blümchen übernimmt als Freddy den dynamisierenden Part. Bedingungslos durchlebt sie die Höhen und Tiefen, die der 30-Tage-Deal mit sich bringt.
In seiner nüchtern-gelassenen Erzählweise unterstreicht „30 Tage Lust“ das Zufallselement aller folgenden Begegnungen. Potenzielle Sex-Partner tastet die Kamera nicht nach körperlichen Attraktionen ab. Die Menschen tauchen einfach auf, lächeln, bieten sich an, signalisieren Bereitschaft. Nur beim ersten Flirt setzt Apothekenhelferin Freddy auf eine gezielte Eroberung. Das Objekt der Begierde ist ihr ehemaliger Pharmazeutik-Professor. Als intellektuell angehauchter Zottelbär schenkt Sebastian Blomberg der Auftaktfolge von „30 Tage Lust“ ein paar Höhepunkte in leiser Komik. Einen ähnlichen Part übernehmen in der siebten Episode Nina Petri und Wolfram Koch. Als von sich selbst eher gelangweiltes Paar beobachten sie in der Kneipe ein Gespräch zwischen Zeno und einer seiner Dates. Das gesetzte Paar interpretiert die Szene dabei völlig falsch – auch das entbehrt nicht der Komik. Das Regie-Duo Pia Hellenthal und Bartosz Grudziecki spiegelt in diesen Momenten aber auch, was latent immer Thema ist: Unsere Lust an (sexuellen) Abenteuern, die andere stellvertretend für uns erleben.
Soundtrack: Ätna („Shut Your Mouth“), Mulatu Astake („Yèkèrmo Sèw“), Callum Easter („Be Somebody“), Angel Olsen („Forever Means“), Robin S. („Show me Love“), Fuffifuchzich („Zur Hilfe“), „Eddy Bailes & the Cadillacs („Dark Side of the Moon“), Mr. Oizo („Ham“), Robin („Black Windows“), Wolfgang Ambros („De Kinettn wo i schlof“), Charles & Eddie („Would I lie to you“), Fai Baba („Verändert“), Ätna („Walls“), Pony Sherell („I´ve been in Love before“), The Cinematic Orchestra („Zero One/This Fantasy“), Peter Andre („Grey Reverend, Mysterious Girl“), Sasha („If you Believe“), Loren Kramar („Hollywood Blvd“), Hania Rani („Buka“)
In Parallelmontagen verweben alle acht Episoden Freddys und Zenos Streifzüge über Partyflure und durch Kneipen der Stadt. Ab dem Zeitpunkt, an dem sie nicht mehr als Paar auftreten, schwankt unter ihnen der Boden. Sie sind nicht gewohnt, als Individuum wahrgenommen und/oder begehrt zu werden. Zwischen gezielten Flirts sprechen Bilder und Blicke deshalb auch immer wieder von ihrer Verlorenheit. Besonders berührend, wenn Freddy versucht als Neuling in eine Gesprächsrunde einzusteigen. Alle Schüchternen dieser Erde werden die Szene feiern. In ein paar Sekunden erzählt sie von der Mühsal, die aufbringen muss, wer sich nach Leichtigkeit sehnt. Parallel zu dieser Episode flüchtet Zeno aus der mit Kindern und Familienkram beladenen Welt einer früheren Schulfreundin. Unter dieser Last lässt sich keine verpasste Liebe nachholen. Ein Gegenschnitt von voll bepackten Vorrats-Eisfächern hier und vertrauter Leere in Zenos Kühlschrank dort bringt die Verschiedenheit der Welten auf den Punkt. Wo versuchte Flirts in Kälte münden, streift „30 Tage Lust“ den ganzen Ballast von scheiternden oder erzwungenen Beziehungen: Schuldgefühle, Egoismus, Einsamkeit. Der Enttäuschte geht, Sekunden später klinkt sich das Smartphone aus dem System aus und die Playlist wird gekappt. Das akustische Pendant zum leeren Kühlschrank.
Obwohl die siebte Episode mit „Driften“ überschrieben ist, stromert „30 Tage Lust“ nicht einfach durch gute und schlechte Tage. Der Fokus fährt gegen Ende wieder näher an das Paar Freddy und Zeno heran. Während Freddy in ihren unsicheren Momenten entgegen der Abmachung Zenos Nähe gesucht hat, ist der nach einer äußerlichen Verwandlung zu lockigen Haaren und weicher Ausstrahlung zurückgekehrt, wirkt aber zunehmend nachdenklich. Beide spüren, was aus ihrer bisherigen Zweisamkeit ausgeklammert blieb und worin sie sich – entgegen allen Postulaten –eingerichtet haben. Sie beteuern einander, froh zu sein, zum Vertrauten zurückzukehren. Und doch ist alles anders. Bei einem Besuch im neuen noblen Nest ihrer schwangeren Freundin Tati und deren Mann Phillip wird klar, was Freddy und Zeno nicht wollen. Sie wollen kein Abendessen mit Weinreise nach Katalog-Empfehlung. Sie wollen kein Kind und keine Fremdbestimmung, die sich als freie Entscheidung tarnt. Sie wollen nicht andere bitten müssen, vom wilden Leben zu erzählen…