Vampire sind verflucht zur Unsterblichkeit – und so leben sie auch heute noch unter den Menschen, auch und gerade in der Bankenstadt Frankfurt. Sie sehen zwar aus wie Menschen, doch sie verhalten sich wie ihre höllischen transsilvanischen Vorfahren: Blut ist ihr Lebenselixier. Nach außen wirken die beiden Brüder, der introvertierte Ben (Damian Hardung) und das Feierbiest Theo (Rick Okon), fast wie ganz normale junge Männer, zwei Schnösel aus besserem Hause. Doch wehe, wenn die Triebe mit ihnen durchgehen. Als ihre herrische Mutter Katharina von Greifenstein (Anne Ratte-Polle), auf Reisen ist, nutzt das Theo zu einer Hausparty. Zum Vorglühen geht es auf den Rummel, wo Benjamin alsbald die Liebe seines Lebens erblickt, Zelda (Havana Joy Josefine Braun), Box-Star und Tochter des verwitweten Schaustellers Ilja Zoris (Stipe Erceg) und Schwester des gottesfürchtigen Branko (Dennis Scheuermann). Nicht nur beim Preisboxen haut sie den attraktiven Schöngeist wortwörtlich um. Aber auch sie findet Gefallen an dem geheimnisvollen Beau – und schleicht sich auf das nächtliche Fest im Schloss der Hochwohlgeborenen. Noch ahnt sie nichts Böses, weiß nicht, dass Ben tatsächlich 287 Jahre alt ist. Doch das dionysische Lust-Event entartet zum Blutrausch, dem Zelda nur entkommen kann, indem sie zur Mörderin wird – ohne zu wissen, dass sie damit die Tradition ihrer Familie fortführt.
In den USA gehören Vampir-Serien wie „Buffy“, „True Blood“, „What We Do in the Shadows“ oder „Interview with the Vampire“ seit Jahren zum TV-Genre-Portfolio. Hierzulande wagte man sich mit „Blut“ (2018) allenfalls an einen morbiden Sauger-„Tatort“, doch mit dem Serien-Boom ist Bewegung ins Spiel der Genres geraten; Horror gilt längst nicht mehr als Trash. Nach der launigen Impro-Beißer-Comedy „Der Upir“ (Joyn) und noch vor Philipp Kadelbachs Graphic-Novel-Adaption „City of Blood“ (Disney+) findet nun „Love sucks“ seinen blutgetränkten Weg in die ZDF-Mediathek und auf ZDFneo. Auch dieser Achtteiler ist eine High-End-Produktion. Namen wie Marc O. Seng („Dark“, „Club der roten Bänder“) als Headautor und Andreas Prochaska (neunmal „Spuren des Bösen“, „Das Boot“) sowie Lea Becker („Höllgrund“) auf dem Regiestuhl sind ein Versprechen, das die Serie von der ersten Minute an einlöst. Dabei ist es keine leichte Aufgabe, ein Genre ernsthaft zu erzählen, das tief in der Filmgeschichte verankert ist, dazu in einem Land ohne Populärkultur-Tradition. Erschwerend hinzu kommt, dass der Antrieb der Geschichte die Liebe und der Grundton ein melodramatischer ist. Auch auf Erzähler-Ironie wird verzichtet. Für ein Augenzwinkern zwischen Biss und Kuss sorgen allerdings immer wieder treffsichere Oneliner, abgesondert im antiquiert vornehmen Schlossambiente: „Wir holen doch nicht unser Essen von der Straße“, so die Hausherrin mit Blick auf die ärmliche Zelda. Und Vampirküken Xandra (Lotte Engels) lästert über Ben: „Er denkt gerade nur mit seinem Schwanz.“ Dumm nur für die Nichte, nicht das Objekt seiner Begierde zu sein.
Nie hätte sich der Kritiker, seit Kindertagen ein Fan des gotischen Horrors, aber auch Splatter-Kult-Movies Marke Sam Raimi oder Dario Argento nicht abgeneigt, träumen lassen, dass ausgerechnet das öffentlich-rechtliche ZDF das altehrwürdige B-Movie-Genre in zeitgemäßem Dämmerlicht erstrahlen lassen würde. Ohne Erzähllogik-Probleme springt die Handlung vom Boxring ins Bankenviertel, vom Rummel ins Orgien-Schloss, von einem Frankfurter Club auf einen Friedhof nach bester Gruselfilmsitte. Ebenso wenig wie die mythischen Orte eines Vampirfilms fehlen die Tötungsrituale, das Sonnenlicht und der Holzpflock, der das Herz des Vampirs durchbohren muss. Und zu Beginn einiger Folgen werden Schicksalsmomente der jahrhundertealten Familiengeschichte nachgereicht: Da erfährt man, wie die kleine Xandra zur Familie der Tante stieß und wie sie ihren heiß begehrten Neffen Ben einst teuflisch manipulierte. Auch erfährt man, weshalb Ben zeitweise wie ein blutleer-blasser Melancholiker durch die Szenerie schleicht. Der Schmerz ist aber nicht nur sein ständiger Begleiter, ausgerechnet sein sardonischer Bruder scheint dieses Gefühl – über Hass und Rachegedanken hinaus – ebenfalls zu kennen, ja, dass auch er ein unglücklich Liebender ist, gehört zu den vielen kleinen Wendungen von „Love sucks“. Makrodramaturgisch ist das Ende der „Romeo-und-Julia“-Geschichte vorgegeben, in den Details aber wird der Zuschauer immer wieder zu falschen Vermutungen verleitet. Gleich zu Beginn begegnet einem Zelda auf dem Rummel, blass, die Augen schwarz geschminkt. Wäre es kein sonniger Tag, würde man sich fragen, welcher Gruft ist diese Schöne wohl entstiegen.
Anders als im klassischen Vampirfilm hat in dieser Serie jede Figur ihr Geheimnis. Und zu den beiden Clans gesellt sich eine korrupte Polizistin (Edita Malovcic). Sie hat sich auf die Seite dieser aristokratischen Blutsauger geschlagen, die die Bankenmetropole kontrolliert. Nicht, um abzukassieren, sondern, um unsterblich zu werden; die sinistre Dame hat Krebs. „Love sucks“ wird dadurch aber nicht zum Krimi. Die potenziell tödlichen Bedrohungen werden immer wieder aufgeschoben und kunstvoll gedehnt, aber nicht überdehnt. So kann es beispielsweise in der kompletten Folge 5, „Die Nacht gehört uns“, zu einem romantischen Intermezzo kommen, ganz ohne diese dysfunktionalen schrecklichen Familien. Zelda will alles von ihrem Liebsten wissen. „Schmeckt man einen Unterschied zwischen Männern und Frauen? Oder zwischen verschiedenen Hautfarben?“ Ben verneint. Nur, „die Angst vor dem eigenen Tod schmeckt man.“ Dem Sex in Mainhattan folgt ein Besuch in der Kirche, dem Hochhausmeer ein Gotteshaus voller Kerzen. Scharfe Kontraste verschwimmen in magischen Bildern. Nicht nur in dieser Episode gelingt ein wohl dosiertes Miteinander aus (Melo-)Drama-Momenten und filmischer Atmosphäre. In den Schreckensszenen halten sich Schock-Ästhetik und rasende Spannung die Waage. Emotional funktioniert das Ganze so gut, weil man mit den Liebenden mitfiebert, und weil selbst die „Bösen“ für Überraschungen gut sind. Erleuchtung ist kein Privileg der Guten.
Soundtrack: Sharon Van Etten („Every Time The Sun Comes Up“), Alex Ebert („Truth“), Ann Clue („Salvation“), Scala & Kolacny Brothers („Nothing Else Matters“), Nancy Sinatra & Lee Hazlewood („Paris Summer“), Austra („Beat And The Pulse“), Headless Heroes („True Love Will Find You In The End“), Candy says & Marc Canham („Running Up That Hill“), Radiohead („Give Up The Goast“), Okay Kaya („Believe“), Mazzy Star („Into Dust“), James Vincent McMorrow („Wicked Game“)
Inszeniert ist „Love sucks“ auf allerhöchstem Niveau. Da ist der Farbenrausch auf dem Rummel, da ist die düstere, stark verfremdete und doch beunruhigende Vampir-Orgie, in der das Blut nur so spritzt, und da ist das ästhetische Spiel mit der Zeit, mal atemlos gerafft, um den Zuschauer mitzureißen, ihn mitzunehmen in diese fremde, seltsame Welt, mal gedehnt, um die Gefühle und Gedanken der Protagonisten zu erspüren. Ein dynamisch pulsierender, gelegentlich im hypnotisch wabernden John-Carpenter-Gedächtnis-Sound wummernder Score des preisgekrönten Filmkomponisten Karwan Marouf versetzt einen alsbald in die passende Stimmung. Auch der Soundtrack weiß mit coolen Songs (Sinatra/Hazlewood, Radiohead) die sinnlichen Bilderwelten wehmütig zu beleben – und das Abspannlied von Sharon Van Etten („Every Time the Sun comes up“) ist bereits nach der dritten Folge zum Ohrwurm geworden. Die Rezeption dieser Serie ist eine Sache des Gefühls. Obwohl Autor Seng noch einen gesellschafts-kritischen Subtext in die Narration einbaut. „Ihr blutsaugenden Kapitalisten“, witzelt Zelda, die erst jetzt erfahren hat, dass ihr Vater ein Vampirjäger ist. Vampire sind also nicht nur Wesen der Nacht, sondern sie gehören zu einer elitären Oberschicht, die sich am wertvollsten Kapital einer prekären Mehrheit labt: ihrem Blut.