Während in der ersten Staffel drückende Hitze herrschte, wird es nun bitterkalt – und buchstäblich dunkler. Draußen liegt Schnee, drinnen schmiegt sich die zwölfjährige Sarah (Greta Kasalo) an die Schulter von Kommissarin Lona Mendt (Petra Schmidt-Schaller). Dass die friedliche Szene täuscht, dafür sorgt schon die markante Musik von Martin Tingvall, die auch die zweite „Die Toten von Marnow“-Staffel wesentlich prägt – gleich zu Beginn mit einer nach Western-Showdown klingenden Akkordfolge in einem leise trommelnden Rhythmus. Nicht als sich langsam entwickelndes Drama wie in der Auftaktstaffel, sondern als knallharter Thriller startet die Fortsetzung des Mehrteilers von Holger Karsten Schmidt (Drehbuch) und Andreas Herzog (Regie). Die beiden lassen es gleich in der fulminanten ersten Episode („Finsteres Herz“) richtig krachen: Da liegen nicht nur insgesamt zwölf Leichen im blutrot gefärbten Schnee oder vergraben im Waldboden, da werden auch die Hauptfiguren Mendt und ihr Kollege Frank Elling (Sascha Geršak) angeschossen und außer Gefecht gesetzt. Die clevere Erzählweise erlaubt es allerdings, dass beide keineswegs aus dem Spiel genommen werden, auch wenn insbesondere in der zweiten Episode („What’s your name?“) eine weitere bittere Wendung neue Rätsel aufgibt.
Soundtrack: Vicky Leandros („Ich liebe das Leben“), Beyoncé („Bodyguard), Rihanna („Sex With Me“), Bryan Ferry („Slave To Love“), The Prodigy („Firestarter“), Massive Attack („Karmacoma“)
In der zweiten Staffel dreht sich alles um die kleine Sarah, die als wichtige Zeugin in einem Prozess gegen einen Menschenhändlerring aussagen und deshalb gekidnappt werden soll. Nach der mörderischen Schießerei vor dem Zeugenschutzhaus ist sie auf sich allein gestellt und erweist sich vorerst als wahre Überlebenskünstlerin. In Grundzügen ist die Geschichte also von Anfang an bekannt, der Spannung tut das aber keinen Abbruch. Denn das Publikum bangt hier von der ersten Sekunde an um ein Kind in Lebensgefahr. Außerdem werden nun die Hintergründe nach und nach in einer Art gedoppelten Ermittlung aufgeklärt, weil die Schießerei vor dem Zeugenschutzhaus gleichermaßen Vorblende wie Ausgangspunkt ist. Einerseits springt die Erzählung zurück an den Beginn der Ermittlungen von Mendt und Elling, die zu einem Leichenfund im Wald gerufen werden. Andererseits folgt der Film nun den Ermittlungen nach der Schießerei, mit denen Maja Kaminski (Sabrina Amali) von der Bundespolizei und Hagen Dudek (Bernhard Conrad) vom Landeskriminalamt (LKA) beauftragt werden. Kaminski und Dudek fangen praktisch wieder bei Null an, denn Mendt und Elling liegen im Koma und haben seltsamerweise sämtliche Informationen aus dem Polizeicomputer gelöscht.
Die permanenten Sprünge zwischen den beiden Zeitebenen sind herausfordernd, bleiben aber in der akribischen Inszenierung von Regisseur Herzog verständlich und nachvollziehbar. Und im Zweifel hilft es, auf die Farben der Jacken zu achten, die Sarah in der Vergangenheit (rot) und in der Gegenwart (gelb) trägt. Die Dramaturgie ist reizvoll und auch keine „L’art pour l’art“, keine künstlerische Spielerei um der Spielerei willen, denn beide Handlungsstränge auf den verschiedenen Zeitebenen sind Teile einer gemeinsamen Geschichte und durch die zentrale Figur der Sarah verbunden. Da hat sich der im Spannungs-Genre überaus erfahrene Drehbuch-Autor Holger Karsten Schmidt („Das Gesetz sind wir“, „Auf kurze Distanz“, „Mord in Eberswalde“, „Gladbeck“ u.v.m.) mal wieder selbst übertroffen. Dabei ist das Sujet nicht sonderlich originell, sondern aus zahlreichen Krimis und Thriller-Serien bekannt: Es geht um Organisierte Kriminalität, um den Handel mit Kindern und Jugendlichen aus osteuropäischen Armenhäusern (hier: Bulgarien), um pädophile Netzwerke, korrupte Polizisten und die Suche nach dem Verräter in den eigenen Reihen der Sicherheitsbehörden.
Den Standort des Zeugenschutzhauses kannten angeblich neben Mendt und Elling nur ihr Chef Olaf Baack (Horst Günter Marx), der bei der Schießerei getötet wurde, sowie Staatsanwalt André Ritter (Oliver Urbanski). Ritter wiederum informiert die Bundespolizistin Kaminski darüber, dass der Chef ihres neuen Ermittlungspartners Dudek, der hochrangige LKA-Beamte Martin Gruber (Dirk Ossig), in Verdacht stehe, die Seiten gewechselt zu haben. Und tatsächlich scheint Dudek im Auftrag Grubers zu handeln. Die klassische Ermittlung nach der Schießerei mit acht Toten wird zu einem Wettlauf zwischen Dudek und Kaminski, die beide die verschwundene Sarah vor dem jeweils anderen finden wollen. Dem Publikum sind die Hintergründe vorerst nicht bekannt, es hat aber häufig einen Wissensvorsprung, weil die Erzählperspektive alle Figuren einschließt: Sarah, der mit wachem Instinkt immer wieder die Flucht vor ihren Häschern gelingt; Kaminski, die aufmerksam und misstrauisch das Vorgehen ihres Kollegen beobachtet und nachvollzieht; Dudek, der von Gruber unter Druck gesetzt wird und mit seiner im Rollstuhl sitzenden Schwester Laura (Bea Brocks) zusammenlebt.
Ganz anders – vertrauensvoll und im blinden Verständnis füreinander – agieren Lona Mendt und Frank Elling, deren persönliche Geschichten in der zweiten Staffel weitergesponnen werden. Dass dabei nicht alle Details aus der ersten Staffel wiederholt werden, ist verschmerzbar. Deutlich wird jedenfalls, dass Mendt nach dem Verlust ihres Mannes und ihrer beiden Kinder, die bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kamen, tief verstört und traumatisiert ist. Sie lebt nach wie vor allein im Wohnwagen, findet jedoch in der Aufgabe, Sarah zu beschützen, neuen Lebenssinn. Elling wiederum hatte in der ersten Staffel vergeblich alles dafür getan, seine Ehe zu retten, auch mit nicht legalen Mitteln. Nun ist der Pool fertig, aber seine Frau ist ausgezogen und Tochter Mareike (Bianca Nawrath) auf dem Sprung zum Erwachsenwerden. Dafür holt Elling seine demente Mutter Helga, wunderbar gespielt von Christine Schorn, ins Haus. Der nunmehr alleinstehende Polizist bemüht sich auf berührende Weise, seiner Rolle als Vater und Sohn gerecht zu werden. Der Thrill enthält also wie bereits in der ersten Staffel Spuren eines sensiblen Familiendramas. Schmidt und Herzog gelingt eine starke Fortsetzung der Geschichte der beiden Hauptfiguren, auch wenn Mendt und Elling gleich zu Beginn schwer getroffen in den Schnee sinken. Petra Schmidt-Schaller und Sascha Geršak, für ihre schauspielerische Leistung mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet, stehen hier zwar nicht ganz so deutlich im Mittelpunkt, haben aber ausreichend Gelegenheit, ihre Klasse zu zeigen.
2 Antworten
Wie immer findet tittelbach.tv alles ganz toll, was der ÖRR produziert. Als Orientierungshilfe ist mir da z. B. film-rezensionen.de tausendmal lieber.
Ja, film-renzensionen.de macht immer alles madig. Für Pessimisten sicherlich die bessere Anlaufstelle.