Wie aus Josef Gschwendt (Riccardo Campione), in dem vor 35 Jahren schon eine Josefa steckte, wenig später dann eine Josefa wurde, und wie aus ihr eine Josefa Bergmann (Adele Neuhauser) werden konnte – das geht dem Notar nur schwer in den Kopf. Faktum ist: Die Mutter von Josefa ist gestorben, und sie, ihr Sohn, der zur Tochter wurde, ist überraschenderweise Alleinerbin. Seitdem sie mit Mitte 20 fluchtartig ihr bayerisches Dorf in Richtung München verlassen hat, gab es keinerlei Kontakt mehr zu den Eltern. Josef löschte die Vergangenheit – und damit auch eine besondere Freundschaft und eine tragische Liebe. Jetzt muss sich Josefa erklären, zunächst gegenüber Blume (Ulrich Noethen): der war damals schwer enttäuscht, nimmt es heute aber eher gelassen – eben wie ein guter Freund. Mit Petra (Eva Mattes) fällt die Versöhnung weniger leicht: Sie hat Josef geliebt und war mit ihm verheiratet, wenn auch nur kurz. Spätestens als Frohnatur Antonia (Hayal Kaya), Josefas beste Freundin, zu Besuch kommt, entspannt sich die Lage. Reden und miteinander lachen hilft. Dass Blume nach dem Tod seiner Frau mit Petra zusammen ist, entlockt denn auch bald allen ein Schmunzeln. Doch es gibt etwas, was Josefa noch immer schwer belastet und worüber sie weiterhin schweigt. Aber auch Petra trägt noch ein Geheimnis mit sich herum.
Die Suche nach seiner (neuen) Identität, eine Familie und ein soziales Umfeld, die einen ablehnen, eine aus Verzweiflung aufgekündigte Freundschaft, eine Ehe, die ein Missverständnis ist, Verwirrung, Verletzungen, Verdrängung. Kein leichter Stoff, den sich der renommierte Drehbuchautor Uli Brée für „Ungeschminkt“ ausgedacht hat. Ungewohnt für den Meister der leichten, hintersinnigen bis hinterfotzigen Komödie. Doch Brée ist nicht nur der Kopf hinter aberwitzigen TV-Highlights wie „Vorstadtweiber“, „Für dich dreh ich die Zeit zurück“ oder „Vier Frauen und ein Todesfall“, der in Westfalen geborene Wahltiroler versteht sich gleichermaßen auf ernsthafte Stoffe wie seine sieben Bücher für den ORF-„Tatort“ zeigen. Aber so wie er auch in seinen Krimis nicht auf Wiener Schmäh verzichten mag, so hellen auch die Trauermienen und bösen Blicke in diesem Vier-Personen-Drama plus Randfigur (Matthias Matschke als Josefas Mann, der eine „Auszeit“ braucht) immer wieder auf. Das liegt auch an der wundervollen Hauptdarstellerin: Mit Adele Neuhauser hat Brée unzählige Male zusammengearbeitet; das Drehbuch für diese Transgender-Geschichte hat er direkt für sie geschrieben. Es ist nach „Faltenfrei“ (2020) der zweite Film über eine Frau in den besten Jahren, gedreht fast mit dem identischen Team unter der Regie von Dirk Kummer. Nach Ansicht der Macher ist eine lose Reihe mit Neuhauser in verschiedenen Rollen denkbar.
Den Zuschauer*innen könnte es nur recht sein. „Faltenfrei“ war ein Komödien-Highlight mit gesellschaftskritischer Note, und „Ungeschminkt“ ist ein vorbildliches Drama in angenehm klassisch klarer Form, das getragen wird von großartigen Schauspielern. Das Transgender-Thema wird hier nicht in seiner sozialkritischen Dimension abgehandelt: Dass die Dörfler nur ihre Vorurteile, aber nichts über Trans-Identität wissen und auch nicht wissen wollen, mag Josefas Wut schüren, ist aber nicht mehr als ein subjektiver Randaspekt. Der wahrhaftige, zeit(geist)lose Kern der Geschichte dreht sich darum, inwieweit man als Liebender schwere seelische Verletzungen vergeben und verzeihen kann. Der Schwerpunkt liegt also auf dem psychologischen Drama. Tragische Ironie des Schicksals: Die Hauptfigur hat vor 35 Jahren die Situation und vor allem die Gefühle der Menschen, die „Josef“ damals am meisten liebten, falsch eingeschätzt. „Jeder Tag war ein Kampf erinnert sie sich“, ein Kampf mit dem eigenen Körper und mit der Ignoranz und dem Hass der anderen im Blick, da fehlte ihr offenbar das nötige Feingefühl für ihre Liebsten. Es ist schön zu sehen, wie tief Brée und Kummer in die Gefühle der Charaktere gehen und nicht die Gefahr scheuen, ins Rührselige abzugleiten. Auch mit Schauspielern vom Range einer Adele Neuhauser, einer Eva Mattes oder eines Ulrich Noethen ist man davor ja keineswegs gefeit. Dass es keine Gratwanderung wird, sondern eine Punktlandung, resultiert aus bestem Teamwork.
Bei aller Universalität ist die Transgender-Problematik in „Ungeschminkt“ alles andere als austauschbar. Denn natürlich wird sensibilisiert für das Thema. In der straffen Exposition gibt es zwei, drei Statements, die clever in die Handlung integriert sind und so nicht wie Statements rüberkommen. Alles gipfelt in dem Zitat des Sexualforschers Milton Diamond: „Das Geschlecht liegt nicht zwischen den Beinen, es sitzt zwischen den Ohren.“ Später gibt es immer wieder Passagen ohne Dialog, in denen sich die „Heimgekehrte“ erinnert, an die schönen Momente mit Blume (ob die Freundschaft homoerotisch angehaucht war, wird offengelassen), an die heimliche Anprobe eines Kleides, an die Schläge und das Ende voller Schrecken. Solche introspektiven Einstellungen, in denen Josefa oft mittendrin steht und ihre Gefühle erkennen lässt, wechseln mit Szenen, in denen sie von früher erzählt, von ihren Ängsten, ihrer Verwirrung, dem Chaos. Es kommt nicht oft vor, dass man Dialoge in einem Fernsehfilm so gebannt verfolgt. Auszüge aus einer Lebensgeschichte sind mit Schauspielern, die „ungeschminkt“ Gefühle darstellen und auch schon mal Tränen kullern lassen, einfach packender als beispielsweise ein Geständnis in einem Krimi. Wunderbar auch die Radfahr-Metapher. Josefa geht, nein, sie fährt ihren Weg, sie kennt keinen Stillstand, sie entwickelt sich weiter. Und als Josef, im falschen Körper am falschen Ort, liebte sie beim Radeln das Gefühl von Freiheit. „Ich fühlte mich völlig losgelöst, weder Junge noch Mädel.“
Eine Antwort
Eine Transfrau wird in diesem Film von einer Frau gespielt. Das macht den Film in meinen Augen zu einer Clownerie, da es zutiefst unehrlich ist und die Meinung der Transphoben unterstützt: nur Frauen sind „echte“ Frauen! Gab es keine
überzeugende transsexuelle Schauspielerin dafür? „The Crying Game“ hat doch gezeigt, dass so etwas funktioniert!