Zweimal zweites Leben

Benno Fürmann, Heike Makatsch, Jessica Schwarz und ein „Herzkino“-Leuchtturm

Foto: ZDF / Kerstin Stelter
Foto Rainer Tittelbach

„Zweimal zweites Leben“ erzählt von Liebe, Loyalität und vom Loslassen, von Formen der Treue und Verantwortung und neuen Möglichkeiten des Zusammenlebens. Die Geschichte um eine Frau, die monatelang im Koma liegt, um ihren optimistischen Ehemann, der alles versucht, sie zu „wecken“ und sich dabei in eine Frau verliebt, die ein ähnliches Schicksal wie er zu bewältigen hat, wirft viele lebensphilosophische Fragen auf. Handelt der Ehemann verwerflich? Muss man ihm, der sich für seine Frau aufopfert, moralische Vorhaltungen machen? Oder muss man ihm zugestehen, dass auch er ein Recht auf Leben hat? Ein Film, der „Herzkino“-untypisch bewegt (trotz melodramatischer Musik), der mit einem formidablen Darsteller-Trio aufwartet und auch bezüglich der Regie Fragen aufwirft.

Bewährungsprobe für eine Familie. Leo (Benno Fürmann), Ännie (Heike Makatsch) und ihre gemeinsame Tochter Zora (Sofie Eifertinger) stecken gerade voller Pläne, vom Wohnungsumbau bis zum Spontanurlaub, als ein Reitunfall das Glück jäh zerstört. Die Ehefrau fällt ins Koma. Obwohl Ännie in einer Klinik beste Betreuung genießt, sind selbst nach Monaten Fortschritte kaum erkennbar. Doch Leo bleibt optimistisch: Für ihn ist diese Phase nur eine vorübergehende Unterbrechung der guten Zeiten, die das Paar miteinander hatte. Er kennt seine Frau, er liebt sie und er spürt: „Sie kämpft und deshalb kämpfe ich, notfalls auch allein.“ Immer wieder gibt es Ärger mit Ännies Vater (Manfred Zapatka), der zwar das nötige Kleingeld für die weiteren Maßnahmen besitzt, der aber wenig Feingefühl ihm und seiner Enkelin gegenüber aufbringt. Trotz allem hat Leo offenbar Kraft für zwei: Bald steht er auch noch Esther (Jessica Schwarz) bei, die er im Krankenhaus kennenlernt und die mit einer ähnlichen Situation fertig werden muss. Sie ist mit der Pflege ihres Freundes allerdings überfordert und sie zweifelt daran, dass er je wieder aufwachen wird. Die beiden kommen sich näher. Ist das Ausdruck von Verzweiflung? Oder gelebtes „Zu zweit ist man weniger allein“? Oder ist es wirklich Liebe? Als Ännie überraschend aus dem Koma erwacht, treten die Gefühle zwischen Leo und Esther in den Hintergrund. Doch die Genesung nimmt nicht den erhofften Verlauf. Ännie kennt ihre Familie nicht mehr und auch sie ist eine Andere.

Zweimal zweites LebenFoto: ZDF / Kerstin Stelter
Im Koma. Ännie (Heike Makatsch) lässt sich Zeit mit dem Aufwachen. Leo (Benno Fürmann): „Sie kämpft, das weiß ich, und deshalb kämpfe ich, notfalls auch allein.“

kurz & knapp: der Autor Bernd Lange, geb. 1974, zehn beziehungsstarke Top-Drehbücher in zehn Jahren – u.a. „Requiem“, „Sturm“ und „Was bleibt“ für Kino-Regisseur Hans-Christian Schmid, „Der Verdacht“ und „Tod einer Polizistin“ für Matti Geschonneck, „Am Ende kommen Touristen“ oder „Tatort – Neuland“.

„Zweimal zweites Leben“ erzählt von Liebe, Loyalität und vom Loslassen, von Formen der Treue und Verantwortung und von neuen Möglichkeiten des Zusammenlebens. Autor Bernd Lange öffnet die Geschichte in Richtung auf ein interessantes Gedankenexperiment hin. Wie viele Was-wäre-wenn-Szenarien wirft auch dieser Film zahlreiche Fragen auf. Ist es verwerflich, dass sich der Ehemann in eine andere Frau verliebt? Muss man ihm, der sich monatelang für seine Frau aufopfert (auch wenn er sein Tun keineswegs als Opfer begreift), dafür moralische Vorhaltungen machen? Kann man Krankheit als Chance fürs Leben begreifen? Ist das zynisch oder wäre das überlebensstrategisch nicht vielleicht sogar der Königsweg? Wird hier ein Unglück, ein Krankheitszustand, instrumentalisiert zum Zwecke romantischer Unterhaltung? Die größte Qualität dieses Films ist es vielleicht, dass man all diese Fragen stellen kann. Selten wird man als Zuschauer aus einem Fernsehfilm, der Liebe und Beziehung moralisch diskutiert, mit so einer Menge Gedankenfutter entlassen. Und das noch dazu auf einem Sendeplatz, auf dem sonst eskapistische Sehnsuchtsfilmchen zuhause sind! ZDF-„Herzkino“ für Anspruchsvolle also, Philosophie für Verliebte und solche, die es einmal waren? Auch wenn der Film am Ende für sein amouröses Dreieck plus Familien-Anhang Antworten findet, gehört er nicht zum eindimensionalen Genre der sogenannten „Selbstfindungsfilme“. Dafür sind die Wege zu unorthodox, die Entwicklungen der Figuren zu differenziert gezeigt, dafür werden die persönlichen Entscheidungen zu achtsam getroffen.

Zweimal zweites LebenFoto: ZDF / Kerstin Stelter
Zu zweit ist man weniger allein. Esther (Jessica Schwarz) hat ein ähnliches Schicksal, aber sie ist nicht so optimistisch wie Leo (Benno Fürmann), der sie aufbauen muss.

Benno Fürmann über seine Figur in „Zweimal zweites Leben“:
„Leo speist viel Kraft aus der glücklichen Beziehung, die er mit Ännie hatte, sein Leben lässt sich jedoch irgendwann nicht mehr auf die Zeit vor dem Unfall reduzieren und er muss nach neuen Modellen der Verbindlichkeit suchen, der Verbindlichkeit seiner Frau gegenüber und andererseits sich selbst gegenüber.“

Dass der Film diese verhältnismäßig hohe Nachhaltigkeit beim Thema besitzt, liegt sicher auch mit daran, dass „Zweimal zweites Leben“ nicht im Genre eines schwerblütigen Dramas erzählt, das einem das Denken abnimmt, sondern als ein Film, der mit einer spielerischen Leichtigkeit an das schwere Sujet herangeht. Diese Leichtigkeit vermittelt sich besonders gut, weil sie nicht dramaturgisch aufgesetzt erscheint, sondern sich aus dem Charakteren entwickelt – insbesondere dem vor Energie und Lebensfreude nur so strotzenden Ehemann, den Benno Fürmann mit gewohnt starker physischer Präsenz verkörpert – sein Motto offenbar: lieber einmal mehr lächeln als zu wenig. Seine ansteckende Vitalität, von der sich andere Menschen mitreißen lassen, ist lange Zeit spürbar – und trägt viel zur psychologischen Nachvollziehbarkeit der amourösen Neuorientierung der „gesunden“ Liebenden bei. Der Film ist selbstredend kein klassisches Koma-Drama und trotz der vielen Fragen, die er aufwirft, wirkt er auch nicht wie ein Beziehungsfilm, der alles zerredet, sondern es ist einer, der seine Geschichte herzeigt und in den Situationen, den Metaphern, die Zärtlichkeit und die zunehmende Verzweiflung deutlich macht. Da versucht der Mann mit der mit technischen Hilfsmitteln aufgerichteten Frau zu tanzen; Bono singt „One Love“, aber das Bild ist ein trauriges. Und auch später, wenn die ehemalige Koma-Patientin sich langsam wieder ihrer Sprache bemächtigt, wirkt dieser Akt eher desillusionierend. Alle erwarten mehr von ihr, als sie in der Lage ist zu geben. Noch schmerzlicher ist die scheiternde Kommunikation zwischen ihr und ihren Liebsten: „Ich kenn’ dich nicht. Ich will nach Hause“, sagt sie zu ihrem Mann, der sie in ihre gemeinsame Wohnung „entführt“ hat. Ihr ist diese Nähe zuviel; sie will „nach Hause“ – sprich: wieder in die Klinik. Auch ihre Tochter erkennt sie nicht. Selbst das Gefühl der Liebe zu ihr ist der Mutter, deren „Phasen“ Heike Makatsch wunderbar nuanciert und immer ein Stück weit befremdlich (statt „Herzkino“-like verbindlich unverbindlich) spielt, ihr wenig vertraut. „So fühlt sich das wahrscheinlich an, wenn man ein Kind hat.“

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Aufopferungsvoll kümmert sich Leo (Benno Fürmann) um die im Koma liegende Ännie (Heike Makatsch). „Moralisch mit einem starken Kompass ausgestattet lernt er im Verlauf der Geschichte, auch seine eigenen Bedürfnisse ernstzunehmen“, so Fürmann.

„Zweimal zweites Leben“ ist aber auch ein zweifacher Liebesfilm. Vom Glück des Ehepaars sehen wir wenig. Was da einmal war zwischen den beiden, davon geben kurze Videos und Fotos nur eine Ahnung. Diese Glücksmomente sind doppelt medial vermittelt, werden vom Zuschauer weniger hautnah miterlebt als die zweite Liebe, bei der er als Augenzeuge dabei ist. Vom Filmerleben her dürfte dem Zuschauer also Jessica Schwarz’ Esther als Liebesobjekt näher sein, moralisch dürfte man dagegen auf der Seite der aus dem Koma Erwachten stehen. Doch der Autor verabschiedet sich von diesem In-Oppositionen-Denken. Ein knapper, emotionaler Wortwechsel bringt es auf den Punkt. Ännie: Du liebst sie?“ Leo: „Ja.“ Ännie: „Bist du dann weg?“ Leo: „Nein.“ Treue kann viele Formen annehmen. Und man braucht keine Behinderung, um dieses Modell zu leben. Jeder Zuschauer kann sich eine Message abholen. „Es geht nicht nur um den Schicksalsschlag“, so Makatsch, „es geht auch um den Mut, Dinge zu verändern, den Blickwinkel zu wechseln, nicht loszulassen und trotzdem frei zu sein.“ Der besagte Wortwechsel verliert im Übrigen ein wenig, weil die Musik (nicht nur) hier diese besondere „Liebeshaltung“ stark melodramatisch überlagert, anstatt sich auf die pure gespielte Emotion, das vorzügliche Spiel von Makatsch und Fürmann, die Pausen und Augenblicke, zu verlassen. Vielleicht ist das ja auch der Grund, weshalb das renommierte Regie-Duo Claudia Prietzel und Peter Henning sich hinter dem in Hollywood geläufigen Alan (ergänzt um Elaine) Smithee verstecken. Erinnert man sich an ihre Filme wie „Schande“ oder den „Tatort – Ordnung im Lot“, weiß man, dass die beiden ein besonderes Faible für bizarre Sounds und einen ausgefeilten, eigenwilligen Score haben, der seelische Zustände hoch sinnlich spiegelt. Ein anderer Grund ist für den Außenstehenden nicht ersichtlich. Besonders dramaturgisch kommt der Film schnell zum Punkt, zu Beginn werden konsequent die Zeiten der Tränen weggeschnitten (das hat man tausendmal gesehen!) und auch gegen den Flow, die Montage der Geschichte, ist nichts einzuwenden, erst recht nicht gegen die im Detail einfallsreiche, aber nie übertrieben elaborierte Bildgestaltung von Grimme-Preisträger und Andreas-Dresen-Kameramann Michael Hammon („Das Hotelzimmer“). So ist „Zweimal zweites Leben“ bisher der einzige „Herzkino“-Leuchtturm 2016. (Text-Stand: 17.3.2016)

Zweimal zweites LebenFoto: ZDF / Kerstin Stelter
„Leben kann man nicht wiederholen, das lebt man jetzt.“ Gelegentlich gibt es mal eine Lebensweisheit, die die Film-Message antizipiert. Durch die vielschichtigen Charaktere und das Spiel von Fürmann und Schwarz ist das aber kein Störfaktor.

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Benno Fürmann, Heike Makatsch, Jessica Schwarz, Sofie Eifertinger, Manfred Zapatka, Lisa Kreuzer, Thomas Limpinsel, Karoline Eichhorn

Kamera: Michael Hammon

Szenenbild: Josef Sanktjohanser

Kostüm: Janne Birck

Schnitt: Günter Heinzel

Musik: Andreas Weidinger

Produktionsfirma: Dreamtool Entertainment

Produktion: Stefan Raiser, Felix Zackor

Drehbuch: Bernd Lange

Regie: Elaine Smithee, Alan Smithee

Quote: 4,44 Mio. Zuschauer (12,3% MA)

EA: 17.04.2016 20:15 Uhr | ZDF

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