Verheiratet mit einem Mörder – oder ein Justizirrtum?
Franziska (Julia Koschitz) muss mit ansehen, wie ihr Freund Sebastian (Felix Klare) vor ihren Augen wie ein Schwerverbrecher abgeführt wird. „Bin gleich wieder da“, verspricht er. Erst nach acht Monaten U-Haft kommt die Stunde der Wahrheit. Das Urteil lautet: lebenslänglich, 23 Jahre mit anschließender Sicherungsverwahrung wegen der besonderen Schwere der Schuld. Der Mann, den sie liebt, soll 17 Mal mit dem Messer auf eine Frau eingestochen haben und sie soll seine Geliebte gewesen sein. Die Affäre gibt er zu, aber was den Mord angeht, beteuert er immer wieder seine Unschuld. Weil Sebastian in der Haft zu verzweifeln droht, von Panikattacken und Depressionen heimgesucht wird, fasst Franziska einen mutigen Entschluss: Sie heiratet ihn. Nicht alle Menschen in ihrer Umgebung können diesen Schritt nachvollziehen. Ihre Eltern (Maren Kroymann & Holger Mahlich) wenden sich von ihr ab; verlassen kann sich Franziska nur noch auf ihre beste Freundin (Ellen Schlootz). Und Sebastian hat nur noch seine Frau, sein Freund seit Kindertagen (Godehard Giese) zieht sich endgültig zurück. Als die Revision scheitert und ein „Langzeitbesuch“ aus Risikogründen nicht genehmigt wird, kämpft Franziska zwar weiter – aber auch ihr kommen langsam Zweifel.
Ein Leben im Ausnahmezustand und das Vertrauen schwindet
War dieses Glück eine Illusion? War diese Beziehung nur eine Projektion ihrer Wünsche? Hat diese Frau, um ihre romantischen Träume auszuleben, nicht genau hingeschaut und vieles gar nicht sehen wollen? „Zweimal lebenslänglich“ zeigt den Alptraum eines Paares, das Ergebnis eines Indizienprozesses, aus der Perspektive der Ehefrau des rechtskräftig verurteilten Mörders. Anfangs ist ihr Verhalten noch geprägt von Optimismus und Hoffnung. Doch bald ist es ein zunehmend verzweifeltes Anrennen gegen die Institutionen des Rechtsstaates, gegen die Eltern, gegen Freunde. Die Liebende führt ein Leben im emotionalen Ausnahmezustand und isoliert sich dabei zunehmend von ihrer Umgebung. Der Filmtitel bringt es zum Ausdruck: Sie ist mitverurteilt – lebenslänglich. Es sei denn, sie lässt ihn los und er lässt sie gehen. Aber sie kann diesen Mann, bei dem sie sich endlich wertgeschätzt fühlt und der ohne sie verloren wäre, nicht im Stich lassen. „Er braucht mich“, sagt sie. „Und was brauchst du?“, fragt ein Freund zurück. „Du opferst dich auf für diesen Verbrecher“, schreit ihre Mutter sie an. Der Film erzählt von Auflösungsprozessen. Freundschaften zerfließen. Vertrauen schwindet. „Es fühlt sich an, als würde ich taub werden, als könnte ich bald überhaupt nichts mehr spüren, nicht mal mich selbst“, gesteht die Heldin ihrer Freundin. Eine Art Zwischen-Bilanz. Und der Zweifel nistet sich ein. „Ich weiß einfach nicht mehr, ob ich dir glauben kann oder nicht; ich kann es nicht mehr fühlen.“ Es steckt eine Menge Verzweiflung in ihrem Zweifel.
Feinsinnige Visualisierung einer stimmig charakterisierten Frau
Über jene Franziska vermittelt Autorin Katrin Bühlig dem Zuschauer das Drama dieses (vermeintlichen) Justizirrtums. Anfangs zeigt sich auf dem Gesicht von Hauptdarstellerin Julia Koschitz die Hoffnung und das Bangen um ihren Freund, später sind es die Ohnmacht und das blinde Anrennen, ist es ihr Seelenschmerz, der mehr und mehr in den Mittelpunkt rückt und „Zweimal lebenslänglich“ zu ihrer Geschichte macht: der Geschichte einer Frau, die sich nach Zugehörigkeit und romantischen Glücksversprechungen sehnt. Dieser Traum ist es, von dem sie sich nicht verabschieden mag. Doch plötzlich nimmt er Züge eines Alptraums an. Wie diese Frau den Boden unter den Füßen verliert – das versteht Regisseur Johannes Fabrick eindrucksvoll zu verdichten – in Szenen, in denen ihre Wahrnehmung gestört ist, oder in mehreren Traumsequenzen. Paradiesische Bilder, weißes Brautkleid, Zweisamkeit am Strand, strahlend blau der Himmel, doch dann übernehmen blutrote Horrorvisionen die Regie, über dem Sex liegt Leichengeruch, Glück gebiert Schrecken. Die Träume verraten, was sich die Heldin (noch) nicht eingestehen mag: die zwei Herzen in ihrer Brust, ihre Verunsicherung, die Zweifel an ihrem Geliebten, ihre tief sitzenden Ängste. Die stimmige Psychologie der Hauptfigur und deren feinsinnige Visualisierung gehören zu den großen Stärken dieses ZDF-Fernsehfilms. Dazu gehören auch die kleinen beiläufigen Zeichen des Alltags: ihr etwas kleinbürgerlich gestricktes Verständnis von Romantik (in der Hoffnung eines Freispruchs hat sie die gemeinsame Wohnung mit Rosenblüten übersät), die Symbole ihrer latenten Unsicherheit, ihre häufig zu kurzen Röcke und ihr fehlendes Feingefühl in Sachen Kosmetik. Und dass die Frau, die als einzige zu ihr hält, der Liebe extrem naiv begegnet, und ihren neuen Partner backfischhaft verklärt, das sagt auch etwas über die Heldin – nicht zufällig sind die beiden beste Freundinnen. Das sind alles dezente Hinweise auf eine Frau, die auch schon vor dem schicksalhaften Crash ihrer Beziehung nicht vor Selbstsicherheit gestrotzt haben wird; auch die Beziehung zu ihren Eltern verdeutlicht die große Bedürftigkeit dieser Frau.
Julia Koschitz und die Möglichkeiten der Transparenz
Julia Koschitz ist für psychologisch anspruchsvolle Rollen dieser Art prädestiniert. Ihre zierliche Erscheinung, ihr offenes Gesicht und die großen, ausdrucksstarken Augen machen sie zu einer perfekten Projektionsfläche für seelische Stimmungslagen. Außerdem strahlt sie – wenn sie nicht lächelt – durch die kurzen Haare und die klaren Konturen ihres Körpers etwas Konzentriertes und Kühles aus, das Charakterrollen entgegenkommt und das dem modernen Fernsehfilmtrend entspricht, (innere) Konflikte nicht nur verbal, sondern auch optisch zu erzählen. Ihre Möglichkeiten zur Transparenz ist ihre große Stärke. Eine kleine Nuance – und schon ist der „neutrale“ Gesichtsausdruck einem verunsicherten Lächeln gewichen. Neben den beiden Kinofilmen, der Beziehungskomödie „Der letzte schöne Herbsttag“ und dem Sterbedrama „Hin und weg“, gehören die Fernsehfilme „Tödliche Versuchung“, „Pass gut auf ihn auf“ und die kleine, aber stark nachwirkende Rolle in „Der letzte schöne Tag“ zu ihren besten Leistungen – bis sie im letzten Herbst in ihrem Solo als Stasi-Agentin aus der zweiten Reihe, dem Psychodrama „Unsichtbare Jahre“, ihre bislang vielschichtigste Rolle spielte. In „Zweimal lebenslänglich“ stemmt sie den Film nun ebenfalls fast im Alleingang. Allerdings ist auch Felix Klare eine sehr gute Besetzung für jenen Mann, der vielleicht ein Mörder ist, vor allem aber ein Problem hat, seine Aggression zu zügeln. Klare spielt das wie ein geprügelter Hund, verzweifelt, mit Schuldgefühlen, auch ein Stück weit unberechenbar – was mit seiner problematischen Jugend korrespondiert, die Autorin Katrin Bühlig in einem Nebensatz beiläufig anspricht. So halten Psychologie & Spiel die Spannung bis zum Schluss.
Kein eigenes Leben mehr – auch die Kamera dringt in die Intimsphäre
Dass in fünf der sieben Koschitz-Highlights Grimme-Preisträger Johannes Fabrick Regie führte, kann kein Zufall sein. Beide bevorzugen in ihrem Metier einen klaren, reduzierten Stil und sind Könner im Spiel mit Nähe und Distanz. Vielleicht aber hat ja Fabrick nur erkannt, dass Koschitz zu mehr taugt als zum attraktiven Beiwerk, dass sie nicht nur umwerfend komisch und dass sie keineswegs nicht zu hübsch ist fürs Drama. In beiden Filmen sucht Kameramann Helmut Pirnat ihr Gesicht, geht oft ganz nah ran, dringt förmlich in die Intimsphäre ihrer Figur ein, Sex inklusive. Vielleicht aber hat ja auch Koschitz erkannt, dass man auf den einen oder anderen Film verzichten kann, wenn man die Möglichkeit hat so essentielle Rollen zu spielen wie in „Unsichtbare Jahre“ oder jetzt in „Zweimal lebenslänglich“. In beiden Filmen verkörpert Koschitz eine emotional gestörte Persönlichkeit. Während aber für die Stasi-Agentin ihr „Job“ eine Möglichkeit der Identitäts-Findung ist, gerät im neuen Film die sich aufopfernde Ehefrau erst durch die Ausnahme-Situation in diese tragische Schräglage. Und plötzlich hat sie kein eigenes Leben mehr…