Eine Arbeitsbeziehung ist immer auch eine Liebesbeziehung. Keiner weiß das besser als Hannah Zorn. Bei ihr dreht sich alles nur um ihren Chef, Alfons Keilinger, den Herrn der Betten, der momentan nicht ganz Herr seiner Gefühle ist. Der Sekretärin, seit zehn Jahren in Diensten des charmanten Mannes in den besten Jahren, bleibt das nicht verborgen. „Ich weiß eigentlich fast gar nichts von Ihnen“, sagt er und fügt mit männlicher Entschlossenheit hinzu: „Ich würde mich manchmal einfach nur gern mal gehenlassen.“ Vorausgegangen war ein mehr oder weniger zufälliges Probeliegen eines neuen Designerbett-Prototyps. Wenn das nicht mehr als ein Wink mit dem Zaunpfahl ist! Es folgt ein gemeinsames Abendessen, sie gibt erwartungsvoll die Frau in Rot – er den Mann von Welt, der nach 25 Jahren Ehe zu den Inseln der Lust und der ewigen Jugend aufbrechen möchte. Alles könnte so wunderbar werden für Hannah und ihren Keilinger. Doch weshalb dann ihre Selbsthassattacke, bei der sie ihr kleines Rotes in noch kleinere Stücke schneidet? „Ich dumme, dumme, dumme blöde Kuh…“
„Liebe ist eine von vielen Möglichkeiten, sich unglücklich zu machen“, gibt die lebenskluge Vorzimmerdame noch zu Beginn der ARD-Komödie „Zwei übern Berg“ zum Besten. 30 Filmminuten später weiß sie, von was sie da gesprochen hat. Aber Hannah Zorn unterdrückt das Gefühl, das der Name ihr nahelegt, und bleibt eine loyale Angestellte: anstatt der erträumten Zweisamkeit mit dem „geilen, alten Keiler“ tanzt sie nun den Freundschaftswalzer mit Keilingers vernachlässigter Ehefrau, Betreiberin einer Tanzschule. Schon blöd für die Heldin: Einsam kraxelt sie am Wochenende auf die Berge, die ersehnte Liebe weit weg und die Treue zum Chef wird ihr wohl auch die Freundschaft mit seiner Gattin kosten. Gisela Schneeberger spielt die kleine Frau mit dem großen Mundwerk und den funkelnden, zunehmend feuchten Augen, zwischen den Stühlen und ihren Gefühlen sitzend, mit Sinn für Sarkasmus wie Sanftmut. Das ist unnachahmlich, ungewöhnlich für einen Degeto-Film und in höchstem Maße unterhaltsam. Diese Heldin, aber auch die anderen, ihr Chef (ein Komödiant von Welt: Halmer), ihr Ex (der Mafioso mit Schlagersänger-Zementfrisur: Steinhauer), ihre neue Freundin (sicher in allen Tonlagen: Russek) und die Kollegen aus Bettenbranche (köstlich egoman: Noethen, immer eine Wucht: Uhlig) sind nicht in erster Linie dazu da, das Komödien-Happy-End zu generieren. Wie diese Geschichte ausgeht, wer wen bekommt in diesem Drei-mal-zwei-Reigen bleibt lange offen. Die Figuren lassen sich nicht zu Erfüllungsgehilfen der Dramaturgie instrumentalisieren, sie besitzen ein hohes Maß an Eigensinn.
„Zwei übern Berg“ – dieser Film lässt sich wegschlürfen wie ein guter süffiger Weißwein, harmonisch, leicht und doch gehaltvoll, elegant im Abgang – ein echter Genuss. Autor Sathyan Ramesh („Letzter Moment“) zieht alle Register: Er setzt auf intelligente, entsprechend pointiert parlierende, gelegentlich lallende Charaktere, auf eine Dramaturgie, die sich szenisch auf das Zwischenmenschliche konzentriert, gelegentlich falsche Fährten legt und die wohlbekannten Muster der romantischen Komödie zugunsten dezenter Screwball-Momente unterläuft. Gut gebaut und glänzend gespielt ist das Ganze sowieso. Geschickt variiert Ramesh auch die Geschlechterrollen-Erwartungen. Die Frau an seiner Seite oder die gute Seele sind existent, weil sie auch in der Gesellschaft noch existent sind. Ramesh gelingt der Spagat zwischen Realität und Wunschbild, weil er weder eine typische TV-Frau die Ärmel hochkrempelnd ihren Weg gehen lässt, noch die Helferrolle ungebrochen übernimmt.
Am Ende siegt die Einsicht. Chef und Sekretärin steigen auf den Berg, erklimmen quasi gemeinsam den Gipfel der Erkenntnis. Wunderbar die Nacht im Kuhstall, die beiden kommen sich näher, Rücken an Rücken, endlich frei von gesellschaftlichen Zwängen, von persönlichen Erwartungen. Dazu ihre Gesichter im vielsagenden Schuss/Gegenschuss. Ein Vor-Happy-End vorm schrägen Finale. Nicht nur in dieser Szene zahlt es sich aus, dass man mit Torsten C. Fischer („Romy“) auf einen im ambitionierten Fernsehfilm erprobten Regisseur gesetzt hat, der mit dem Kameramann (Theo Bierkens) und dem Cutter (Benjamin Hembus) seines ausgezeichneten „Spreewaldkrimis“ die Inszenierung und mit einem stimmigen Komödien-Score (Stephan Massimo) veredelt. Für eine gefühlte Veredelung kann der Zuschauer im Übrigen selber sorgen – vorausgesetzt, er schätzt Loriot und dessen Faible für Kommunikation: Essen, Trinken, Plaudern, Schlafen, Liebesversuche („Bei anderen geht es doch auch“). Es ist immer dasselbe Spiel. (Text-Stand: 25.8.2012)