Entführung verjährt. Vor 22 Jahren wurde Mara Breuer (Nina Hoger) von einem Unbekannten gekidnappt und tagelang festgehalten. Nach Zahlung eines Lösegeldes kam sie frei. Seit diesem Tag ist Mara in ihrem Trauma gefangen. Sie kann sich an nichts erinnern und findet keinen Zugang mehr zur Welt. Ganz anders ihre Mutter: Seit zwei Jahrzehnten kämpft Charlotte Breuer (Hannelore Hoger) verbissen um Hilfe für ihre Tochter. Voller Hoffnung begleitet sie Mara nun zur Therapie an die Ostsee. Dort begegnet Charlotte einem Mann, dessen Stimme sie zu kennen glaubt. Wut und Schmerz über die ungesühnte und nach 20 Jahren verjährte Entführung ihrer Tochter brechen sich Bahn. Charlotte folgt dem dänischen Industriellen Kjell Mortensen (Jens Albinus) nach Kopenhagen. Mit Hilfe eines Anwalts (Morten Sasse Suurballe) will sie ihn vor Gericht bringen. Sie verkennt dabei allerdings, wie sehr sie die labile Mara mit diesem Alleingang in Gefahr bringt.
Getragene Musik und eine Fahrt über herbstliche Landstraßen. Die schweigsame Reise von Mutter und Tochter führt in ein gepflegtes Sanatorium. „Auch ihnen stünde eine begleitende Therapie zu“, rät Dr. Sahling (Christina Große) der um Fassung ringenden Charlotte. Die Bilder gleichen sich. Egal, ob mit Mutter oder Tochter im Gespräch: Christina Große trägt pastellfarben, jede ihrer Bewegungen als Therapeutin wirkt geschmeidig. Mara und Charlotte Breuer dagegen sind meist dunkel verpackt, ziehen die Schultern hoch, verschränken die Arme, ballen die Fäuste. Unwillkürlich fragt man sich, wer von beiden beschädigter ist.
Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Nina Hoger über den Grundkonflikt zwischen Mutter & Tochter im Film
„Maras Angst, das, was ihr Trauma ausgelöst hat, nochmal zu erleben, ist so groß, dass sie alles tut, um das zu verhindern. Sie tut es unbewusst! Sie kann einfach nicht anders. Das sind ja gerade die Merkmale eines Traumas. Und der permanente Druck, der von ihrer Mutter ausgeht – sie meint es nur gut, keine Frage – verstärkt Maras Verhalten. Man kann sich, glaube ich, nicht vorstellen, wie groß die Ängste sind, die ein traumatisierter Mensch durchlebt. Beide, Mutter und Tochter, sind gefangen in ihrer Situation. Und das seit sehr langer Zeit.“
Bei dieser Frage ist der Zuschauer von „Zurück ans Meer“ in guten Händen: Seit ihrem TV-Drama „Ins Leben zurück“ (2003, mit Martina Gedeck) beweisen Regisseur Markus Imboden und Drehbuchautor Fabian Thaesler (seit der ersten Folge bei „Bella Block“ als Autor dabei) immer wieder ihr Händchen für verwundete Seelen. Dank Thaeslers Drehbuch erschöpft sich die Therapie nicht nur in Dialogen. Nina Hoger ringt nach Luft, fällt und zittert, um einen Panzer abzuschütteln. Ihrem konzentrierten Weg nach innen steht das Um-sich-schlagen von Charlotte Breuer gegenüber. Hannelore Hoger spielt die widerständige Alte wie es ihr steht: starrsinnig, stur, störrisch. Auf ihrer Jagd nach dem vermeintlichen Entführer übertritt sie eine Grenze nach der anderen. Hinter der Frage, ob ihr Verdacht berechtigt ist, beginnt sich etwas im Verhältnis von Mutter und Tochter zu verschieben. Nach dem zweiten Einbruch in das Privathaus des Milliardärs Mortensen, ein imposanter Kubus aus Sichtbeton und Glas, verengen sich die Räume um Charlotte Breuer. Hannelore Hoger sitzt in dunklen Verhör-Zimmern, sogar die Gefängniszelle droht. Zum gleichen Zeitpunkt, etwa zur Mitte des Films, folgt die Kamera Nina Hoger zum ersten Mal in das Licht eines sonnigen Spätsommertags.
Der Kampf um die Rückkehr ins Leben entwickelt sich mehr und mehr zu einem von Tochter gegen Mutter. Aber kurz vor der Bleischwere naht Rettung. Sie kommt in Gestalt zweier großer Dänen daher. Jens Albinus überzeugt mit kleinsten Gesten in der Rolle des scheinbar unangreifbaren Mortensen. Sein Kollege Morten Sasse Suurballe verleiht dem schlaksigen Anwalt Christian Johansen eine feinsinnig-ironische Art, die ihn im Lauf des Films immer präsenter werden lässt. Der Zuschauer kennt Albinus und Suurballe aus dänischen Krimiserien („Der Adler-Die Spur des Verbrechens“, „Kommissarin Lund“, „Die Brücke“). Und er liebt Hannelore Hoger, deren Trotz gegenüber großen Männern bisher immer unterhalten hat. Eine stimmige Konstellation für den Montag im ZDF. (Text-Stand: 26.8.2021)
Foto: ZDF / Marion von der Mehden