Und noch ein Psycho-Thriller, möchte man beinahe schon sagen. Mit „Zucker für die Bestie“ hatten die Macher allerdings keine TV-Ausgabe vom „Schweigen der Lämmer“ im Sinn. In dem strengen Schauspieler-Stück von „Sandmann“-Autor Matthias Seelig und Regisseur Markus Fischer („Tatort – Das Mädchen mit der Puppe“) stehen zwei Getriebene im Mittelpunkt, beide Meister im verbalen Nahkampf und in psychologischer Kriegsführung. Mit Matthias Habich und Christiane Paul kann sich das Duo auch darstellerisch sehen lassen.
Die Geschichte fängt ganz harmlos an. Heldin Tanja ist eine engagierte Jura-Studentin, die sich für eine Hausarbeit eine besondere Herausforderung gestellt hat. Zum Thema Revisionsrecht wagt sie sich an den Fall Kaltenbach, einen spektakulären Serienkiller-Prozess. Der Mann sitzt wegen Mordes hinter Gittern, obwohl keine Leiche seiner vermeintlichen Opfer je gefunden wurde. Doch Tanja benimmt sich eigenartig, sie will den Fall partout alleine recherchieren. Hinter der Zielstrebigkeit, mit der die junge Frau sich das Vertrauen des charismatischen Frauenmörders erschleicht, verbirgt sich mehr als bloßer Ehrgeiz. Glaubt sie an seine Unschuld? Will sie ihn befreien? Oder will sie lieber Racheengel spielen?
„Kaltenbach war zunächst viel mehr als Bestie angelegt, der nach seiner Flucht wahllos Leute umbringt“, sagt der diesjährige Grimme-Preisträger Matthias Habich („Das Urteil“). Das hätte er nicht spielen wollen. Also setzte er sich hin, wie immer, wenn er ein interessantes Drehbuch vor sich hat, und schrieb eine klare Biographie. Rund 30 Seiten, Geschichten, Erfahrungen seiner Figur, Kindheitserlebnisse – so näherte sich der Schauspieler dem mutmaßlichen Mehrfachmörder an. Habich: „Meine Idee war es, dass er gar nicht genau weiß, dass er ein Mörder ist.“ Hier Dr. Jeckyll, dort Mr. Hyde: Habich erfand einen bösen Bruder und gab dem Verhalten Kaltenbachs etwas von einer multiplen Psychose.
„Klingt nach ‚Das Schweigen der Lämmer‘, gewinnt aber rasch eigenes Profil. Feines Psychoduell mit Gänsehaut-Faktor!“ (TV-Spielfilm)
Auch für Christiane Paul, bei den Dreharbeiten gerade mal 23, die mit Filmen wie „Das Leben ist eine Baustelle“ oder „Ex“ zum Shootingstar des letzten Jahres wurde, war „Zucker für die Bestie“ eine besondere Erfahrung. „Tanjas Einsamkeit, ihre Boshaftigkeit, ihre Rachegelüste – das fiel mir schon schwer zu spielen. Ich kann Hass nicht sofort abrufen“, so die Berlinerin. „Ich bin eher ein offener Mensch. Um Verschlossenheit besser spielen zu können, habe ich aber versucht, mich beim Dreh stärker zurückzuziehen, um bei mir zu bleiben.“
Der düster-morbide Film ist weitgehend der Logik des Alltags enthoben. Matthias Seelig schuf eine hermetische Innenwelt, in der zwei konträre und doch seelenverwandte Wesen sich in traumwandlerischer Sicherheit begegnen. Die Sprache ist ebenso hart wie präzise („das Glücksgefühl, den Zeitpunkt des Todes zu bestimmen“). Für diese klassische, geradezu kammerspielartige Dramaturgie war der Schweizer Markus Fischer genau der Richtige. „Ich suche als Regisseur stets die Radikalität zwischen den Menschen“, sagt er. Um das passende Farb- und Lichtkonzept zu finden, wälzten er und sein Kameramann Kunstbücher und besuchten Kunstausstellungen. Dabei wollte er die Geheimnisse, die in der Geschichte stecken und nie völlig aufgedeckt werden, auch visuell transportieren. „Ich wollte ein bestimmtes Maß an Mysterium belassen. Und ich wollte, dass der Zuschauer irritiert ist.“ Fazit: „Zucker für die Bestie“ ist ein vielschichtiger, irritierend schöner, aber auch bedrückender Film über abgründig böse Spiele, die Menschen imstande sind, miteinander zu treiben. (Text-Stand: 6.6.1998)