Geschichten über Kinder und Jugendliche, aber für ein erwachsenes Publikum: Steven Spielberg hat als Regisseur oder Produzent mit „E.T.“, „Das Reich der Sonne“ oder „Zurück in die Zukunft“ für diverse moderne Klassiker dieser Art gesorgt. Im deutschen Kino haben es derartige Stoffe dagegen schwer, was nicht zuletzt am Einfluss der Fernsehsender liegen dürfte: weil Erwachsene angeblich kein Interesse an Filmen haben, die aus Kinderperspektive erzählt werden. Martin Buskers Kinodebüt „Zoros Solo“ ist ein ausgezeichnetes Gegenbeispiel für diese These: Eine afghanische Familie ist bei ihrer Flucht vor den Taliban getrennt worden; Mutter, Sohn und Tochter haben es bis ins schwäbische Liebigheim geschafft, aber der Vater ist in Ungarn zurückgeblieben. Um ihn nachzuholen, lässt sich der 13jährige Zoro (Mert Dincer) auf allerlei krumme Geschäfte ein. Eines Tages bietet sich eine unverhoffte Lösung: Der örtliche Knabenchor probt für einen Wettbewerb in Ungarn. Zu seiner eigenen Verblüffung hat der Junge Gold in der Kehle, wird tatsächlich Chormitglied und schafft es, seinen Vater im Gepäckraum des Reisebusses über die Grenze zu schmuggeln.
Aus dem Stoff hätte ein Krimi oder ein Drama werden können, aber Busker, der das Drehbuch gemeinsam mit Fabian Hebestreit geschrieben hat, erzählt die Geschichte mutig als Komödie. Die angestrebte Rettung des Vaters ist zwar der Motor der Handlung, doch ansonsten kreist der Film um einen amüsanten Zweikampf: Als Leiterin der „Liebigheimer Spatzen“ entpuppt sich ausgerechnet Frau Lehmann (Andrea Sawatzki), die sich der frühreife Zoro mit seiner großen Klappe kurz zuvor zur Intimfeindin gemacht hat. Selbst wenn sich sonst nichts Gutes über diesen Film sagen ließe: Die Dialogduelle der beiden Hauptfiguren sind ein außerordentliches Vergnügen. Die Rolle der leicht verbitterten Chorleiterin, die aus ihren Ressentiments gegen Ausländer keinen Hehl macht und Kinder eigentlich nicht leiden kann, ist Andrea Sawatzki wie auf den Leib geschrieben. Ihre Spielfreude macht großen Spaß, aber das ist natürlich keine Überraschung; die Schauspielerin hat ihr herausragendes komödiantisches Talent bei der Verkörperung überforderter Frauen schon oft bewiesen, allen voran in den ZDF-Verfilmungen ihrer eigenen Romanreihe über die tragikomischen Erlebnisse der Familie Bundschuh (angefangen mit „Tief durchatmen, die Familie kommt“).
Foto: SWR / Felix Meinhardt
Der Knüller des Films ist jedoch die Leistung des jungen Hauptdarstellers. Selbst wenn Mert Dincer schon in diversen TV- und Kinoproduktionen mitgewirkt hat: Der gebürtige Hamburger, zur Zeit der Dreharbeiten 15 Jahre alt, ist offenbar ein Naturtalent. Dank Buskers Führung gelingt dem Jungen eine schwierige Gratwanderung, denn Zoro ist im Grunde nur bedingt liebenswert, auch wenn es natürlich witzig ist, dass er Frau Lehmann „Bitch“ oder respektvoller „Frau Bitch“ nennt (sie revanchiert sich mit „Zwergprolet“). Zoro klaut, lügt, ist jähzornig, hat keinerlei Respekt vor Erwachsenen und schreckt nicht mal davor zurück, ein mannsgroßes Kruzifix aus der Kirche zu klauen, um es zu Geld zu machen. All das ließe sich verkraften, aber dann erpresst er auf miese Art seinen Chorfreund Julian (Laurids Schürmann): Weil Frau Lehmann Zoro nicht mit nach Ungarn nehmen will, zwingt er Julian, ihm den Solopart zu überlassen. Sicherheitshalber erinnert Busker mit gelegentlichen Rückblenden an das Schicksal des Vaters, aber letztlich ist es dem Lausbubencharme des Hauptdarstellers zu verdanken, dass Zoro die Zuneigung der Zuschauer trotz seiner Eskapaden nicht verliert.
Neben der vorzüglichen Arbeit mit den Schauspielern und den frechen Dialogen lebt „Zoros Solo“ von einer ganz speziellen Atmosphäre; dafür sorgen eine ausgezeichnete Bildgestaltung (Martin L. Ludwig) mit einem mitunter märchenhaft anmutenden Licht sowie die Musik. Dennoch sind es vor allem die vielen witzigen Einfälle und ihre lakonische Umsetzung, die den Film so sympathisch machen. Busker kann es sich sogar erlauben, in manchen Szenen dick aufzutragen, ohne die Komödie in die Klamotte abrutschen zu lassen. Sehr schön sind auch die Bonusgags: Die Sache mit dem Kreuzdiebstahl geht schief, aber da ist ja noch der Opferstock. Einige Scherze sind ohnehin politisch erfrischend unkorrekt: Wenn Zoro nicht weiter weiß, spielt er die Trauma-Karte. Die Sorgfalt der Inszenierung wiederum zeigt sich nicht zuletzt an den Details, wenn sich Zoro zum Beispiel mit äußerst finsteren Burschen einlässt, die Kameraperspektive ihn jedoch doppelt so groß wie die Typen wirken lässt.
Busker hat seit dem Ende seines Studiums in erster Linie Episoden für Kinder- und Comedyserien wie „Schloss Einstein“, „Sturmfrei“ (beide Kika), „Die Mockridges“ (WDR) und „Dating Daisy“ (ARD-Vorabend) gedreht. Mit Koautor Hebestreit hat er schon öfter zusammengearbeitet, unter anderem bei der Mystery-Miniserie „Grimmsberg“ (2011, ProSieben). Während seines Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg hat er für seine Kurzfilme mehrere Preise bekommen; sein Abschlussfilm „Halbe Portionen“ hat den Max-Ophüls-Preis, den Prix Jeunesse und den Goldenen Spatzen gewonnen. Die Uraufführung von „Zoros Solo“ fand beim Internationalen Filmfest Emden-Norderney statt; Busker ist dort mit dem Hauptpreis des Festivals (Bernhard-Wicki-Preis in Gold) sowie dem NDR-Nachwuchspreis ausgezeichnet worden. (Text-Stand: 24.9.2019)