Den Job als Bürgermeisterin hat sich Sophie (Aglaia Szyszkowitz) anders vorgestellt. Dass in Wiesenried seit Tagen der Müll nicht mehr abgeholt wird, stinkt zum Himmel und ruft die kommunalpolitische Konkurrenz auf den Plan. Irgendwo scheint es ein Loch in der Gemeindekasse zu geben. In dieser angespannten Lage steht plötzlich ihre Noch-Schwiegermutter, Brigitte (Eleonore Weisgerber) aus Paris, auf der Matte. Ausgerechnet sie, die zu Sophie bisher nicht gerade ein liebevolles Verhältnis hatte, versucht nun mit allen Mitteln, den nahenden Scheidungstermin platzen zu lassen. Ihr Sohn Pierre (Francois Smesny) fällt aus allen Wolken: diese Maman! Dies denkt sich auch dessen neue Flamme Djamila (Daniela Golpashin). Zudem von Eifersucht getrieben, schlägt auch sie schließlich noch auf dem Fuchsbichlerhof auf. Bei Barthl (Friedrich von Thun), Sophies Mitbewohner mit Stallgeruch, kommt der Besuch dieser sehr speziellen Schwiegermutter weitaus besser an. Aber auch Leonie (Carolin Garnier) liebt ihre Großmama, ja sie könnte sich zum Leidwesen ihres Freundes Max (Emanuel Fitz) sogar vorstellen, ihre Ausbildung in Paris bei ihrem Vater zu machen. Zaungast bei diesem Familienchaos ist Felix (Hans-Jochen Wagner), ein vom Himmel gefallener Schulkamerad von Sophie, der in ihr neue Liebes- und Lebenslust weckt.
Foto: Degeto / Hendrik Heiden
Auch in „Schwiegermutter im Anflug“, der sechsten Episode der ARD-Freitagsreihe „Zimmer mit Stall“ gelingt es, neunzig Minuten lang, flott, locker & launig zu unterhalten, dabei stets die Klischees des heimatlichen Familienreihen-Genres umschiffend, obwohl doch der Konflikt zwischen der Chaos-Queen mit Improvisationstalent und dem Grantler mit Stallnutzungsrecht auf Lebenszeit schon länger so gut wie auserzählt ist. Der weit hergeholte, aber dennoch originelle Grundkonflikt der 2018 gestarteten Reihe, aus dem sich das nicht weniger originelle Motiv Wohnen im Stall ergab, war anfangs eine dramaturgische Krücke, der es – je besser die anderen Plots waren – bald nicht mehr bedurfte. Jetzt jedenfalls haben die beiden Sturköpfe Frieden geschlossen, und so können sich die Autoren Holger Gotha und Philipp Weinges in der „Schwiegermutter“-Episode darauf konzentrieren, was einen – im doppelten Sinne – Familien-Unterhaltungsfilm auszeichnet. Konkret erzählt wird ein Familientreffen mit streitbarem Anhang und einem Gast, den diese Bagage wenig interessiert, der sich mit der Frau des Hauses aber so gut wie alles vorstellen kann. Konzipiert ist das Ganze wie ein alltagsnahes Boulevardstück, weitgehend unter freiem Himmel, ganz ohne Tür-auf-Tür-zu-Gequietsche. Gefeiert wird die Sonnwendnacht, die auch den Figuren so einige Wendungen beschert. Und dass dazu noch Themen wie das Müllproblem global, kommunal & privat oder die Trinkwasserversorgung Afrikas beiläufig in die Handlung integriert werden, ohne daraus ein pädagogisches Oberseminar zu machen, ist mehr als sympathisch oder nur gut gemeint.
Das Wie macht mal wieder die Musik. Entscheidend dabei: die hervorragende Besetzung. Aglaia Szyszkowitz zeigt, dass ihrem Lächeln zum Trotz die beiden Hauptfiguren ihrer ARD-Freitags-Reihen (da gibt es ja noch das etwas andere Helferinnen-Format „Billy Kuckuck“) recht unterschiedlich sind. Ihre Gerichtsvollzieherin ist strukturierter als Sophie, die in kurzer Zeit offenbar Vieles von dem nachholen möchte, was sie in ihrem Job als Flugbegleiterin versäumt hat: vor allem Lebendigkeit und Abwechslung. „Jeden Tag eine neue Idee. Immer hat sie was angefangen, aber nie zu Ende gebracht“, das sagt der alte Barthel. Er sagt es aber nicht über Sophie, sondern über seine Tochter Johanna, mit der er seit 23 Jahren keinen Kontakt mehr hat. Im zweiten neuen Film, „Schwein gehabt“, versteht man als Zuschauer nun besser, weshalb für den Witwer, der ja immer auch schon liebenswerte Seiten besaß, Sophie so etwas wie ein rotes Tuch war. Einfach zu viel Johanna! In der „Schwiegermutter“-Episode erzählt Barthl der charmanten Michelle (auch Eleonore Weisgerber überzeugt in der klassischen Klischeerolle der intriganten Schwiegermutter) bereits von seiner Tochter, in einer anderen Szene wird auch etwas von dessen Faible fürs Forschen telegen in Szene gesetzt, bevor diese Motive dann in „Schwein gehabt“ ausgespielt werden. In dieser Episode ist es vor allem Brigitte Hobmeier, die einen nachdenklichen, tiefen, ja existentiell nachhaltigen Ton in die Szenen bringt; was auch angenehm auf Johannas Beziehung zu ihrem Vater abfärbt. Und die Vater-Tochter-Problematik schreibt sich eine Generation später in der Tochter-Sohn-Beziehung fort. So etwas kann allzu leicht stereotyp geraten. Hier ist es glaubwürdig, selbst der Rückfall in alte Muster wird – auch dank von Thuns Spiel – nicht zur Plattitüde.
Foto: Degeto / Hendrik Heiden
Der B-Plot des zweiten Films schlägt im Übrigen noch ernstere Töne an. Margarethe (Christine Ostermayer) und Hans Bosch (Hark Bohm), ein betagtes Ehepaar, haben entschieden, auf dem Fuchsbichlerhof ihrem Leben ein Ende zu setzen. Die beiden, zwei Intellektuelle aus Hamburg, zwei Kunstbuchautoren, wollen in Würde sterben. Sophie und ihre Tochter Leonie hingegen möchten den Boschs das Leben noch einmal schmackhaft machen. Nur wie? Die Schönheit von Landschaft und Natur hat den beiden noch nie etwas bedeutet. Ein vom Schlachter gerettetes Schwein könnte helfen. Das Wühlen im Schweinemist scheint eine gute Therapie zu sein, doch dann entpuppt sich das Ferkel als depressiv. Und auch die Heldin wird von einem „Post-Scheidungs-Trauma“ geplagt. Da zeigt Autor Philipp Weinges der Alles-wird-gut-Philosophie dieses Ist-das-Leben-nicht-schön-Genres zumindest zwischenzeitlich die lange Nase. Die Durchhalteparolen, die betonen wie großartig doch das Leben ist, wirken bisweilen wie blanker Hohn. Zur Aufheiterung der Zuschauer*innen soll offensichtlich die Laientheater-Aufführung von „Romeo und Julia“ dienen (die Mitwirkenden alle jenseits der Fünfzig). Am Ende könnte es aber auch für das alte Ehepaar einen lebenserhaltenden Effekt haben. Die Darbietungen sind so schlecht, dass sich vor allem der sonst so steife Hanseat in diesen Momenten (köstlich: Bohm) furchtbar beömmeln muss.
Besondere Erwähnung verdient auch Hans-Jochen Wagner, der mit seinem verschmitzten Spiel ganz wesentlich zur Glaubwürdigkeit seiner Figur beiträgt: ein Mann, der viel Geld verdient hat und nun etwas an ärmere Menschen zurückgeben möchte. Wie er und sein vom Leben zuletzt gebeutelter Wohltäter mit dem Gleitschirm in die oberbayerische Szenerie rauscht und im Leben der Hauptfigur eine Notlandung hinzulegen versucht, das sorgt auch für allerlei erheiternde Momente („Ich wärm‘ dann schon mal das Bett vor“). Dass eine Metapher wie das Fliegenlernen, bezogen sowohl auf den (un)glücklichen Felix als auch auf die Gans Gustav, im Dialog nicht unkommentiert bleibt, ist sowohl den aufgeklärten Charakteren als auch dem Genre geschuldet. So geht denn auch „Schwiegermutter im Anflug“ eher als Komödie durch, was auch der etwas expliziter ins Ohr gehende handgemachte Country-Score (ein Wiedererkennungsmerkmal der Reihe) andeutet, während „Schwein gehabt“ das ist, was man heute Dramödie oder Dramedy nennt. Am Ende der beiden neuen Episoden gehen Sophie und Barthl etwas angefressen auseinander, jeder in die eigenen vier Wände. Bleibt zu hoffen, dass dies mal wieder nur eine vorübergehende Laune ist. Was wäre jeder von beiden ohne den jeweils anderen. Und dieser Barthl gehört doch längst zur Familie. (Text-Stand: 5.11.2021)
Foto: Degeto / Hendrik Heiden